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Gastbeitrag: Startup-Hype und Wirklichkeit

Es gibt Dinge, die in keinen Startup fehlen sollten. Was aber hat harte Gründer-
Arbeit mit Laptops im Café zu tun?  Ein Gastbeitrag von Thyra Andresen von BayStartUP, erschienen im magazin startUPdate.

Der erste Anruf morgens um neun bei einem der Gründer, die uns diese Ausgabe begleiten: Bene Seitz von evalu nimmt ihn ausgerechnet mit einem Cappuccino in der Hand in einem Café am Münchener Goetheplatz entgegen. Er lacht laut auf, als er vom Titelthema erfährt – das Eis für das Gespräch ist gebrochen, Klischee erfüllt. Oder? Die Realität sah bei evalu zu Gründungsbeginn ein wenig anders aus als das viel zitierte Berliner-Hipster-Café-Klischee.

„Auf dem Münchener TU Campus gibt es zwar ein Café, das wir voll ausgereizt haben. Aber zuvor war es für uns erstmal ein Kampf überhaupt einen Ort zu finden, an dem wir in Ruhe arbeiten konnten“,

sagt Seitz.

Das war zunächst ein kleines Durchgangsbüro von Seitz‘ Eltern. Irgendwann kam die EXIST-Finanzierung.

„Wir waren dann jeden Tag 40 Minuten damit beschäftigt von München aus in unserem Inkubator nach Garching zu fahren.“

Gründer-Realität trifft auf öffentliche Startup-Wahrnehmung

So kritisch man seine Ergebnisse betrachten mag, der Deutsche Startup Monitor 2016 erlaubt uns den Klischee-Check. In nicht einmal einem Viertel aller befragten Firmen wird demnach Tischfußball gespielt. In nur knapp 17 % ist Club Mate als Lieblingsgetränk und Koffeinlieferant Standardgetränk. Und die meisten Gründer (94,6 %) sehen es entspannt, wenn Mitarbeiter in Sweater oder Kapuzenpullis im Büro erscheinen. Und was ist mit der Grillparty bis zum Morgengrauen? Bürokratie und Back-Office Management schieben diesem Klischee in Deutschland oft einen Riegel vor. Bene Seitz betrachtet den Aufwand zum Beispiel für Förderprogramme aber von der positiven Seite.

„Ich persönlich habe das zu Beginn der Gründungsphase nicht als Problem wahrgenommen. Wenn du in Deutschland am Markt überleben willst, dann musst du dich auch ins System einarbeiten. EXIST war in dem Sinne eine gute Vorarbeit: man lernt, wie man sich schnell an trägere Systeme anpasst.“

Die Unternehmenskultur bei Gründern ist durch intensives Zusammenarbeiten und flache Hierarchien häufig sehr positiv geprägt. Wer sich bewährt, kann schnell viel Verantwortung übernehmen. Gründer und ihre frühen Mitarbeiter müssen sich daran gewöhnen, sehr früh für sehr viel verantwortlich zu sein, mit dem Wachstum des Unternehmens diese Verantwortung dann aber sinnvoll mit anderen zu teilen. Viele unterschätzen dabei die Zeit, die man investieren muss um ein Unternehmen erfolgreich aufzubauen. Zum Vergleich: voxeljet und va-Q-tec brauchten beide etwa 15 Jahre, um an die Börse zu gehen, mit vielen Meilensteinen und Entwicklungsschritten.

Die Strippen in der Hand halten und selbst Chef sein?

Bene Seitz sagt, es gehe ihm gar nicht so sehr um das Dasein als sein eigener Chef,

„aber ich möchte nicht Teil eines großen Konzerns sein – weil die Konzerndenke und Prozesse dort einfach nichts für mich sind. Meist fehlen dort die nötige Geschwindigkeit und Freiheit zu agieren.“

Auch Sabine Engel von Miomente war es wichtig, Eigenverantwortung zu übernehmen anstatt als „kleines Rädchen in einem Konzerngetriebe“ zu arbeiten.
Egal wie der Antrieb der Gründer auch aussehen mag: absolute Freiheit und ein Leben ohne Deadlines stehen – ob Chef oder nicht-Chef – auch in Startups noch lange nicht an der Tagesordnung. Denn auch Kunden haben Ansprüche, erwarten, dass man verfügbar ist, und legen Wert darauf, dass man sich an Absprachen hält. Kritisch kann es dann auch beim Thema Arbeitszeiten werden. Viele Gründer empfinden ihre Selbstständigkeit kaum als Arbeit. Das Privatleben bleibt da manchmal auf der Strecke. Das muss nicht immer so sein, sagt Sabine Engel:

„Arbeitszeiten sind bei uns von ca. 9 bis 17 oder 18 Uhr. Wir leben ein flexibles Arbeitszeitmodell mit Home Office. Kernarbeitszeiten gibt es nicht. Wenn sich jemand zu Hause besser konzentrieren kann oder auf sein Kind aufpassen muss, ist das okay.“

Was in Gesprächen mit Gründern doch deutlich wird: der soziale Druck wiegt häufig schwerer als die wirtschaftlichen Herausforderungen einer Gründung. Tobias Bahnemann von Toposens erklärt:

„Meine Familie erschreckt schon, wenn ich erzähle, dass ich bis halb elf oder halb zwölf nachts arbeite. Das Gründerdasein ist eine ewige Achterbahnfahrt, man braucht unglaublich viel Durchhaltevermögen.“

Beim Gründen gehört also eine ordentliche Portion Optimismus dazu – es macht wenig Sinn, ständig in Frage zu stellen ob alles funktioniert, was man sich vorgenommen hat.

„Was aber durchaus hilft: kritisch die Gründe zu hinterfragen, warum die eigene Idee nicht klappen sollte. Natürlich steckt eine Menge Arbeit dahinter, aber auch etwas Glück. Man muss flexibel im Kopf sein und sich auf neue Dinge einstellen können – es ändert sich immer etwas,“

sagt Dr. Alexander König, Gründer der Reactive Robotics GmbH.

Zusammenarbeit mit etablierten Unternehmen noch schwierig

Startup-Industrie-Kooperationen bestimmen die Nachrichten zumindest der Gründermedien.

„Auch wenn er manchmal falsch verstanden wird – es gibt in Deutschland einen gewissen Startup-Hype. Politik, Wirtschaft und Industrie, sie alle haben Gründer auf dem Schirm. Gerade für Unternehmen, die im B2B Bereich unterwegs sind, ist Deutschland ein toller Standort: wir haben hier eine etablierte Industrie, für die wir Dienstleistungen und Produkte bauen können“,

beschreibt Catharina van Delden von innosabi. Leider ist die Zahl der Unternehmen, die mit Innovation Scouts oder R&D-Abteilungen Startups scannen und über ihren eigenen Tellerrand schauen noch überschaubar. „Der deutsche Mittelstand macht das leider fast gar nicht“, so Bahnemann. Zwischen Mittelstand und Gründern liege noch eine sehr unterschiedliche Einstellung zu den Arbeitsweisen vor.

„Dabei gäbe es so viel Potential auch für die Industrie, wenn sie an den nötigen Stellschrauben drehen würde“,

sagt Bene Seitz von evalu. Die Ressourcenknappheit von Startups sei den etablierten Unternehmen häufig nicht bewusst.

„Startups und Mittelstand rechnen mit anderen Zeithorizonten. Die Industrie schaut auf den Kalender, die Startups schauen auf die Uhr.“

Angesichts der hohen Zahl solider deutscher Mittelständler sei das Vorurteil ‚Deutschland habe keine Gründermentalität‘ laut Bahnemann dabei aber „völliger Quatsch“.

„Es muss nur das richtige Ökosystem geschaffen werden, damit Ideen auf fruchtbaren Boden stoßen.“

Beim Geld wird es auch in der Gründerszene ernst

Studien verkünden ein VC-Rekordergebnis für Deutschland. Kritisch hinterfragt machen Einzelinvestments in nicht-mehr-ganz-Startups einen großen Teil der Summe aus. Bei vielen noch jüngeren Gründern ist die Situation eine andere. Beispiel evalu: das Unternehmen ist VC-finanziert, Business Angels hat es durch das BayStartUP Finanzierungsnetzwerk gefunden. Die Finanzierungsrunde im letzten Jahr hat allerdings einen erheblichen Aufwand im Gründerteam verursacht.

„Das liegt auch daran, dass Deutschland gefühlt ein wenig hinterherhinkt was die Finanzierungslage angeht“,

so Seitz. Die Geldmenge sei seines Erachtens dabei nicht immer das Hauptproblem – „das sieht man ja auch an erfolgreichen Startups wie z.B. KONUX.“ Gerade im Hardwarebereich ist die Situation eine besondere Herausforderung. Die klassischen VCs konzentrieren sich häufig auf Internet- und Software-Investments. Finanzinvestoren sind rar, weil sie die Technologien in ihrer Komplexität nicht völlig durchdringen.

„Es gibt bisher kaum Fonds, die im High- und DeepTech-Bereich ausreichend unterstützen. Der Zugang zum amerikanischen Investorenmarkt verbessert sich, ist aber immer noch nicht ganz durchlässig“,

so Bahnemann. Die Krux dabei: gerade Technologieunternehmen – siehe wieder die Beispiele voxeljet und va-Q-tec – brauchen mehr Zeit für die Technologie-Entwicklung als ein online-Startup. „Die Risikoaversität in Deutschland ist in diesem Bereich immer noch zu groß“, sagt Bahnemann. Viele Investoren kommen eher aus dem privaten Bereich und treten öffentlich kaum in Erscheinung, dabei steht ihnen viel Kapital zur Verfügung.