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„Digitalisierung als Co-Pilot des modernen Arztes“ – Ein Interview mit Dr. Dominik Pförringer

München ist dabei, sich als Vorreiter für medizinische Innovation in Deutschland zu etablieren. Neben vielen Health-Startups treiben auch Menschen wie Dr. med. Dominik Pförringer diese Entwicklung voran. Der Arzt befasst sich seit vielen Jahren in Forschung und Lehre mit der Prozessoptimierung und Digitalisierung der Medizin. Was ihn motiviert und inspiriert, wo Health-Startups Unterstützung finden, was sich noch alles ändern muss, damit Deutschland sein Potenzial hier ausschöpft – wir waren neugierig, wie der Mitgründer des Meetups ‚Digital Healthcare Entrepreneurship‘ das sieht und haben den Arzt interviewt.

Dr. Pförringer, Sie sind einem Münchner Klinikum als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie tätig. Gleichzeitig sind Sie als Startup-Mentor und VC-Berater in der Gründerszene unterwegs. Wie kam es dazu, dass Sie sich für diese beiden — auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen — Welten interessieren?

Aktive Medizin, also der tägliche kurative Ansatz, dem Patienten zu helfen, ist und bleibt für mich immer der reizvollste Beruf der Welt. Ich sehe eine enorme Chance und viel Potenzial in der Digitalisierung der Medizin. Erfolg werden die Unternehmer haben, die echte medizinische Expertise im Team haben und die den kontinuierlichen Dialog mit den aktiv tätigen Medizinern immer wieder suchen. An diesem Interface, exakt dieser Schnittstelle, entwickelt sich die Medizin der Zukunft. Dabei hat Europa und insbesondere Deutschland im internationalen Vergleich enormes Aufholpotenzial.

Ich sehe die großen Chancen in der Kombination aus Digitalisierung und Medizin, glaube an deren Erfolg und kämpfe tagtäglich dafür. Vielen Startups fehlt die medizinische Expertise, die ich aus dem klinischen Alltag mitbringe. Dadurch begreife ich Angebot und Nachfrage an digitalen Lösungen in der Medizin in einzigartiger Form.

„Deutschland hat enormes Aufholpotenzial“

Was motiviert Sie, sich für die Digitalisierung in der Medizin einzusetzen?

Im Digitalen steckt die Zukunft. Die ausufernden Anforderungen der Bürokratie, der demographische Wandel, der Ärztemangel, die Explosion an Wissen. All das schreit nach technischer Unterstützung des schönsten Berufs der Welt. Wir Ärzte haben die Aufgabe, die Digitalisierung und deren erfolgreiche Implementierung selbst zu entwickeln und im Interesse unserer Patienten zu gestalten.

Außerdem: Digitalisierung macht Freude. Mich fasziniert es Tag für Tag, wie wir moderne technische Ansätze zur Lösung komplexer, aber auch trivialer medizinischer Probleme einsetzen können und sich daraus agile, erfolgreiche Unternehmen entwickeln.

Welche Vorteile hat die Digitalisierung für Ärzte aus Ihrer Sicht?

In erster Linie geht es mir um den Vorteil für den Patienten und für das Gesundheitssystem an sich. Denn daraus ergibt sich der Vorteil für den Arzt praktisch von selbst. Die Digitalisierung ist alles andere als eine Bedrohung, sondern der vor Wissen strotzende Co-Pilot des modernen Arztes. Am Ende profitieren Patienten, Solidarsysteme und ja, auch wir Ärzte, von den innovativen Lösungen.

Wie werden Münchner Health-Startups unterstützt?

Sie organisieren gemeinsam mit der UnternehmerTUM das erst vor kurzem etablierte, sehr erfolgreiche Münchner Meetup Digital Healthcare Entrepreneurship. Was war der Beweggrund dafür?

Uns — das heißt Dr. Dominik Böhler, Marina Moskvina und mir — wurde klar, dass es im Süden der Republik zu diesem Zeitpunkt an koordinierenden Veranstaltungen zu diesem Thema mangelte. Nach einem zugegebenermaßen überraschend positiven ersten Abend haben wir uns entschlossen, die Veranstaltung einmal pro Quartal fortzusetzen. Mittlerweile hat sich dadurch ein erfreulich erfolgreiches und in der Szene anerkanntes Format mit wachsendem Zulauf entwickelt.

Abseits des erfolgreichen Meetups – wo findet ein Digital Health Startup in München Unterstützung?

Einmal pro Jahr organisieren wir einen Kongress zum Thema „Digital meets Clinical Healthcare“ in München. Dominik Böhler und ich unterrichten für Medizinstudenten einmal im Semester die ‚Akademie unternehmerische Medizin‘ an der TU. Zudem bietet das MedInnovate Programm von Prof. Navab und Dr. Christoph Hennersperger die Möglichkeit, mit einem Team die Klinik von innen zu erleben und Gründungsideen zu katalysieren.

Dr.-Dominik-Pförringer
Dr. Dominik Pförringer steht Startups mit Rat und Tat zur Verfügung.

Neben all diesem bietet sowohl die LMU als auch eine Reihe privater Initiativen beispielsweise im Werk 1 die Möglichkeit zum Austausch, zur Inkubation sowie Akzeleration. Gerne stehe ich jungen Teams, die entweder gründen wollen oder bereits gegründet haben, jederzeit mit Rat und Tat zur Verfügung, sei es in Bezug auf den medizinischen Inhalt, die Team-Strukturierung oder die Finanzierung ihres Ventures.

Sie haben selbst eine Zeit  lang in den USA sowie in Asien verbracht. Was haben Sie an Inspirationen mitgebracht?

Meine Zeit in Kalifornien ebenso wie mein MBA in Fontainebleau und Singapur haben mir die Augen geöffnet für das Thema Entrepreneurship. Diese beiden Erfahrungen waren extrem prägend und positiv für meine weitere Entwicklung. Es ist großartig zu erleben, wie offen die US-Amerikaner denken und handeln. Dort habe ich gelernt die Dinge mit der Sichtweise „Alles ist möglich“ anzupacken.

Der Deutsche an sich hadert, erkennt Risiken und Gründe, wieso etwas nicht funktionieren sollte. Die Menschen in den USA gehen wagemutig auf neue Herausforderungen zu, trauen sich etwas zu und arbeiten dann extrem hart, um es auch möglich zu machen und in die Tat umzusetzen.

Welche Bedeutung haben eHealth und Telemedizin aus Ihrer Sicht im deutschen Markt?

Zum jetzigen Zeitpunkt eine bedauerlicherweise noch zu geringe, die jedoch rapide wachsen wird. Das Angebot durch Startups wächst, Patienten sowie Ärzte fassen zunehmend Vertrauen. Die modernen, digitalen Ansätze können das bestehende System entlasten und für Patienten, Ärzte und Kostenträger Erleichterungen und Vereinfachungen schaffen. Medizin kann dadurch sicherer, effizienter, schneller und bezahlbarer werden. All dies ist unausweichlich, schon allein in Anbetracht der demographischen Entwicklung. Hier können wir noch vieles von unseren europäischen und nordamerikanischen Freunden lernen.

Orientierungshilfe fehlt aktuell

Es bedarf aus meiner Sicht nun einer klaren Orientierungshilfe für den Patienten. Der Patient hat im Dschungel der Angebote eine strukturierte Übersicht sowie fundierte Bewertung der offerierten innovativen Lösungen verdient. Zudem bedarf es der soliden digitalen Ausbildung für die Ärzte. Das heißt, die künftigen Mediziner dürfen schon im Studium lernen, wie sie mit dem Chancen-Thema Digitalisierung umzugehen haben.

Wohin geht der Trend im Bereich eHealth?

Ich sehe drei positive Kernentwicklungen:

  1.  Die Medizin wird sicherer, der digitale Co-Pilot hilft dem Arzt künftig auf deutlich mehr Daten und Erfahrungswerte zurückzugreifen, um seine Behandlung optimal an das Krankheitsbild anzupassen. Ein Privileg, das in der analogen Medizin den Medizinern vorbehalten war, die über ausreichend Erfahrung verfügen.
  2. Die Medizin wird transparenter, dadurch wird der Patient zunehmend mündiger, da besser informiert.
  3. Die Medizin kann effizienter werden. Antiquierte Prozesse, Medienbrüche und analoge Suchverfahren werden u.a. durch AI, Deep Learning und viel technisches Know-how optimiert bzw. teilweise völlig ersetzt.

Medizin der Zukunft: Im Fokus steht der Patient

Wie sieht die Medizin der Zukunft in Ihrer Vorstellung aus?

Ich bin durch und durch Optimist. Die Medizin der Zukunft wird befreit sein von Zeitfressern, wie redundanter Dokumentation, altmodischer Bürokratie und antiquierten Prozessen. Sie fokussiert sich wieder auf die Person, die im Mittelpunkt steht: den Patienten. Die Technologisierung und rapide akzelerierende Innovation wird es uns Ärzten ermöglichen, stets die Kontrolle über optimale Diagnostik und Therapie zu behalten. Dafür müssen die Weichen jetzt laufend richtig, weise und vorausschauend von erfahrenen Experten gestellt werden.

Der Arzt der Zukunft wird, mehr noch als heute, in erster Linie der emotionale, empathische Gesprächspartner des Patienten sein. Die Kernaufgabe des Heilens wird somit wieder in den Fokus gerückt werden.

Vielen Dank für die Einblicke und für das Gespräch.