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re:publica: Andrea Nahles vs. Grundeinkommen

Tag 2 auf der re:publica — Arbeitsministerin Andrea Nahles will dem Publikum eine liebgewordene Vision  ausreden. Außerdem: Eine europäische Digitalcharta mit Sascha Lobo, Hass-Bingo und Hundewelpen.

Gestern berichteten wir aus Berlin, die re:publica sei  eigentlich eine Gesellschafts- und nicht nur eine Digital-Konferenz. Die Digitalisierung betrifft schließlich längst alle Bereiche der Gesellschaft. Viele Speaker suchen jedoch gezielt den Kontakt zum digital-affinen Publikum, um sich und ihre Projekte vorzustellen. So auch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles mit  ihrem Vorschlag eines „Persönlichen Erwerbstätigenkontos“ — als Alternative zur Vision  eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Zu Beginn der Veranstaltung fragte der Moderator die Anwesenden im prall gefüllten Vortragssaal, wer die Idee eines BGE unterstütze — und rund die Hälfte der Anwesenden hoben die Hand. Bei der Gegenfrage, bekannten sich nur vereinzelte Zuhörer als Gegner der Idee.  Kein Heimspiel für Nahles.

Die Ministerin sagte, sie sei bewusst in die „Höhle des Löwen“ gekommen und versuche das Publikum von ihrem Modell zu überzeugen. Denn wer sich für das BGE erwärme, mache sich überhaupt Gedanken über die Arbeitswelt von morgen — man habe gewissermaßen dasselbe Problem. Nahles zählte indes auf, weshalb sie das BGE ablehnt: Zu teuer, eine zu geringe monatliche Summe  für wirklich Hilfsbedürftige, kein geeignetes Instrument, um Mini-Löhne anzuheben und:

„Ich will das nicht haben!“,

so Nahles, denn ihr sei die Abhängigkeit vom Staat ebenso zuwider wie die von ihrem Mann oder ihren Eltern.

Ihre Alternatividee: Jeder erhält zum 18. Geburtstag einen festen Betrag auf ein zweckgebundenes „Konto“. Nahles nannte als Vorschlag die Summe von 15.000 bis 20.000 Euro. Diesen Betrag können die Bürger dann im Laufe ihres Lebens einsetzen: Für Gründungsunterstützung, die Bezuschussung ehrenamtlichen Engagements oder die persönliche Weiterbildung. Das Konto soll eine Ergänzung zu bestehenden Fördermöglichkeiten sein und unabhängig von allen übrigen Instrumenten laufen. Dann forderte sie die Zuhörer zur Diskussion.

re:publica Andrea Nahles
Der volle Saal während Andrea Nahles‘ Vortrag.

Das Publikum goutierte das Gesprächsangebot der Ministerin mit freundlichem Applaus. Einige  Zuschauer, die sich zu Wort meldeten,  beharrten gegenüber Nahles aber darauf, ihr Vorschlag laufe ins Leere: Durch die Digitalisierung sei die klassische Erwerbsarbeit am Ende. Mittelfristig würde menschliche Arbeit schlicht nicht mehr gebraucht. Da helfe auch ein Konto, das sich eben doch wieder an Erwerbstätige richte, nichts. Nur das BGE sei die Lösung. Nahles dazu:

„Ich glaube nicht an das Ende der Erwerbsarbeit. Auch in dreißig Jahren wird es lohnbezahlte Arbeit geben!“

Wenn wirklich weniger Arbeit nötig sei, könne man ja die Wochenarbeitszeit der Arbeiter und Angestellten reduzieren.

Auch die weiteren Wortmeldungen rankten sich immer wieder um diese Frage. Denn von  der Zukunft der Lohnarbeit hängt schlussendlich auch die passende politische Lösung ab: BGE oder weiter wie bisher — vielleicht bald mit zusätzlichem Puffer zur persönlichen Weiterentwicklung.

Eine Digitalcharta für Europa

Auch das Projekt einer europäischen Charta der Digitalen Grundrechte sucht den kreativen Nährboden der re:publica. Als Konferenz in der Konferenz fanden mehrere Workshops und Diskussionen statt, mit dem Ziel, die Digitalcharta gemeinsam weiterzuentwickeln.

re:publica Sascha Lobo und andere
Die Subkonferenz auf dem Weg zu einer Digitalcharta.

Das Dokument  soll die digitalen Rechte der europäischen Bürger, von Unternehmen und staatlichen Stellen auch im digitalen Zeitalter regeln. Mit leichten Anleihen an der „Liquid Democracy“ aus dem Umfeld der Piratenpartei ist das Internetpublikum aufgerufen, zu kommentieren und mitzuarbeiten:  https://digitalcharta.eu/

Hate Speech: That’s a bingo!

Das Experimentieren hat auf der re:publica in einem Nebengebäude einen eigenen Platz: das labore:tory. Diverse Projekte stellen ihre mehr oder weniger experimentellen Anwendungen vor — noch immer mit starkem VR-Fokus. Auch Microsoft ist mit seiner Hololens vor Ort, die wir aber leider nicht ausprobieren konnten. Der WDR zeigt seine erschreckende VR-Doku „Inside Auschwitz“.

Hier einige Eindrücke aus dem labore:tory:

Im  Eingangsbereich des labore:torys befindet sich eine Lounge mit Bühne. Eine bemerkenswerte Veranstaltung dort: „Hate Bingo“. Die Zuschauer bekommen einen ausgefüllten Bingo-Zettel. Statt Zahlen stehen in den Feldern antisemitische, rassistische und  andere Beleidigungen. Auf der Bühne nahmen dann — wie es als Ergänzung im Veranstaltungstitel heißt — eine Jüdin (Bloggerin Juna Grossmann), eine Feministin (Autorin und Redakteurin  Lydia Meyer), ein Journalist (Patrick Stegemann) und ein schwarzer, homosexueller Mann (Videokolumnist Tarik Tesfu) Platz. Die Speaker lesen jeweils Hasskommentare, die sie im Internet erreicht haben, vor und erzählen, wie sie damit umgegangen sind. Die Zuschauer kreuzen die vorgetragenen Beleidigungen auf ihrem Zettel ab. Die Belohnung bei einem Bingo, also einer vollständigen Reihe auf dem Zettel: Pfefferminzschnaps. Die spaßige Veranstaltung hat auch einen therapeutischen Effekt: Über das Grauen im Netz zu sprechen, macht es vielleicht weniger unerträglich.

Polizeiwelpen

Mit einer ganz anderen Form der digitalen Kommunikation beschäftigt sich ein Panel zu Social-Media-Auftritten der Polizei. Schon länger suchen die Ordnungshüter Kontakt mit den Bürgern in den sozialen Netzen. Das fördere die Legitimität der Polizei und damit ihre Arbeit, so die Kommunikationswissenschaftlerin Katharina Kleinen-von Königslöw. Der  Community-Manager der Frankfurter Polizei André Karsten sitzt neben ihr auf dem Podium und erklärt, warum er für seinen Arbeitgeber  Posts wie diese absetzen:

https://www.facebook.com/PolizeiFrankfurt/posts/1900964093460473:0

Von der Reichweite und Interaktionsrate können andere Social-Media-Manager nur träumen. Allerdings funktionieren Tierbabys bekanntlich in fast jedem Kontext.

Frankfurter Social-Media-Polizist André Karsten
Der Frankfurter Social-Media-Polizist André Karsten.

Natürlich, so Karsten,  seien Social-Media-Nettigkeiten nicht immer angemessen —  etwa im Vorfeld von Demonstrationen, bei denen die Polizei mit Zusammenstößen rechnet.

Love out loud

Das omnipräsente Motto der Konferenz haben wir bisher ausgeklammert: Love out loud. Heißt: Wenn der Hass die Öffentlichkeit übernimmt, dann sprechen wir über das Positive, seien es Hundebabys, Bällebäder oder Bingo. Es bleibt zu hoffen, dass die vergangenen Tagen in Berlin vielleicht einige Anstöße für eine angenehmere Zukunft  liefern konnten.