Als junge Unternehmen haben Startups häufig nur geringe Liquiditätspolster. Dieser Mangel an Eigenkapital ist besonders dann von Bedeutung, wenn eine Finanzierungsrunde nicht so verläuft wie geplant, und keine weiteren Mittel fließen. Das kann kurzfristig dazu führen, dass ein Startup in eine finanzielle Schieflage gerät, weil es seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann. Liegt in einem solchen Fall bereits eine sogenannte Insolvenzreife vor – also einer der zwei im deutschen Insolvenzrecht geregelten Insolvenzgründe Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit – seid Ihr als Geschäftsleiter eines Startups dazu verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Insolvenzantrag zu stellen. Die wichtigste Botschaft in diesem Zusammenhang: Die Geschichte Eures Unternehmens endet aber auch bei einer Insolvenz nicht automatisch in einer Abwicklung.
Insolvenzantragspflicht greift wieder voll
Im Falle einer finanziellen Schieflage Eures Startups solltet Ihr als Geschäftsleiter unbedingt im Blick haben, dass die Insolvenzantragspflicht seit dem 1. Januar 2024 wieder in vollem Umfang greift. Wenn die Zahlungsunfähigkeit bereits eingetreten ist, habt Ihr als Geschäftsleiter drei Wochen, um diese zu beseitigen oder einen Insolvenzantrag zu stellen. Bei einer Überschuldung räumt der Gesetzgeber Euch dafür sechs Wochen ein. Was nicht ausdrücklich im Gesetz steht, aber trotzdem gilt: Diese Fristen kann nur in Anspruch nehmen, wer ein Sanierungskonzept vorweisen kann, das Aussichten für eine erfolgreiche Umsetzung hat.
Ist eine Sanierung nicht mehr möglich, bleibt nur eine Option: der sofortige Insolvenzantrag.
Um die Situation des Unternehmens jederzeit einschätzen zu können, ist eine sorgfältige betriebswirtschaftliche Planung nötig. Lässt diese erkennen, dass eine Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten 24 Monate droht, kommt auch eine geplante Sanierung mit den Mitteln des Insolvenz- und Sanierungsrechts in Betracht. So kann die frühzeitig erkannte Krise unter Einbeziehung zum Beispiel verkürzter Kündigungsfristen für Mietverträge und Mitarbeitende oder eines Insolvenzplans gemeistert werden, der eine Einigung mit allen Gläubigern über einen (teilweisen) Forderungsverzicht auch gegen den Willen einzelner Beteiligter ermöglicht.
Um im Fall der Fälle keine Zeit zu verlieren und schnell, aber gleichzeitig überlegt handeln zu können, ist es sinnvoll, sich frühzeitig mit den möglichen Konsequenzen und dem Ablauf einer Insolvenz, aber auch den unterschiedlichen Verfahrensarten [siehe Informationskasten Die Sanierungs- und Restrukturierungsverfahren im Überblick] zu befassen und dabei die rechtlichen Fristen im Blick zu haben. –Letzteres ist insbesondere wichtig, damit Ihr Euch als Geschäftsleiter vor einer möglichen persönlichen Haftung wegen Insolvenzverschleppung schützt.
Die übertragende Sanierung
Es gibt mehrere Möglichkeiten, ein Startup im Rahmen einer Insolvenz zu sanieren. Da ist zum einen die sogenannte übertragende Sanierung. Dabei werden die wesentlichen materiellen und immateriellen Vermögenswerte des insolventen Startups auf eine neue, schuldenfreie Auffanggesellschaft – ein neues Unternehmen – übertragen. Die Auffanggesellschaft erwirbt vom Insolvenzverwalter des Startups alle Vermögenswerte, während die Verbindlichkeiten bei der alten Gesellschaft verbleiben und im Insolvenzverfahren abgewickelt werden. Mit dem Kaufpreis, der für die Vermögenswerte erzielt wird, werden die Gläubiger des Startups befriedigt.
Der große Vorteil an der übertragenden Sanierung ist, dass das Startup, seine Geschäftsidee und sein Vorhaben damit in einer neuen Gesellschaft weitergeführt werden, die finanziell neu starten kann. Die Mitarbeitenden gehen automatisch auf die neue Gesellschaft über. Das Startup lebt somit weiter.
Fortführungslösung binnen vier Monaten
Ein gutes Beispiel für einen solchen Neustart ist das Münchner HealthTech-Startup Smart4Diagnostics, bei dem ich als Insolvenzverwalterin tätig war. Mit einer übertragenden Sanierung konnten wir für Smart4Diagnostics binnen vier Monaten eine Fortführungslösung erreichen. Ein namhafter Risikokapitalgeber hat den Geschäftsbetrieb des 2018 gegründeten Unternehmens mit der neu gegründeten Auffanggesellschaft S4DX erworben und auch die gesamte Belegschaft übernommen. Damit gibt es nun eine Zukunftsperspektive für die Mitarbeitenden und das Produkt des Unternehmens, der weltweit ersten digitalen und automatisierten Toll für die Qualitätssicherung bei menschlichen Blutproben.
Zur Krise war es gekommen, weil Smart4Diagnostics zwar gemeinsam mit namhaften Partnern aus dem medizinischen Bereich an mehreren internationalen Ausschreibungen mit einem Volumen von mehreren Millionen Euro beteiligt war, diese sich jedoch zeitlich nach hinten verschoben haben. Das Startup konnte die laufenden Kosten und die Investitionen in die Weiterentwicklung der Software bis zu den Entscheidungen nicht aus dem laufenden Geschäftsbetrieb erwirtschaften. Die bisherigen Gesellschafter waren nicht bereit, weitere Mittel in das Unternehmen zu investieren. Daraufhin hat die Geschäftsleitung frühzeitig einen Insolvenzantrag gestellt, sodass im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ein neuer Investor gesucht und gefunden werden konnte.
Der Insolvenzplan
Die Alternative zur übertragenden Sanierung ist der Insolvenzplan. Mit diesem Instrument kann sich ein Startup quasi aus sich selbst heraus sanieren. Im laufenden Insolvenzverfahren verhandelt Ihr als Geschäftsleiter dabei unter Beteiligung des Insolvenzverwalters einen Vergleich mit den Gläubigern, der meist einen Teilverzicht vorsieht. Finanziert werden kann dies entweder aus den durch die Fortführung erwirtschafteten Mitteln oder durch Drittmittel. Der Vorteil: Beim Insolvenzplan bleibt die Gesellschaft als solche erhalten und auch die Gesellschaftsanteile des Startups bleiben potentiell werthaltig. Dass sie deshalb von einer Sanierung mit Insolvenzplan profitieren, ist wiederum grundsätzlich ein Anreiz für die Gesellschafter, dieses Verfahren anzugehen und zu unterstützen. Da es aber umfangreiche Verhandlungen mit den Beteiligten und ein gerichtliches Abstimmungsverfahren erfordert, muss man für ein Insolvenzplanverfahren in aller Regel einen Zeitrahmen von drei bis sechs Monaten einplanen.
Das passende Sanierungsinstrument individuell prüfen
Auch wenn sich das auf den ersten Blick so liest, als ob der Insolvenzplan immer die bessere Alternative wäre, gilt die Devise: Das passende Sanierungsinstrument sollte für jedes Startup individuell geprüft werden. Mit dem Blick auf den Insolvenzplan ist es so, dass die meisten Startups – und das gehört auch zur Wahrheit – nicht die Liquiditätsreserven haben, um einen normalen Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten zu können, bis der Plan ausverhandelt ist, und häufig auch keine ausreichenden Überschüsse zur (teilweisen) Gläubigerbefriedigung erwirtschaften. Deshalb ist für die meisten Startups in der Praxis eher die übertragende Sanierung das Sanierungsinstrument der ersten Wahl, da sie sich in aller Regel schneller umsetzen lässt. In jedem Fall steht jedoch fest: Eine Krise oder finanzielle Schieflage nach der Unternehmensgründung muss nicht das Ende eines Startups sein.