Wilfried Hüntelmann, Foto: Agentur für Arbeit

„In Sachen Digitalisierung passiert gerade unglaublich viel“: Arbeitsagentur-Chef Wilfried Hüntelmann im Gespräch

Eine Faustregel für den Einfluss des Arbeitsmarkts auf das Gründungsgeschehen lautet: Je besser die Jobchancen, desto weniger Menschen gründen. Besonders gut sollten die Arbeitsagenturen diesen Zusammenhang kennen. Wir hatten die Gelegenheit, mit Wilfried Hüntelmann, dem Leiter der Münchner Agentur für Arbeit, zu sprechen. Zuvor leitete Hüntelmann die Arbeitsagentur in Göppingen.

Seit September vergangenen Jahres sind Sie Chef der Münchner Agentur für Arbeit. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit hier von der in Göppingen?

Die Arbeitsagentur München ist die zweitgrößte in Deutschland und in einer Millionenstadt. Das sehe ich als besondere Herausforderung, eine interessante übrigens. München ist eine der erfolgreichsten deutschen Großstädte und zählt auch im internationalen Vergleich zu den führenden Wirtschaftsmetropolen.
Besonders die Mischung aus Großunternehmen, Mittelständlern, kleinen Startups sowie traditionellen Handwerksbetrieben macht unsere Arbeit hier sehr vielfältig und spannend.

Ähnlich zur Region Stuttgart, zu dem ja der Göppinger Bezirk gehört, ist der sehr gute Arbeitsmarkt und die damit verbundenen Arbeitsschwerpunkte Fachkräftesicherung, Ausbildung und Qualifizierung. Auch dort war mir nicht langweilig.

Die Startup-Szene in München floriert. Welche Bedeutung haben junge Technologieunternehmen für den Arbeitsmarkt in der Stadt und Region?

Technologie-Startups sind bedeutend für unseren Arbeitsmarkt, weil sie zur Dynamik des Wirtschaftsstandortes beitragen. Das wiederum ist gut für München, denn es werden „High-Potentials“ und Investoren angezogen. Abhängig vom Unternehmenswachstum entstehen Personalbedarfe. Ich möchte diese Unternehmen dann gern als Kunden gewinnen.

„Wir sollten wirklich jede Option nutzen“

Die Arbeitslosenquote in München liegt im Mai 2018 bei historisch niedrigen 3,5 Prozent. Wie schwer fällt es Unternehmen da, passendes Personal zu finden?

Wie auch andernorts suchen viele Münchner Betriebe händeringend Fachkräfte. Und die Liste ist bunt gemischt. Bekanntermaßen sind es Pflegekräfte, IT-Spezialisten, Maschinenbauingenieure, aber auch in der Gastronomie, im Bau und einigen Handwerksberufen fehlt es an Personal. Wir versuchen daher, unsere Kunden, da wo es nötig ist, zu qualifizieren, insbesondere wenn Berufsabschlüsse fehlen. Es gibt darüber hinaus Potentiale, die wir unbedingt heben wollen: Frauen nach ihrer Familienzeit, ältere Menschen, bisher Langzeitarbeitslose oder auch schwerbehinderte Menschen, die oft gut ausgebildet sind. Wir sollten wirklich jede Option nutzen.

Die Gründerquote in Deutschland sinkt seit Jahren kontinuierlich. Hat das mit den guten Beschäftigungsmöglichkeiten zu tun?

Ja, typischerweise spielt der gute Arbeitsmarkt hier eine Rolle. Existenzgründung ist immer eine individuelle Entscheidung, aber Personen, denen Sicherheit, geregelte Arbeitszeiten und Urlaubsanspruch wichtig sind, entscheiden sich aktuell eher für eine Festanstellung als für eine Existenzgründung.

Gründungszuschuss und Beratung

Wie unterstützen Sie Menschen beim Weg in die Gründung?

Wer nach einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung arbeitslos wird und sich dann selbstständig machen möchte, kann einen so genannten Gründungszuschuss erhalten.

Der Gründungszuschuss soll Arbeitslosen beim Start in die Selbstständigkeit helfen. Dieser wird in zwei Phasen geleistet. In den ersten sechs Monaten gibt es den Zuschuss in der Höhe des zuletzt gewährten Arbeitslosengeldes plus 300 Euro zur sozialen Absicherung wie zum Beispiel der Krankenversicherung. In der zweiten Phase können die 300 Euro für weitere neun Monate gewährt werden, sofern hauptberufliche unternehmerische Aktivitäten nachgewiesen werden können.

Im Geschäftsjahr 2017 haben wir rund 1.300 Anträge für einen Gründungszuschuss bewilligt, haben fast unser Gesamtbudget von knapp 15 Mio. € eingesetzt. Auch in diesem Jahr investieren wir wieder in ähnlicher Höhe.

Neben der finanziellen Unterstützung ist es wichtig, einen guten Businessplan zu entwickeln und sich weiteres nötiges Wissen anzueignen: Was sind die Pflichten eines Unternehmers? Wie sehen meine Rechte aus? In welcher Rechtsform soll ich gründen und wie bringe ich meine Ideen bestmöglich an den Kunden? Fragen wie diese werden in einem Gründungsseminar beantwortet. Hier erhält der Kunde das erforderliche Rüstzeug und kann sich mit Gleichgesinnten auf diesen gut besuchten Lehrgängen austauschen.

Aber bevor Sie sich entschließen, eine Existenz zu gründen, lassen Sie sich am besten umfassend von uns beraten. Unsere Experten analysieren jeden Fall individuell und planen gemeinsam mit ihnen die nächsten Schritte.

Bei der Arbeitsagentur denken viele an staubige Aktenordner und veraltete Software. Wie digital ist Ihr Haus wirklich aufgestellt?

Mag sein, dass in manchen Köpfen solche Bilder noch existieren. Klar ist jedoch, dass  in Sachen Digitalisierung gerade unglaublich viel passiert und sich bei der Bundesagentur für Arbeit in den letzten Jahren einiges getan hat.

Unsere Jobbörse ist unser Premiumprodukt, das es schon lange gibt und das größte Jobportal Deutschlands ist. Hinzu gekommen sind weitere Online-Angebote. So kann man sich zum Beispiel online arbeitsuchend melden. Sukzessive werden die Angebote über alle Bereiche hinweg ausgeweitet. Dabei liegen die Schwerpunkte auf den Bereichen Information und Geldleistungen.

Insgesamt konnten wir unser Angebot im letzten Jahr bereits deutlich ausbauen: Vor allem in puncto Reichweite und Nutzungsquote wurden große Verbesserungen erzielt. Waren unsere Online-Angebote früher tatsächlich eher an den Strukturen einer Verwaltung orientiert, so stehen heute unsere Kundenbedürfnisse im Fokus. Die persönliche Beratung steht aber weiterhin im Mittelpunkt, das ist mir wichtig zu erwähnen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hüntelmann!