Was muss passieren, um vom Dauer-Fundraising-Modus zu einem 20 Millionen Investment zu kommen? Man muss beweisen, dass die Geschäftsidee funktioniert. Genau das haben Alexander Henn und Philip Magoulas, Gründer des Münchner Startups Shore, geschafft. Und konnten damit zuletzt Investoren wie die Funke Mediengruppe, die Metro Group und Bayern Kapital von sich überzeugen.
Was macht Shore eigentlich? Das Münchner Startup bietet Digitalisierungslösungen für kleine und lokale Dienstleister. Zwar gibt es bereits branchenspezifische Lösungen, aber mit dem Software-as-a-Service-Konzept von Shore und der damit verbundenen Produktvielfalt setzt sich das Startup als Spezialist für B2B-Digitalisierungslösungen deutlich von anderen Anbietern auf dem Markt ab.
Dass der Weg dorthin nicht immer straight war, weiß wohl keiner besser, als Alexander Henn, Gründer von Shore. Er startete damals noch mit Termine24 – heute eben Shore – und stellte immer wieder fest, dass der eingeschlagene Weg manchmal etwas Korrektur benötigt, um zum Erfolg zu führen. Welche Learnings er heute daraus zieht, darüber haben wir mit ihm gesprochen.
- Nimm Dir Zeit und finde das richtige Team!
„Zu Beginn musste und sollte alles sehr schnell gehen. Wir haben deswegen nicht das richtige Team gesucht, sondern viel auf Freelancer gesetzt, die nicht unbedingt immer sehr committed dem Projekt gegenüber waren.“
Die logische Konsequenz daraus: Anstelle von vielen, freien Mitarbeitern setzt man heute auf ein festes Team bei Shore. Und nimmt sich bei der Suche nach geeigneten Leuten die nötige Zeit. Mittlerweile besteht das Team aus knapp 250 Mitarbeitern und soll noch weiterwachsen – aber nur sehr zielgerichtet, wie Alexander betont. Der Schwerpunkt liegt dabei im Bereich IT.
Aber nicht nur das Team, sondern auch die Wahl des Geschäftspartners ist entscheidend. Und für Alexander, der eigentlich nie einen Partner mit an Bord haben wollte, auch ein neuer Schritt:
„Ich war immer eher der Typ, der alleine gegründet hat. Ich habe mir nie Kollegen oder Partner gesucht, weil ich der Meinung war, dass ich agiler und schneller alleine bin. Sobald man Partner hat, muss man sich arrangieren.“
Klare Einstellung. Bis er in Berlin zufälligerweise Philip Magoulas kennenlernt, einem Zalando-Mitarbeiter der ersten Stunde. Was Alexander an Philip schätzt: Seine visionäre Art, auf Dinge zu blicken. Seinen Gründermut. Und seine Erfahrung, wie man ein Unternehmen von 10 auf 1000 Mitarbeiter skalieren kann, ohne dass die Prozesse dabei ins Straucheln geraten. „Ohne ihn wäre das schnelle Wachstum von Shore in einem einzigen Chaos geendet“, gibt Alexander ganz offen zu.
Was beide verbindet: Die Überzeugung, dass die Digitalisierung von lokalen Leistungen das nächste große Ding werden kann. Und der Erfolg gibt ihnen offensichtlich Recht.
„Wir haben zu Beginn alles erstmal falsch gemacht“
- Konzentriere Dich auf eine Idee und arbeite nicht an drei gleichzeitig!
„Wir haben zu Beginn alles erstmal falsch gemacht. Zum Beispiel haben wir anfänglich viel zu viel entwickelt. Dafür haben wir viele Leute gebraucht und hatten viel zu hohe Kosten.“
Das ressourcenintensive Entwickeln hat das Münchner Startup viel Zeit und Geld gekostet. Mittlerweile kann man dem bei Shore aber auch etwas Gutes abgewinnen – denn auf lange Sicht profitiert das Unternehmen davon:
„Zwar haben wir am Anfang etwas länger für unsere Produktentwicklung gebraucht, aber der testgetriebene Ansatz mit verschiedenen Entwicklungsebenen hat sich dann doch noch für uns ausgezahlt, denn wir mussten von den entwickelten Sachen am Ende nur wenige in die Tonne treten.“
Nichtsdestotrotz besteht die Gefahr, sich in vielen Ideen zu verlieren – so, wie es Alexander auch bei anderen Anbietern auf dem Markt gesehen hat. Das Ergebnis: Man bleibt in einer Nische stecken. Dass das bei Shore nicht der Fall ist, liegt zum einen an der fundierten Produktentwicklung. Zum anderen aber auch daran, dass das Münchner Startup Glück hatte und auf Anhieb einen guten Einstieg in den Markt finden konnte.
- Beharre nicht auf Dingen, nur weil Du sie Dir anfänglich so überlegt hast!
„Gerade, wenn man alleine gründet und nicht viel Geld hat, sollte man bereit sein, schnell wieder Produkte abzustoßen, die nicht funktionieren. Also nicht einfach vor sich hin entwickeln und darauf hoffen, dass sich alles zum Positiven entwickelt.“
Bei Shore bedeutet das, sich relativ früh vom ursprünglichen B2C Geschäftsmodell zu verabschieden und sich anstelle dessen nur auf den Bereich „Kundenmanagement-System für Dienstleister“, also B2B, zu konzentrieren. Ein klassischer Pivot also. Außerdem wird der Fokus auf Produkte gelegt, die sich Zielgruppen-technisch am leichtesten vermarkten lassen:
„Wir haben angefangen mit Online-Booking. Das gab es natürlich zum Beispiel mit Booking-Table davor auch schon. Aber es gab keine Lösung, die alle Bereiche umfasste. Dass du deinen Arzt genauso buchst wie deinen Friseur – dafür gab es noch keinen Anbieter.“
Neben dem Terminbuchungs-Element gibt es auch ein Modul für Kundenmanagement, ein Web-Modul zum Erstellen eines eigenen Webauftritts, eines für iPad-gestützte Kassensysteme und noch einiges mehr. Die einzelnen Module können je nach Kundenwunsch zusammengestellt werden.
Newsletter-Versand so einfach wie eine SMS
Der Anspruch des Münchner Startups: Du hast Shore und benötigst keine weiteren Systeme mehr, um Dich digital zu managen. Und: Ein Newsletter soll letztendlich genauso einfach verschickt werden können wie eine SMS.
Ein klares Pro für die Neuausrichtung der Zielgruppe: Die Anzahl kleiner Unternehmen wie Friseure, Gastronomen oder Nagelstudios, die mit der Digitalisierung ihres Betriebes oft noch ganz am Anfang stehen, ist enorm. Und damit natürlich auch die Zahl der potentiellen Leads.
- Denke strategisch und nicht nur an morgen!
„Ich hätte im Rückblick etwas strategischer denken sollen. Also nicht nur im Auge haben, wie ich das nächste Jahr Geld verdienen kann, sondern was in den kommenden fünf Jahren die Themen sind, die groß werden.“
Strategisch denken ist aber wahrscheinlich einfacher, wenn die Finanzierung steht. Die Suche nach geeigneten Investoren gestaltete sich bei Shore jedoch nicht immer einfach:
„In Deutschland benötigt man einen deutlich höheren Proof für hohe Investitionen als beispielsweise in Amerika. Man wird nur an Umsätzen gemessen und bekommt – gerade auch für ein Softwareprodukt – relativ wenig Vertrauensvorschuss.“
Mittlerweile konnte das Münchner Startup aber seinen Proof of Concept erbringen und vor einigen Wochen einen größeren Deal an Land ziehen: Bei der letzten Finanzierungsrunde im Sommer 2016 sammelten Alexander und sein Team ein Investitionskapital von insgesamt 20 Millionen Euro ein. Neben der Funke Mediengruppe ist unter anderem auch der Wachstumsfond Bayern von Bayern Kapital mit an Bord. Über die weiß Alexander nur Gutes zu berichten:
„Bayern Kapital haben wir als sehr korrekten und pragmatischen Partner erlebt, ein echter Glücksfall für uns. Wir hatten davor immer großen Respekt, staatliches Kapital zu holen. Auch, weil der ganze Prozess natürlich ein bürokratischer Aufwand ist. Aber jetzt freuen wir uns, dass sie dabei sind.“
- Mache Deine eigenen Erfahrungen!
„Trotz aller hilfreicher Tipps, die man überall in der Startup-Szene bekommt: Ich bin der Meinung, dass man Erfahrungen von anderen nicht automatisch transferieren kann. Stattdessen sollte man einfach mal machen und ausprobieren.“
Dementsprechend hält Alexander auch nicht allzu viel vom ständigen Netzwerken und Austausch innerhalb der Startup-Szene. „In der Phase, in der man ein Unternehmen aufbaut, hat man eigentlich auch gar keine Zeit zum Netzwerken.“
„Wir konnten lange unter dem Radar fliegen“
Mit seinem Unternehmenssitz in München ist er aber ganz zufrieden. Auch, weil er mit Shore hier „im Gegensatz zu Berlin lange unter dem Radar fliegen konnte.“ Außerdem ist in München die Fluktuation von Mitarbeitern sehr gering – die Leute leben und arbeiten gerne in der bayerischen Landeshauptstadt.
Die macht es Startups aber auf der anderen Seite manchmal auch extrem schwer, findet Alexander. Beispielsweise wenn es darum geht, geeignete Büro- und Wohnflächen zu finden:
„Wir haben über ein Jahr nach geeigneten Büroflächen gesucht, daran kann ein Startup schon auch mal kaputtgehen. Auch Wohnungen für neue Mitarbeiter zu finden gestaltet sich extrem schwierig und beschäftigt nicht wenige Leute in unserer Personalabteilung. In anderen Städten ist das natürlich etwas leichter.“
Und wie geht es weiter?
„Bisher hat das Geld nie besonders lange gereicht, wir waren eigentlich immer im Dauer-Fundraising-Modus. Mit dem letzten Investment haben wir zum ersten Mal ein größeres Zeitfenster, mit dem Geld zu arbeiten und aus eigener Kraft den Break-Even zu erreichen.“
Gute Aussichten also. Shore hat sich außerdem zum Ziel gesetzt, kein europäisches Phänomen zu bleiben. Und tatsächlich konnten erste Erfolge auf dem amerikanischen Markt bereits erzielt werden. Mit dem frischen Invest sollen die auch noch weiter ausgebaut werden. Nicht zuletzt, weil von dort innovative Softwareentwicklungen kommen und sich neue Kooperationsmöglichkeiten auftun könnten, ist sich Alexander sicher.
Aber bei Shore will man nicht nur in die Internationalisierung investieren, sondern auch das Angebot weiter ausbauen. Dafür müssen die Entwicklungen nicht immer aus dem eigenen Haus kommen. Die Idee: Ein Marktplatz für andere Anbieter.
„Wir haben uns mittlerweile eine große Kundenbasis aufgebaut, die auch andere Anbieter für ihre Produkte nutzen könnten. Damit kann Shore zukünftig auch Themen abdecken, zu denen wir keine eigenen Entwicklungen haben. Wir wollen also eine Art Marktplatz für alle Bereiche und Produkte werden, die unsere Kunden interessieren könnten.“
Man darf also gespannt sein, was noch alles passiert bei Shore. Unter dem Radar werden sie aber sicher auch nicht mehr in München weiterfliegen.