In Deutschland bleibt der Anteil von Gründerinnen in der Startup-Szene weiterhin gering – bei nur 19 Prozent. Im vergangenen Jahr sank dieser Anteil sogar leicht, obwohl Gründerinnen in den letzten Jahren zunehmend mehr Wagniskapital für ihre Projekte sichern konnten. Die vom Startup-Verband im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführte Studie, für die deutschlandweit mehr als 1.800 Startup-UnternehmerInnen und 1.000 Studierende befragt wurden, zeigt auf, dass es mehrere Faktoren gibt, die diesen Gendergap in der Gründerszene bedingen. Von mangelnden Impulsen im Bildungssystem bis hin zu Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Unternehmertum – die Ursachen sind vielfältig und müssen dringend angegangen werden. Verena Pausder, Vorstandsvorsitzende des Startup-Verbandes, erklärt dazu:
„Deutschland kann es sich nicht leisten, auf das Potenzial von Frauen zu verzichten. Sie sind
die größte stille Reserve unseres Landes. In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation brauchen wir alle, die unsere Wirtschaft nach vorne bringen. Startups sind entscheidend, um neue Impulse zu setzen und wieder Dynamik zu entfalten. Mehr Gründerinnen bedeuten mehr Innovation in Deutschland.“
Frühe Weichenstellungen durch gesellschaftliche Normen
Der Gendergap im Startup-Ökosystem beginnt bereits in der Jugend. Während zwei Drittel der männlichen Gründer in Deutschland bereits als Jugendliche oder während des Studiums den Plan zur Gründung fassten, sind es bei den Frauen nur 43 Prozent. Dieser Unterschied lässt sich auf gesellschaftliche Normen und Rollenerwartungen zurückführen, die das Risikobewusstsein von Frauen und Männern unterschiedlich prägen. So streben 60 Prozent der Studentinnen einen sicheren Arbeitsplatz an, während nur 32 Prozent der männlichen Studierenden dasselbe Ziel verfolgen. Dieses unterschiedliche Verständnis von beruflichen Risiken führt dazu, dass Frauen in ihrer Karriere selten von Anfang an den Schritt in Richtung Unternehmensgründung wagen.
„Es wird deutlich, dass Unternehmertum nicht am fehlenden Interesse scheitert – sondern an
Rahmenbedingungen, die erst später in der Laufbahn zur Selbstständigkeit ermutigen. Frauen
ziehen ihre Gründungsmotivation stärker aus beruflicher Erfahrung und wollen häufiger gesellschaftlich wirken“,
ist sich Jennifer Eschweiler, Gründungsexpertin der Bertelsmann Stiftung, sicher.
Kultureller Wandel und Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Die Studie verdeutlicht, dass es dringend eines Kulturwandels bedarf, um den Gendergap zu verringern. 87 Prozent der Gründerinnen sehen den ungleichen Zugang zu Gründungsmöglichkeiten als Problem, während nur 50 Prozent der Männer diese Herausforderung wahrnehmen. Interessanterweise steigt das Problembewusstsein bei Männern in gemischten Teams auf 64 Prozent. Dies zeigt, wie wichtig es ist, dass sich männlich dominierte Netzwerke weiter öffnen und diverser werden.
Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Vereinbarkeit von Familie und Unternehmertum. Gerade für Frauen fällt die Familiengründung oft mit der Unternehmensgründung zusammen, was zu zusätzlichen Herausforderungen führt. Frauen leisten nach wie vor den Großteil der Care-Arbeit, und auch wenn 81 Prozent der Gründerinnen und 60 Prozent der Gründer die Vereinbarkeit als den wichtigsten Hebel zur Erhöhung des Gründerinnenanteils sehen, bleibt der Zugang zu flexiblen Arbeitsmodellen und familienfreundlichen Strukturen ein ungelöstes Problem.
Wagniskapital: Positiver Trend, aber noch große Schieflage
Trotz der strukturellen Barrieren zeigt die Studie einen positiven Trend in Bezug auf die Finanzierung von Startups mit Gründerinnen. Seit 2017 hat sich die Zahl der Risikokapital-Finanzierungen für diese Startups fast verdoppelt, und das investierte Kapital wurde sogar vervierfacht. Dennoch fließen weiterhin 91 Prozent des gesamten Wagniskapitals in rein männliche Gründungsteams. Diese Schieflage weist auf das noch ungenutzte Potenzial hin, das Gründerinnen für das Startup-Ökosystem darstellen. Julia Scheerer, Wirtschaftsexpertin der Bertelsmann Stiftung, sagt dazu:
„Gründerinnen den Weg zu ebnen, ist daher eine Gemeinschaftsaufgabe. Frauen werden durch fehlende Vorbilder und Stereotype gebremst. Politik, InvestorInnen und das gesamte Startup-Ökosystem sind gefordert, für bessere Rahmenbedingungen zu sorgen. Denn eines ist klar: Mehr Gründerinnen bedeuten mehr Innovation – und mehr Innovation brauchen wir für eine erfolgreiche Zukunft.“