Wer profitiert vom Brexit?

Der 23. Juni 2016 bedeutet eine gewaltige Zäsur in der Geschichte Europas: Das Vereinigte Königreich will raus aus der EU, zumindest die Mehrheit derer, die gewählt haben. Der Brexit-Schock sitzt tief. Dennoch beginnt schon jetzt das Tauziehen und Werben um Unternehmen, die nach der Entscheidung der Briten auf der Suche nach einem neuen Standort in Europa sind.

Bayerns Finanzminister Söder zum Beispiel hofft auf eine enorme Stärkung Münchens als Finanzstandort in Deutschland und legt Wolfgang Schäuble ans Herz, die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) aus London kurzerhand in die bayerische Landeshauptstadt zu verlegen. Die Bankenstadt Frankfurt am Main solle schließlich keine allzu große Vormachtstellung in der Bundesrepublik innehaben.

Wie steht’s um München?

Währenddessen wähnt sich Berlin bereits als großer Startup-Profiteur und neuer Magnet für Fintech-Startups, die bisher in London residierten. Als Konkurrent tritt in der medialen Wahrnehmung allerdings noch Dublin auf. Technologiekonzerne wie Facebook und Google haben ihre Europazentralen bereits in der irischen Hauptstadt angesiedelt.

Für viele Firmen wird jedoch München der ideale Standort sein.  Schließlich ist München laut einer Deloitte-Studie Deutschlands Digitalstandort Nummer 1.  Die Institute Prognos und HWWI bescheinigen der Landeshauptstadt die besten Zukunftsaussichten aller deutschen Städte. Als Europas Top-IKT-Standort hat die EU-Kommission München ermittelt. Und eben angesprochene Großkonzerne wie Google erweitern sukzessive ihre Aktivitäten in der Isar-Metropole: Nach einem nigelnagelneuen Entwicklungszentrum für bis zu 800 Mitarbeiter wurde kurzerhand auch ein Trainingszentrum des Suchmaschinenimperiums eröffnet. IBM verlegte erst kürzlich den Hauptsitz seines Geschäftsbereichs Watson IoT nach München. Rund 1.000 Entwickler will der US-Konzern in der Landeshauptstadt ansiedeln.

Weitere Faktoren, die starke Anziehungskraft auf Startups ausüben, sind zudem:

  1. Mit 7 von 30 DAX-Unternehmen residieren in München mehr Top-Firmen als in jeder anderen deutschen Stadt
  2. Dank seiner beiden Eliteuniversitäten bietet München hochausgebildete, internationale Fachkräfte
  3. Keine andere deutsche Stadt kann mit der Lebensqualität in München mithalten (Quelle: Mercer)

Weitere Digitalisierungsvorhaben im Freistaat und speziell in München schreiten mit Sieben-Meilen-Stiefeln voran. Neben bereits bestehenden Gründerzentren, Incubatoren und Acceleratoren, ist der Bau eines neuen Digitalisierungs- und Innovationszentrums im Herzen Münchens, welches 2019 eröffnen soll und besonderen Wert auf Internationalität legt, bereits beschlossene Sache.

Das Nest ist also gemacht. Nun gilt es nur noch, sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen und den Londoner Entrepreneuren zu zeigen, dass München neben dem Oktoberfest noch viel mehr zu bieten hat und einer der führenden High-Tech-Standorte Europas ist.

Stimmen zum Brexit aus der Münchner Startup-Szene

Josef Schmid, Wirtschaftsbürgermeister der Landeshauptstadt München:

„Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass UK in der EU bleibt, aber man muss jetzt mit der Entscheidung der Briten leben und den Brexit als Chance wahrnehmen und diese nutzen. Viele Firmen – vom Startup bis zum Großunternehmen – müssen sich, je nach Verlauf der Verhandlungen, wohl gezwungenermaßen einen neuen Standort innerhalb der Europäischen Union suchen. Sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch in puncto Lebensqualität spielt der Standort München in Europa ganz vorne mit und bietet Gründern, Mittelständlern und Großunternehmen optimale Rahmenbedingungen.“

Franz Glatz, Geschäftsführer WERK1.Bayern:

„Der Brexit ist kein Sieg für Berlin. Es ist eher wie bei einer Fußballmeisterschaft, wenn eine Mannschaft im Turnier nicht mehr antritt. Da gewinnt nicht automatisch eine andere Mannschaft, sondern die Spiele gehen weiter. Die Startups werden hoffentlich dahingehen wo die Rahmenbedingungen, das Kapital und die Kunden am besten passen. Da wird München sicherlich auch so manchen Punktsieg erreichen. Da hilft sicherlich auch unser neuer InsurTech-Fokus, der Talentpool der Universitäten oder auch die lebhafte Startup-Szene. “

Dr. Carsten Rudolph, Geschäftsführer BayStartUP:

„Rein sachlich betrachtet wird sich für die Münchener Startups (und alle anderen außerhalb Großbritanniens) nicht allzuviel ändern, schon gar nicht kurzfristig. Ob der Brexit die Märkte für britische Startups abschottet und so Chancen für andere Regionen bietet, zu neuen Hotspots zu werden wird von den Verhandlungen abhängen. Dennoch bleibt der Brexit ein fatales Signal für ein modernes Europa, denn von offenen Märkten und der Freizügigkeit der Arbeitskräfte profitieren gerade Startups besonders stark.“

Dr. Donald Leonhard-MacDonald, CTO Leonhard-MacDonald Ventures GmbH:

„As a Scottish entrepreneur I am very happy to be European and hope Scotland will be able to remain part of the European Union. I’m grateful for the opportunity to locate my company in Munich and work with talented people from all over Europe without worrying about red tape or borders. Munich is especially well suited for starting high-tech B2B companies because of its strong economy, access to industry partners and research excellence.“