Nach vielen Jahren in der Startup-Szene und über 100 begleiteten GründerInnen stelle ich immer wieder fest: Der Übergang vom Startup zum Scale-up ist die kritischste Phase im Leben eines Unternehmens. Und gleichzeitig die Phase, in der die meisten GründerInnen allein gelassen werden. Die größte Herausforderung dabei? Die persönliche Transformation der GründerInnen selbst.
Der blinde Fleck der GründerInnen
„Mein Unternehmen wächst – aber ich wachse nicht mit.“ Diesen Satz höre ich oft von GründerInnen, die merken, dass etwas nicht stimmt. Sie spüren, dass sie selbst zum Flaschenhals werden. Ihre bisherigen Erfolgsrezepte funktionieren nicht mehr.
Was viele nicht sehen: Die Professionalisierung eines Startups beginnt nicht mit Prozessen und Strukturen. Sie beginnt mit der persönlichen Entwicklung der GründerInnen. Der Übergang vom Macher zum Leader, vom Gründer zum CEO, ist der kritischste Schritt.
Die häufigsten Stolperfallen im Scale-up-Prozess
In meiner täglichen Arbeit mit GründerInnen beobachte ich immer wieder folgende typische Verhaltensmuster, die den Professionalisierungsprozess erschweren:
Besonders auffällig ist die Tendenz, sich erfahrene Manager als Retter ins Team zu holen. Sie sollen die ersehnten Strukturen einführen, mit denen sich die GründerInnen schwertun. Leider schaffen sie oft Strukturen und Prozesse, die in größeren Unternehmen funktionieren, aber im Startup völlig überdimensioniert sind und alle frustrieren. Die Lösung: Kein Copy & Paste, sondern die Erfahrung als Impuls nutzen, um gemeinsam passende Strukturen zu entwickeln.
Ein weiteres häufiges Muster ist der Mangel an Selbstreflexion. Viele GründerInnen unterschätzen fundamental, wie sehr sich ihre eigene Rolle im wachsenden Unternehmen wandeln muss. Statt sich aktiv mit ihrer Entwicklung vom operativen Macher zum reifen Leader auseinanderzusetzen, klammern sie sich an gewohnte Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Sie übersehen dabei, dass echtes Leadership eine völlig neue Art der Führung erfordert.
Besonders paradox ist der Umgang mit der Unternehmenskultur: Aus Angst, die ursprüngliche Startup-DNA zu verlieren, werden notwendige Veränderungen aufgeschoben. Doch genau diese Vermeidungshaltung führt häufig zum Verlust der Kultur – wenn nämlich der Veränderungsdruck so groß wird, dass überhastete Anpassungen vorgenommen werden müssen. Eine schrittweise werteorientierte Weiterentwicklung der Kultur wäre der bessere Weg.
Die 5 Erfolgsfaktoren der Professionalisierung
Basierend auf meiner langjährigen Arbeit mit Startups habe ich fünf zentrale Erfolgsfaktoren identifiziert, die über Erfolg oder Scheitern in der Wachstumsphase entscheiden:
1. Institutionalisierung als Fundament
Der schwierigste Schritt für viele GründerInnen: Ihr müsst Euch selbst „überflüssig“ machen. Das bedeutet, implizites Wissen in explizite Strukturen zu überführen. Wichtig dabei: Weniger ist mehr. Definiert Eure unverhandelbaren Mindeststandards, aber erschafft keine Bürokratiemonster. Mein Tipp: Beginnt mit einer klaren Rollenverteilung im Führungsteam – erst die Verantwortlichkeiten definieren, dann die richtigen Menschen finden.
2. Vision und Zielklarheit schaffen
„Wir brauchen eine Vision!“ Dieser Ruf aus dem Team ist ein Alarmsignal. In der Wachstumsphase braucht Ihr mehr als nur eine vage Idee von der Zukunft. Entwickelt eine greifbare Mission und Vision, die auch Eure Mainstream-Kunden begeistert. Übersetzt diese in konkrete OKRs oder andere Zielsysteme. Euer Team braucht diese Orientierung.
3. Echte Führung entwickeln
Der Übergang vom „Leader of Doers“ zum „Leader of Leaders“ ist der kritischste Schritt. Entwickelt systematisch Eure internen Talente zu Führungskräften. Wenn Ihr externe Manager holt, achtet mehr auf den Cultural Fit als auf hard skills. Meine Erfahrung zeigt: Viele Konzernmanager scheitern nicht an der fachlichen Kompetenz, sondern an der Dynamik der Startup-Phase.
4. Wachstumskultur aktiv gestalten
Als CEO seid Ihr der „Chief of Culture“. Überprüft regelmäßig: Welche kulturellen Elemente unterstützen unser Wachstum? Was behindert uns? Besonders wichtig: Eure Werte müssen sich in den neuen Strukturen widerspiegeln. Kultur ist kein Nice-to-have, sondern Euer wichtigstes Führungsinstrument.
5. Kommunikation als Schlüssel
In der Wachstumsphase könnt Ihr nicht mehr mit jedem persönlich sprechen. Ihr müsst neue Wege finden, um Eure Botschaften zu vermitteln. Mein Rat: Kommuniziert lieber zu viel als zu wenig. Nutzt verschiedene Formate und stellt sicher, dass wirklich jeder im Unternehmen die Reise versteht.
Alles auf neu: Die Zukunft der Startup-Professionalisierung
Ja, Professionalisierung hat viel mit den richtigen Strukturen und Prozessen zu tun. Man muss raus aus dem kreativen Ad hoc der ersten Startupzeit, hin zu replizierbaren Prozessen und Strukturen. Doch das ist lange nicht alles. Selbst die besten Prozesse haben ihre Grenzen. Und dann kommt es auf das Vertrauen und Miteinander im Team an. Auch – oder gerade – in großen Unternehmen gilt: Führung ist Beziehungsarbeit. Tiefes Vertrauen ist der Kitt, der New Work, hybride Arbeitsmodelle und die Generation Z motiviert, antreibt und letztlich erfolgreich macht.
Zukunftsweisende GründerInnen bauen Vertrauen ganz bewusst auf, Schritt für Schritt. Sie fangen mit der Übergabe kleiner Aufgaben an, tauschen sich intensiv über den Fortschritt und die Ergebnisse aus und können so immer besser loslassen. Vergesst den Wurf ins kalte Wasser. Das kann mal gut gehen, aber meist führt es ins Desaster.
Entscheidend ist Eure emotionale Intelligenz. In hybriden Arbeitsmodellen wird die Fähigkeit, Menschen auch auf Distanz zu verstehen und zu führen, zur Schlüsselkompetenz. Das erfordert ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und emotionalem Verständnis.
Hinzu kommt die wachsende Bedeutung systemischen Denkens in einer immer komplexer werdenden Welt. Erfolgreiche CEOs müssen Zusammenhänge erkennen und Systeme gestalten können, statt nur Einzelprobleme zu lösen.
Zeitlose Prinzipien für nachhaltiges Wachstum
Eins vorab: Es gibt keinen universellen Weg der Professionalisierung. Jedes Startup muss seinen eigenen Weg finden. Was es aber gibt, sind zeitlose Prinzipien, die den Erfolg der Transformation maßgeblich beeinflussen. Authentizität ist dabei der Schlüssel. Statt blind die vermeintlichen Best Practices großer Tech-Unternehmen zu kopieren, sollten Startups eigene Lösungen entwickeln, die zu ihrer DNA passen. Ein authentischer, wenn auch unvollkommener Ansatz wird vom Team besser angenommen als ein perfektes, aber aufgesetztes System.
Auch das Tempo der Veränderung spielt eine entscheidende Rolle. Radikale Umstrukturierungen überfordern sowohl die Organisation als auch die Menschen darin. Erfolgreicher ist ein evolutionärer Ansatz mit kontinuierlichen, kleineren Anpassungen. Wenn Teams Zeit bekommen, sich an Veränderungen zu gewöhnen, entstehen nachhaltigere Strukturen.
Besonders unterschätzt wird dabei die Bedeutung von psychologischer Sicherheit. Echtes Wachstum – sowohl persönlich als auch organisatorisch – braucht ein Umfeld, in dem Menschen keine Angst vor Fehlern haben müssen. Eine Kultur, die offenes Feedback ermöglicht und aus Fehlern lernt, ist der Nährboden für erfolgreiche Transformation.
Ein persönliches Wort zum Schluss
Als ehemalige C-Level Managerin kenne ich beide Seiten: Die Herausforderungen des Wachstums und die Schmerzen des Scheiterns. Der Weg vom Gründer zum CEO ist eine der größten persönlichen Herausforderungen überhaupt. Er verlangt Mut, Demut und die Bereitschaft, sich selbst immer wieder neu zu erfinden.
Mein Appell an alle GründerInnen in der Wachstumsphase: Nehmt Euch die Zeit für Eure persönliche Entwicklung. Sucht Euch Sparringspartner. Reflektiert regelmäßig. Die Professionalisierung Eures Startups ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Aber mit der richtigen Einstellung und Unterstützung könnt Ihr diese Phase nicht nur meistern, sondern gestärkt aus ihr hervorgehen. Denn eines ist sicher: Nur wer selbst wächst, kann ein Unternehmen nachhaltig wachsen lassen.