Zukunftsstadt © LAVA

Smart & The City

»Houston, wir haben ein Problem« – funkte einst Apollo 13 zur Erde – und ließ sich von der NASA in einer atemberaubenden Aktion heil auf die Erde zurückholen. Wie schön, könnten unsere Städte ihre immensen aktuellen Probleme mit einem schlichten Funkspruch lösen. Aber Houston sendet auf einer anderen Frequenz. – Ein Gastbeitrag von Joachim Goetz, erschienen im MCBW Mag.

Zwar klingt die »Rettung« der Städte irgendwie amerikanisch: Smart City, Smart Mobility, Smart Governance, Growth, Grid, Home. Klar, die Basistechnik Smartphone stammt ja aus Cupertino. Aber von amerikanischen Städten können unsere historisch gewachsenen europäischen kaum lernen. Leihfahrräder werden über dem Großen Teich belächelt, und Car Sharing ist in der allerersten Testphase.

Hierzulande gibt es hingegen kaum eine große Autofirma, die kein Car-Sharing-Programm am Laufen hat. Warum? Weil die lange zögerlichen Autobauer erkannten, dass der vorhandene Platz nicht (mehr lange) für einen funktionierenden Autoverkehr ausreicht.

Unsere Städte werden innerorts enger und enger, schrauben sich immer höher in den Himmel und tiefer in die Erde. Grünflächen und Freiräume schrumpfen, Bodenpreise steigen. Die Infrastruktur wächst kaum mit, aber der Verkehr nimmt weiter zu – und wird dank neuartiger Fortbewegung wie E-Bike, Segway, Roller und Blader unübersichtlicher. Weitere Probleme: Aufheizung der Städte, Anstieg des Grundwasserspiegels, mangelnde Durchlüftung. Die Zunahme der Luftverschmutzung gefährdet die Gesundheit der Städter und verschlechtert die Lebensbedingungen.

Gesucht: die Eier legende Wollmilchsau

Smarte Technologien sollen’s nun richten. Was mitunter an die Fortschritts-gläubigkeit der 60er-Jahre erinnert. Seit der Jahrtausendwende geistert der Begriff »Smart City« durch die Köpfe – ohne klare Definition. Digitalisierung und vielfältige Vernetzung spielen die wichtigste Rolle. Gesamtheitliche Entwicklungskonzepte sollen die Stadt smart machen: effizienter, technologisch fortschrittlicher – dabei grüner, nachhaltiger, sozial inklusiver. Konzepte beinhalten technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Innovationen. Angesichts des Klimawandels freilich auch nachhaltig und CO2-neutral. Kurz: Die Smart City soll die Eier legende Wollmilchsau werden. Sie bietet weniger Platz für den Einzelnen – soll ihn aber nicht einengen. Neue Ideen bitte!

Vor etwa zehn Jahren wurde mit Masdar ein – derzeit stagnierendes – Smart-City-Projekt in Abu Dhabi gestartet, Architektur von Norman Foster. Beteiligt sind viele innovative Technologie-Firmen: Siemens, BASF, Bayer, Shell, Rolls Royce, Fiat etc. Die Anfangseuphorie versprach, bis zu 1.500 innovative Unternehmen in der Stadt für 50.000 Einwohner anzusiedeln.

Smart City – Idealstadt in der Wüste

Geplant war eine Utopie ohne Müll, ohne CO2-Emission, ohne Autos. Gebaut wurde ein erster Bauabschnitt mit dem Campus der Universität, der Technikzentrale und Wohngebäuden – etwa für die 170 postgraduierten internationalen Studenten des Studiengangs erneuerbare Energien. Im Technik-Untergeschoss, auf dem die Stadt ruht, wird der Müll sortiert und für die Wiederverwertung aufbereitet, außerdem wird hier ein beeindruckendes System des Öffentlichen Nahverkehrs erprobt. Führerlose Viererkabinen auf Schienen, entwickelt von der niederländischen Firma 2getthere, bringen Passagiere mit bis zu 40 km/h an den per Knopfdruck eingegebenen Ausstiegspunkt, nicht weiter als 200 Meter vom eigentlichen oberirdischen Ziel entfernt.

Vieles funktioniert, manches ging schief

Und viele stört und ängstigt die Vorstellung, in einer solch künstlichen, reglementierten Umgebung ihr (unfreies, von der Technik dominiertes) Dasein zu fristen.

Futter für die Kritiker. Sie halten die Konstruktion einer »intelligenten Stadt« – wie es auch bei anderen urbanen Neugründungen wie Songdo City in Südkorea oder PlanIT ­Valley in Portugal verfolgt wird – für verfehlt. Adam Greenfield (Streitschrift: »Against the Smart City«) spricht von technokratischen Visionen und Laboren, in denen Menschen wie auf dem Schachbrett herumgeschoben und Smart-City-Techniken erprobt werden. Um sie schlüsselfertig weltweit anzubieten. Greenfield bezweifelt den Erfolg vernetzter Informationstechnik fürs gewachsene Stadtgefüge und seine Beziehungen.

Städte seien vielstimmige, heterogene Organismen; was genau optimiert werden solle, müsse ganz genau bestimmt werden. Vorher.

Das macht etwa das Fraunhofer Institut in Stuttgart mit dem Projekt »Morgenstadt«. Da wird, salopp gesagt, nicht wild die Zukunft betoniert, sondern zuerst intensiv eine exakte Analyse des urbanen Ist-Zustands erstellt.

Fraunhofer setzt auf »Morgenstadt«

Man setzt auf die eher behutsame Weiterentwicklung mithilfe der Bevölkerung – obwohl Skeptiker bemängeln, dass zu wenige zivilgesellschaftliche Entscheidungsträger, Bürgerinitiativen, NGOs beteiligt sind. Anthony Townsend meint, man solle sich beim Schaffen smarter Städte nicht nur auf IT-Spezialisten verlassen. Diese würden womöglich die Gefahren verniedlichen, die durch Datenmissbrauch, Unzuverlässigkeit der Technik – etwa der Cloud – oder auch Sabotage entstehen könnten.

Ausfälle im Cloud-Computing können Städte in Zombies verwandeln: Bewohner werden nicht mehr in ihre smarten Homes eingelassen, Angestellte nicht in ihre Büros oder smarten Toiletten – was freilich schlimmer wäre …

Smart Governance und Smart Growth – also die Einbindung vieler verschiedener Akteure und wohlüberlegte stadtplanerische Entscheidungen – können Abhilfe schaffen. Das versucht man in München, das im Rahmen des EU-Programms »Horizon 2020« im Projekt »Smarter together« (gemeinsam mit Wien und Lyon) die Bürger an der Planung des Stadtteils Freiham und am energetischen Umbau von Neuaubing, »weit über die bisherigen Formen hinausgehend« beteiligen will. Stadtteillabore sind vorgesehen, in denen die Nutzer »gemeinsam mit den Unternehmen und örtlichen Umsetzern« Lösungen entwickeln. Mal sehen, was dabei raus kommt.

In vielen Bereichen ist die smarte neue Welt sogar schon aus dem Ei geschlüpft, etwa bei der Mobilität. Schon der Blick auf den Gehweg zeigt, dass sich der smarte Passant heute am 4-Zoll-Display orientiert – statt wie früher andere nach dem Weg zu fragen. Mitfahrzentralen und Car-Sharing funktionieren (nur) dank Smartphone-Technik wirklich gut.

Smart Mobility als ­Vorreiter

Gleiches gilt für Leihräder, etwa der Münchner MVG (oder der Bahn), die als Element für die letzte Etappe zum eigentlichen Ziel mehr Menschen zum Ausstieg aus dem Auto und Umstieg in den öffentlichen Nahverkehr animieren sollen. Auch können Fahrkarten mittels App bezogen werden.

Intelligente Autobahnen sollen uns – mitunter zwar mit Umwegen, aber dafür ohne Stau – schneller ans Ziel bringen.

Die Parkplatz-App führt den Suchenden direkt zu einem freien Parkplatz. Da in Münchens Innenstadt 30  Prozent des Autoverkehrs Parkplatz-Suchverkehr ist, spart der Benutzer dieser App Zeit und Sprit, schont die Umwelt – und leert die oft verstauten Straßen.

Beeindruckend: Die pfiffige Straßenlaterne dimmt sich nur hoch, wenn auch Autos im Anmarsch sind. Das Multitalent fungiert gleichzeitig auch als Elektrotankstelle für E-Bikes und E-Autos. Die Laterne wird W-Lan-Hotspot, misst CO2 und Feinstaub und kann mittels Wärmebildkamera – sogar datenneutral – das Verkehrsaufkommen ermitteln und dieses über eine weitere Vernetzung, etwa mit einer Ampel, auch steuern.

Gelebte Visionen – bottom up

Beim Wohnen denken Bürger häufig visio­närer und zugleich praktischer als Verwaltungen – und realisieren einfach ihre Zukunftsprojekte mit Smart-City-Potenzial. So hatte die Genossenschaft KunstWohnWerke in München das Ziel, unkündbare Wohn-, Arbeits- und Ausstellungsflächen für Kreative – die man gerne mit »Zwischenlösungen« hin- und herschiebt wie Waggons auf einem Güterbahnhof – zu schaffen. Erwerb und Umnutzung einer früheren Kleiderfabrik folgte. Gemeinschaftliche Nutzung reicht hier vom Fahrzeug bis hin zum Ausstellungsraum im Erdgeschoss und der Dachterrasse mit angegliedertem Gemeinschaftssaal und -küche.

»VinziRast – mittendrin« ist ein weltweit einmaliges soziales Wohnprojekt in Wien. (Ehemals) Obdachlose und Studenten leben und lernen gemeinsam unter einem Dach. Mithilfe vieler privater Spender, Firmen und Freiwilliger wurde das Haus generalsaniert. Ganz ähnlich wird in München »Bellevue di Monaco« realisiert.

Pflanzen für die Stadt

Auch bei »Wagnisart« im Münchner Domagk-Park von Bogevisch’s Büro und Schindler ­Hable Architekten – gerade ausgezeichnet mit dem Deutschen Städtebaupreis 2016 – werden experimentelle neue Wohnformen unter dem Motto »Gemeinsamkeit bauen!« erprobt. Ungewöhnlich: Clusterwohnungen, in denen bis zu acht Apartments um Küche und Wohnraum herumgruppiert sind. Außerdem: ein riesiger Dorfplatz, Waschcafé, Nähstube, Gemeinschaftsatelier. Rund-umsHaus-Terrassen, Urban-Gardening-Flächen und die Landschaftsgärten ganz oben unter freiem Himmel dürfen alle Bewohner nutzen. Alles aus Überzeugung.

Jedes grüne Dach speichert nämlich Regenwasser, entlastet die Kanalisation, verhindert Überschwemmungen. Pflanzen ganz oben verringern die Aufheizung der Dachflächen im Sommer und dämmen sie im Winter.

Zudem speichern Pflanzen das für die Klimaerwärmung verantwortliche CO2 – am meisten natürlich Bäume. Durch die Transpiration ihrer Blätter entsteht zudem Verdunstungskälte, die im Sommer die Lufttemperatur spürbar senken kann. Auch raumgreifende vertikale Fassadenbegrünungen, sogenannte Green Walls, werden zum Hit. Mit Hilfe komplexer Technik verwandeln sie durch ihren dichten buschigen Bewuchs einst unansehnliche Brand-Wände in Chlorophyll-getränkte, kunstvolle Reliefs.

Urbangärtner nutzen Brach- und Dachflächen zum Anbau von Gemüse. Beim Urban Farming werden Nahrungsmittel verbrauchsnah erzeugt. Das spart Energie, weil sie nicht aus Spanien herankutschiert werden. Vitaminhaltiger, weil weniger lang gelagert, ist der Salat dann auch noch. Solche organisch von unten entwickelten Initiativen machen natürlich Hoffnung darauf, dass es gelingt, unsere Städte eigenverantwortlich weiter zu entwickeln, smart zu gestalten. Ohne Houstons Hilfe, das uns doch bloß Städte auf irgend einem fernen Mars versprechen könnte.

Prag – die erste »Morgenstadt«

Das Fraunhofer Institut entwickelte das Modell »Morgenstadt« für nachhaltige Stadtentwicklung und initiierte den »Städtewettbewerb City Challenge«. Gewinner: Prag, Chemnitz, Lissabon. Ein Benchmarking und die daraus entwickelte Grafik zeigt Defizite und erfüllte Erwartungen in Form verschieden eingefärbter Kacheln.

Wichtig war, ob Ziele gemeinsam mit der Bevölkerung entstehen, ob städtische Haushalte gezielt nachhaltig orientiert und Planungen langfristig angelegt sind. 120 teils individuelle Indikatoren messen die städtischen Systeme, wobei Arbeitslosigkeit, Bruttosozialprodukt, Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs und bewusste Entscheidung für erneuerbare Energien eine Rolle spielen sowie Randbedingungen etwa geografische, soziokulturelle oder politische Merkmale. Prags Defizite: »Smart Governance« fehlt, ebenso eine Energiebilanz der Gebäude. Es gibt Probleme beim Ausbau erneuerbarer Energie. Ziele für 2050: Entwicklung von Energie-Atlas, intermodalen Verkehrsknotenpunkten und virtuellem Kraftwerk.


Zum Autor

Joachim Goetz ist Redakteur und Dipl.-Ing. der Architektur. Er betreibt in München das Redaktionsbüro für Architektur + Kunst + Design, schreibt über Themen der Gestaltung und berät auch kleine und kleinste Unternehmen in Marketing- und Publikationsfragen. 2016 wurde er von der Bundesarchitektenkammer mit dem 3. Preis beim Medienpreis Architektur und Stadtplanung ausgezeichnet.

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