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Humanoid oder nicht? Roboter werden salonfähig

Eine neue Generation von Robotern steht vor der Tür: Serviceroboter für daheim, kollaborative Roboter für das maschinell unterstützte Arbeiten oder Maschinen, die in Lagern, im OP oder in der Klinik helfend dabei sind. Was das mit  Design zu tun hat? Viel. Ein Gastartikel von Armin Scharf, erschienen im MCBW-Magazin.

Keine Frage, der »Care-O-bot 4« ist ein sympathisches Kerlchen, bewegt sich leise durch die Gänge, ist stets zu Diensten und kann allerlei Handreichungen übernehmen. Dabei handelt es sich um eine autonome Maschine auf drei Rädern, um einen Serviceroboter der jüngsten Generation, entwickelt am Fraunhofer Institut IPA und von Phoenix­Design durchgestaltet. Modular konzipiert, macht der »Care-O-bot 4« in unterschiedlichsten Anwendungsszenarien eine gute Figur – im Haushalt, in Kliniken, Hotels, Pflegeheimen, Unternehmen. Je nach Nutzung ist der Roboter anders aufgebaut: Als Gepäck- oder Warentransporter wird nur seine mobile Basis benötigt, als Universal-Hausfreund dürfte er in der Vollversion unterwegs sein. Das bedeutet: Zwei Arme, ein Torso und ein »Kopf« mit großem Display, das nicht nur Eingaben annimmt, sondern auch mit zwei Pseudo-Augen Rückmeldungen gibt. Denn:

„Es ging uns darum, Vertrautheit und Akzeptanz herzustellen, die man einer spröden Maschine so nicht entgegenbringt“

erklärt Andreas Haug von Phoenix Design. Sollen Serviceroboter im unmittelbaren Umfeld und in direktem Kontakt mit Menschen erfolgreich agieren, so müssen sie über soziale Kompetenzen verfügen. Also Empathie zeigen, Sympathien wecken oder aktiv auf ihr Gegenüber eingehen. Der »Care-O-bot 4« ist zwar noch kein echter sozialer Roboter mit humanen Skills, wofür die technischen Instrumente noch fehlen, aber er reagiert gestisch – mit den »Augen«, seinen Armen oder dem ganzen Körper. Denn dank eines sogenannten Torso-Gelenkes zwischen Fahrgestell und Körper kann er sich sogar verbeugen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Dank der speziellen Gelenk-Kinematik bleibt der Schwerpunkt auch dann sicher über dem Chassis, wenn der Roboter etwas greifen soll. Das Gelenk selbst ist stets unsichtbar, verchromte Verkleidungen betonen sogar dieses besondere Feature. Die Grundidee des Gelenkes lieferte Phoenix Design, das Engineering übernahm das IPA. Auch die beiden Arme aus dem Baukasten des Automatisierungsspezialisten Schunk wurden von den Designern passend zum sympathischen Gesamterscheinungsbild überarbeitet.

50 Millionen Serviceroboter

Mensch trifft Maschine: Die »ExoHand« von Festo überträgt Bewegungen der menschlichen Hand in Echtzeit an einen Roboter. Und der »Care-O-bot 4« ist als persönlicher Butler in verschiedenen Kontexten unterwegs. (© MCBW)

Ganz klar: Je direkter Roboter mit Menschen interagieren sollen, desto wichtiger werden Faktoren wie emotionale Anmutung, Ergonomie und Vertrauen. Aspekte also, für die Produktdesigner ihre Kreativität und ihr Können in den Ring werfen. Eine sowohl verantwortungsvolle wie dringend notwendige Arbeit, denn die Zahl der Roboter soll in den nächsten Jahren geradezu explodieren. Gemeint sind damit nicht nur die Fabrikroboter, von denen 2018 weltweit 2,3 Millionen Exemplare schrauben, schweißen, fügen, lackieren oder transportieren sollen. Es geht dabei vor allem um Serviceroboter wie den »Care-O-bot 4« oder um die kollaborativen Roboter, die gemeinsam mit dem mensch­lichen Kollegen arbeiten sollen. Die International Federation of Robotics (IFR) schätzt das Heer der Serviceroboter im Jahre 2018 auf weltweit 50 Millionen. Dazu gehören eher simple autonome Staubsauger, aber auch komplexe Pflegeroboter. Denn fast alle technologisch orientierten Gesellschaften haben ein demografisches Problem, besonders Japan altert rasant. Japanische Forscher postulieren daher schon heute, dass künftig die physische und mentale Roboterhilfe unverzichtbar sei. Hierzulande sind spezielle Pflegeroboter noch kein offizielles Thema, wohl aber zahlreiche andere Anwendungen.

Parken, saugen, operieren

Der Staub-Terminator: »360 eye« von Dyson navigiert mittels Kamerasystem durch die Räume. (© MCBW)

So verstaut am Düsseldorfer Flughafen der Parkroboter »Ray« selbstständig Autos platzsparend und ökonomisch. Entwickelt hat ihn das Grabenstätter Unternehmen Serva, gestaltet wurde er von der Designagentur Lumod aus Baiern. Auch in der Landwirtschaft, im Bauwesen, selbst in der Küche, der Logistik, in der Medizin und im Verkehrswesen stehen Roboter in den Startlöchern – vom fragwürdigen militärischen Einsatz ganz abgesehen. Selbst autonome Autos sind im Grunde Roboter mit extrem starken kognitiven Fähigkeiten. Je leistungsfähiger die Hardware wird, je genauer, kleiner sowie preiswerter die Sensoren und etablierter die neuronalen Netze mit selbstlernenden Algorithmen werden, umso mehr Aufgaben können Roboter zuverlässig übernehmen. Auch solche, die nicht auf Standard-Situationen basieren, sondern individuelle Entscheidungen verlangen. Darin unterscheiden sich denn auch die Roboter der nächsten Generation von ihren Kollegen, den wirbelnden Industrierobotern. Letztere sind im Grunde wenig intelligent, weil sie lediglich antrainierte Abläufe repetieren, diese aber nicht selbst entwickeln können. Das soll die Künstliche Intelligenz bald ändern, mit denen die Maschinen zu mehr Eigenständigkeit gelangen. Auch der »Care-O-bot 4« wird davon profitieren, weil er dann schnell auf neue Situationen reagieren kann, Gewohnheiten seiner menschlichen Partner erlernt, Stimmungen erkennt und sich entsprechend verhält.

Der Mensch als Maßstab?

»Baxter« nennt sich dieser kollaborative Roboter von Rethink Robotics – mit seinen beiden Armen und dem zentralen Display zeigt er humanoide Züge. (© MCBW)

Dabei ist eine Frage nach wie vor offen: Wie menschlich muss oder darf ein Roboter sein? Muss ein Serviceroboter wie ein Butler auf zwei Beinen daherkommen und die menschliche Physiognomie nachahmen? Phoenix Design hat die Frage mit einem klaren »Nein« beantwortet; der »Care-O-bot 4« ist definitiv nicht humanoid, auch wenn er mit den angedeuteten Augen und den Armen, auch Endaktuatoren genannt, durchaus Anleihen beim Menschen nimmt. Er bleibt aber eigenständig, als Maschine erkennbar, wenn auch als sympathische und hilfreiche Maschine. Der Gegenansatz zeigt »Asimo«, der legendäre, 1,3 Meter große Humanoide, den Honda bereits im Jahr 2000 präsentierte. Solche Roboter-Konzepte sorgten für mehr Akzeptanz, leichtere Interaktion und vielseitigere Verwendung – sagen die Befürworter dieses Ansatzes. Und weil das aufrechte Gehen die komplexeste Fortbewegungsart schlechthin ist, bleibt es oft beim teilhumanoiden Aussehen: »Pepper« von Softbank Robotics hat eindeutig menschliche Züge, doch es fehlen die Beine. Stattdessen rollt er auf einem absurd plumpen Unterbau daher. Auch der kollaborative Roboter »Baxter« von  Rethink Robotics bietet nur oben menschliche Analogien. Ist »Asimo« eher niedlich, weil klein und dem Kindchenschema folgend, kommt »Atlas« von Boston Dynamics furchteinflößend daher. 150 Kilo schwer, mannshoch und hydraulisch angetrieben, versprüht der kraftstrotzende Roboter eher den Charme einer Kampfmaschine als eines netten Kollegen.

In bester Designtradition

Hierzulande nähert man sich der Roboter-Technologie kaum mit menschenähnlichen Entwürfen. Techniker wie Designer arbeiten an Konzepten, die den maschinellen Charakter nicht negieren, sondern ihn sachlich interpretieren – ganz in der Tradition besten deutschen Industriedesigns. Auch der »Care-O-Bot 4« basiert auf diesem Denkansatz, genauso wie »Miro«. Von Tilo Wüsthoff am DLR-Institut für Robotik und Mechatronik in Oberpfaffenhofen gestaltet, assisiert der armförmige Roboter Chirurgen bei der Operation. Die jüngst präsentierte Weiterentwicklung »MiroSurge« integriert drei dieser Assistenten in ein Telemanipulationssystem für die minimal invasive Chirurgie. Der Operateur arbeitet hier nicht direkt mit den Werkzeugen, sondern steuert diese über eine haptische Eingabeebene fern. Auf diese Weise können Eingriffe extrem exakt ausgeführt werden – das Fernziel der DLR-Entwicklung ist die Operation am schlagenden Herzen.

Die Suche nach Archetypen dauert an

Trotz »Care-O-bot 4«, »Miro« oder »Ray« – das Design von Robotern befindet sich erst im Anfangsstadium, auf der Suche nach adäquaten Ausdrucksmitteln, nach dem Archetypen, der eine Leitlinie im Umgang mit den Automaten aufzeigt. Und das verspricht absolut spannend zu werden.


Zum Autor

Armin Scharf ist eigentlich Ingenieur, widmet sich aber als freier Journalist Designthemen mit technologischem Hintergrund. Er arbeitet u. a. für den DesignReport, berät Designbüros und vermittelt Designwissen in Führungen und Gesprächen.