Von großen und kleinen Kuchenstücken: Interview mit Investmentberater Falk Müller-Veerse

Wir treffen Falk Müller-Veerse in seinem Münchner Büro: Lehel, beste Lage mit Blick auf die Isar. Der Gründer von Cartagena Capital ist seit der Fusion seiner Firma mit Bryan, Garnier & Co. Managing Partner bei der internationalen Investmentbank. Der freundliche Umgangston täuscht nicht darüber hinweg, dass hier mit richtig viel Geld gearbeitet wird – und das offenbar mit großem Erfolg. Uns interessiert die Frage: Was empfiehlt der Finanzprofi Startups auf der Suche nach Investoren?

Glastrophäen, „Financial Tombstones“ genannt, zeigen stolz den bisherigen Erfolg des Unternehmens bei der Vermittlung von Kapital an Wachstumsunternehmen: Unter anderem konnten die Münchner bereits tado° und baimos zu frischem Kapital verhelfen. Nach eigenen Angaben hat Bryan, Garnier & Co. eines der größten Technology-Teams aller Investmentbanken Europas mit 60 Mitarbeitern, davon 15 in Deutschland. Insgesamt beschäftigt die Firma rund 150 Mitarbeiter. Der Fokus: Europäische Wachstumsfirmen.

Falk Müller-Veerse ist schon lange im Geschäft: 2001 gründete er Cartagena Capital und führte sein Haus im Februar 2016 mit Bryan, Garnier & Co. zusammen. Er war Mitglied des Steering Committees des German Accelerator und Table Captain bei der letzten Bits & Pretzels. Ein Mann vom Fach.

Was leistet Ihr für Startups?

Wachstumsfirmen beauftragen uns, Kapital zu raisen, etwa ab 10 Millionen Euro aufwärts: Von Venture Capital, Family Offices, Private Equity, über High-net-worth individuals (Anm. d. Red.: vermögende Privatpersonen), bis hin zur Finanzierung an der Börse. Wir waren in den vergangenen zwei Jahren unter allen europäischen Investmentbanken am aktivsten darin, europäische Firmen an den NASDAQ zu bringen. Manche Unternehmen, die uns beauftragen, sind auch noch sehr jung und haben erst wenig Umsatz.

Man kann unsere Arbeit also in drei Bereiche zusammenfassen: Wir besorgen Geld für Startups, wir verkaufen sie, wir bringen sie an die Börse.

Dem Münchner IoT-Unternehmen tado° habt Ihr in drei Finanzierungsrunden insgesamt zu rund 45 Millionen Euro Kapital verholfen. Wie sieht Eure Arbeit für Startups aus, ganz konkret am Beispiel von tado°?

Zum einen stellen wir Kontakte zu Investoren her, da hat es bei tado° allerdings nicht gemangelt – sie sind schließlich eines der Top-Startups in Deutschland, vielleicht sogar in Europa. Hier ging es darum, passende Investoren herauszufiltern. Außerdem übernehmen wir die Verhandlungsführung zu den Konditionen und optimieren die übrigen Terms & Conditions für das Management und die bestehenden Anteilseigner – von Liquidation Preferences bis Tag-along- und Drag-along-Klauseln.

„Die Firma wird damit unverkäuflich“ — Vorkaufsrechte und andere kapitale Fehler

Bei welchen Klauseln und Bedingungen müssen Startups aufpassen?

Strategische Investoren erwarten oft Vorkaufsrechte, ein Right of first Refusal, wenn sie in junge Startups einsteigen. Das heißt: Der Stratege kann das Unternehmen, wenn es verkauft wird, für den Preis, den ein anderes Unternehmen geboten hat, erwerben.

Das ist für das Startup jedoch ein absolutes Desaster: Wenn ein interessiertes Unternehmen in der Due Diligence mitbekommt, dass ein Mitbewerber das Unternehmen immer zu demselben Preis übernehmen kann, besitzt es keinen Mehrwert für den Bieter, sich anzustrengen und viel Zeit, Arbeit und Geld zu investieren – denn der Konkurrent erhält immer den Zuschlag. Die Firma wird damit unverkäuflich. Das ist ein kapitaler Fehler, den viele unbedarfte Startups begehen.

Wissen Startups zu wenig über Finanzgeschäfte?

Bei solchen Finanzierungsrunden auf jeden Fall. Sie sind gut beraten, sich jemanden zu holen, der sie mit viel Erfahrung unterstützt. Der auch weiß, was marktüblich ist und was man erzielen kann. Der auch den Wettbewerb steuert und so Konditionen und die Bewertung optimieren kann.

Ein typisches Beispiel: Drei, vier Kommilitonen haben während ihres Studiums eine Geschäftsidee und möchten ein Business starten. Was brauchen sie, wenn sie zum Investor gehen?

Zunächst einmal: Wenn vier Kommilitonen das gleiche studieren, dann besteht eine sehr homogene Managementbasis. Das ist sicherlich meistens keine ideale Zusammensetzung: drei oder vier Betriebswirte, Maschinenbauer oder Informatiker sind kein Dream-Team. Idealerweise sollte man sich gegenseitig ergänzen.

Sie brauchen dann drei Dinge: Erstens einen Investorenteaser, das ist eine kurze Executive Summary, in der alles steht über ein Unternehmen, das Produkt, den Markt, die Technologie, das Management, die USPs und warum sich jemand überhaupt die Zeit nehmen sollte, das Unternehmen anzuschauen.

Zweitens ein Investorendeck: die Investorenpräsentation mit 15-25 Seiten, in der man in einer halben Stunde rüberbringen muss, warum ein Investor investieren soll. Das Investorendeck stellt die Inhalte aus dem Investorenteaser, die Finanzen und den Business Plan noch genauer dar.

Drittens müssen Startups ein wirklich fundiertes Finanzmodell präsentieren können, mit dem der Investor idealerweise auch spielen und Sensitivitäten (Anm. d. Red.: Verschiebung von Kennzahlen unter leicht veränderten Bedingungen) ausprobieren kann.

„In Deutschland gehen Startups oft zu spät zum Investor“

Kann man sagen, in welchem Wachstumsstadium ein Startup sich ein Investment suchen sollte? Ab welchem Punkt ergibt es Sinn, an Investoren heranzutreten?

Es ist immer besser, sein  Unternehmen so weit wie möglich selber zu finanzieren und sich erst um Investoren zu bemühen, wenn man schon etwas vorführen kann, etwa einen funktionierenden Prototyp. Manche Leute lassen sich natürlich auch schon mit ein paar Powerpoint-Slides überzeugen. Aber die Unsicherheit ist natürlich höher, je weniger man zeigen kann. Deswegen ist es oft besser, zu warten, bis man möglichen Investoren etwas demonstrieren kann.

In Deutschland gehen Startups jedoch oft zu spät zum Investor. Baut man eine Firma auf und versucht, sie aus eigener Kraft in die Profitabilität zu führen, wurde sie oft schon vom Markt überholt. Wer im Weltmarkt bestehen will, braucht Kapital.

Das gilt insbesondere in Konkurrenz zu US-Firmen: Dort wird Unternehmen schon sehr früh sehr viel Kapital zur Verfügung gestellt. Das Geld wird dort zwar nicht unbedingt sehr effizient eingesetzt, aber man klebt in den USA weniger am Eigenkapital als in Deutschland. Firmen sollten sich die Frage stellen: Will ich wirklich ein Riesenstück vom ganz kleinen Kuchen oder reicht mir auch ein kleineres Stück vom richtig großen Kuchen? Ist das nicht vielleicht viel mehr wert am Ende des Tages?

Woran liegt es, dass man in Deutschland eher konservativ an die Finanzierung herangeht und erst einmal wachsen will – ist das kulturell bedingt? Oder liegt es daran, dass zu wenig Wachstumskapital zur Verfügung steht?

Geld gibt es ja schon in frühen Phasen: Business Angels, High-Tech Gründerfonds, Bayern Kapital. Nur ich glaube, das ist eine Kultur, die so gewachsen ist: Der deutsche Mittelständler hat das schon so gemacht. Anstatt Eigenkapital aufzugeben, hat er lieber viel Fremdkapital aufgenommen. Die Eigenkapitalquote ist deshalb sehr niedrig in deutschen Unternehmen. Bisher hat man Firmen aus dem Cashflow wachsen lassen und seine Gewinne reinvestiert.

Mittlerweile raisen mehr Unternehmer Eigenkapital. Vielleicht ist auch das ein Kulturfrage und die neuen Gründer, die jetzt in den 20ern oder in den frühen 30ern stehen, besitzen eine andere Denkweise.

„Wo kein Wettbewerb, da kein Markt“

Kann man bündig auf eine Formel bringen, welche drei Anfängerfehler Startups auf der Investorensuche begehen?

  1. Zu sagen: Wir haben keinen Wettbewerb. Das ist völlig unglaubwürdig. Wo kein Wettbewerb, da kein Markt.
  2. Zu sagen, dass man innerhalb von drei Jahren über die Milliarde Umsatzgrenze geht. Excel ist sehr geduldig. Das ist ein bekannter Fehler und weder Google noch Facebook oder Apple haben das geschafft.
  3. Nicht früh genug das Gespräch mit Investoren zu suchen. Viele Startups verpassen es einfach und kümmern sich zu sehr ums eigene Business. Startup-CEOs müssen kontinuierlich Investorenbeziehungen aufbauen und diese mit Informationen und Updates zu Partnern, Kunden und Produkten versorgen.

Um Vertrauen aufzubauen?

Genau, um Vertrauen aufzubauen. Und um zu zeigen, dass sich die Geschäfte wie erwartet entwickeln. Man muss potenziellen Investoren schließlich zeigen, dass es sich gelohnt hat, die Firma länger zu beobachten. Investoren entscheiden ja nicht in vier Wochen. Die lassen sich erstmal sehr viel Zeit, oft auch Jahre. Sie beobachten Firmen und fragen sich: Liefern die, was sie versprechen?

…um das Risiko zu minimieren…

Selbstverständlich! Venture Capital ist Risikokapital, nichtsdestotrotz vertrauen Investoren Leuten, die sie nicht kennen, viel Geld an.

Wie vermindert Ihr das Risiko für Investoren?

Investoren wissen, dass wir uns die Unternehmen genau angesehen haben. Wir betreiben eine intensive Due Diligence. Investoren müssen überzeugt sein: das hat Hand und Fuß und ist nicht nur Hot Air. Sie bringen schließlich unseren Namen damit in Verbindung. Und da wir von Erfolgs-Fees leben, sind wir natürlich daran interessiert,  Firmen zu finden, die halten, was sie versprechen.

Hatten Ihr bereits Totalausfälle?

Natürlich, wir hatten einen Fall – eine Berliner Firma. Im Krisenjahr 2009 haben wir für sie fünf Millionen Euro geraist. Wir brachten Investoren und Management zusammen. Sie sind gemeinsam zum Notar gegangen, haben unterschrieben. Die bestehenden und neuen Investoren haben alle Geld eingezahlt, nur der CEO, der mitinvestieren wollte, hat nicht eingezahlt. Drei, vier Monate später war die Firma bankrott.

Leider kann man so einen Fall nie zu 100 Prozent ausschließen. Wir machen unsere Reference Checks und vieles mehr. Aber wenn die Leute sich noch nie etwas haben zu Schulden kommen lassen, hilft auch das nichts. So was macht ein normaler CEO ja schließlich nicht – aber gut.

Was zeichnet die Münchner Startup-Szene in Deinen Augen aus?

Ich glaub, in München hast Du tatsächlich weniger Hot Air. Auch wenn ich sage: ‚Ich bin in Berlin, ich bin ein Startup, deshalb bin ich cool und hip‘, zählen hinten raus genauso die Grundlagen. Die Startups in München sind da noch mehr down to earth. Sie sind im Schnitt mehr auf der Hardcore-Technologieseite und können oft mehr Substanzielles anbieten.

In München sitzt eine starke Old Economy – viel Mittelstand, viele Konzerne. Welche Bedeutung hat das für die hiesige Startup-Szene?

Klar ist es ein Vorteil für Münchner Gründungen, dass sie hier näher sind an Old-Economy-Firmen. tado° hat ja beispielsweise auch Siemens als Investor gewonnen – sicher hat da auch die räumliche Nähe eine Rolle gespielt. So konnten sich ganz andere Beziehungen aufbauen und über Jahre entwickeln.

IoT-Hardware nur ein trojanisches Pferd?

Welche Startups sind im Moment besonders spannende Investitionsobjekte? Wo würdest Du Investoren empfehlen, einzusteigen?

Ein ganz großer Trend sind datengetriebene Ansätze, bei denen es nicht nur um Hardware geht. Viele Leute glauben, bei IoT handelt es sich nur um Hardware. In meinen Augen handelt es sich aber nur um ein trojanisches Pferd, um zum Beispiel in Smart Home zu kommen. Schlussendlich geht es aber um Daten und Data Analytics. Gerade auf der Analytics-Seite ist noch sehr viel Platz. Das ist ein sehr spannendes Feld.

Interessant sind auch neue, klare Businessmodelle im Lead-Gen Bereich (Anm. d. Red.: Leadgenerierung, Kundenakquise), die ganz neue CPOs  (Anm. d. Red.: Cost per Order) ermöglichen. Dazu kommt der gesamte Bereich Cloudcomputing – ein Thema, bei dem Deutschland noch hinterherhinkt und nur langsam aufholt.

Was fehlt am Wirtschaftsstandort München?

In Berlin ist die Startup-Welt more vibrant und internationaler. Bits & Pretzels ist als Lighthouse-Event sicher eine gute Geschichte, um Leute hier her zu bringen. Vielleicht ist es spannend, bestehende Angebote stärker zu vernetzen: In München gibt es viele Business- und Company-Builders, Acceleratoren wie Wayra und TechFounders bei UnternehmerTUM. Es wäre wichtig, das noch stärker zu connecten mit der Venture-Capital-Welt, von denen immer noch viele hier in München sitzen.

Brauchen wir in München vielleicht mehr Hype, mehr heiße Luft?

Nein. Startups, die gut sind und starke Exits hinlegen, erzählen mehr als tausend Worte und heiße Luft.

Herzlichen Dank für das Gespräch!