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Arbeitszeiterfassung: Was Startups jetzt wissen müssen

Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) müssen EU-Mitgliedsländer Betriebe dazu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit einzuführen. Was dieses Urteil jedoch genau für deutsche Arbeitgebende bedeutet, ist bislang noch unklar. Sicher ist nur, dass es bei Unternehmen und Startups für Verunsicherung sorgt. Wir haben eine Expertin zur Arbeitszeiterfassung befragt.

Eine generelle Erfassung der Arbeitszeit in Deutschland ist bisher gesetzlich nicht vorgeschrieben. Das Arbeitszeitgesetz schreibt lediglich allen Unternehmen vor, die Mehrarbeit ihrer Beschäftigten — also alles, was über die werktägliche Arbeitszeit ‎von 8 Stunden hinausgeht — zu erfassen. Zudem gelten für einzelne Branchen Sonderregeln: So muss etwa die gesamte Arbeitszeit für Beschäftigte im Straßentransport erfasst werden.

Hinzu kommen weitere Regelungen: Das Mindestlohngesetz schreibt die Dokumentation der gesamten Arbeitszeiten für bestimmte ArbeitnehmerInnen wie geringfügig Beschäftigte vor. Dies soll es ermöglichen, ‎die Einhaltung der Bestimmungen des Mindestlohngesetzes zu kontrollieren. MinijobberInnen in Privathaushalten sind hiervon ausgenommen. Auch in bestimmten Branchen, die als besonders anfällig für Schwarzarbeit gelten, besteht nach dem Mindestlohngesetz die Verpflichtung zur Aufzeichnung der gesamten Arbeitszeit. Dazu zählen nach dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz Baugewerbe, Gastronomie, Transport und Logistik sowie die ‎Gebäudereinigung. Auch im Anwendungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes bestehen Aufzeichnungspflichten.

Das EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung

Zu all dem kommt nun das EuGH-Urteil aus dem Mai 2019 hinzu. In einem spanischen Fall hatten die Luxemburger RichterInnen entschieden, dass die Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie erfordert, dass Firmen zur Einrichtung eines Systems verpflichtet werden, mit dem die tägliche Arbeitszeit der MitarbeiterInnen erfasst wird. Allerdings gibt es laut den Luxemburger RichterInnen großen Spielraum hierfür. So können bei einer anstehenden Neuregelung Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs ebenso berücksichtigt werden wie auch Eigenheiten bestimmter Unternehmen, wie etwa ihre Größe.

Was genau dies nun für die Rechtslage in Deutschland bedeutet, ist jedoch unklar. So berichtete die Süddeutsche Zeitung im Januar zwar von einem Rechtsgutachten für das Arbeitsministerium, das Änderungen im deutschen Arbeitszeitrecht für nötig hält und einen entsprechenden Formulierungsvorschlag vorlegt. Was genau im Arbeitszeitgesetz geändert wird, ist jedoch noch unklar, — auch, weil es ein zweites Gutachten im Auftrag des Wirtschaftsministeriums gibt, das noch nicht veröffentlicht wurde. Aus dem Ministerium selbst gab es dazu bisher lediglich die Aussage, dass die Abstimmung innerhalb der Koalition noch nicht abgeschlossen sei.

„Was gesetzlich geändert werden muss, um das EuGH-Urteil umzusetzen ist im Einzelnen umstritten,“

erklärt Dr. Frauke Kamp, Referentin für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht an der IHK für München und Oberbayern. Daher ist es auch für ArbeitgeberInnen schwer, sich auf eine kommende Neuregelung der Arbeitszeiterfassung einzustellen. Hinzu kommt noch, dass die Parteien der Regierungskoalition diese Änderungen mit weiteren Wünschen und Projekten, etwa einem Recht auf Home-Office, verbinden wollen. Doch auch das ist noch völlig offen, da sich die Regierungsmitglieder erst einmal einigen müssen.

Was Startups wissen müssen

 „Grundsätzlich gelten die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten oder auch zu erwartende Aufzeichnungspflichten nach der europäischen Arbeitszeitrichtlinie für alle Arbeitnehmer. Der Unternehmensinhaber muss als Arbeitgeber die Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften und — nach entsprechender gesetzgeberischer Umsetzung — die Aufzeichnung der Arbeitszeit für seine Arbeitnehmer sicherstellen. Er selbst braucht bei der eigenen Tätigkeit aber weder Höchstarbeitszeiten noch Aufzeichnungspflichten zu beachten. Soweit externe Berater oder Partner tatsächlich aufgrund eines Dienst- oder Werkvertrages tätig werden, sind sie keine Arbeitnehmer und gehören damit ebenfalls nicht in den Anwendungsbereich der europäischen Arbeitszeitrichtlinie“,

führt Dr. Kamp aus. Ist ein Startup so weit gewachsen, dass es weitere Arbeitskräfte anstellt, greifen die Regeln aber. Da die genaue Ausgestaltung der zu erwartenden gesetzlichen Neuregelung zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten aber noch unklar ist, rät Dr. Kamp hier zu Geduld:

„Der EuGH hat in seiner Entscheidung ausdrücklich betont, dass differenzierte Regelungen je nach Größe des Unternehmens möglich sind.“

Was das Urteil nicht sagt

Für ArbeitnehmerInnen ist schon jetzt eine ununterbrochene Ruhezeit von 11 Stunden pro Tag vorgeschrieben. Dies betrifft prinzipiell auch die abendliche E-Mail oder das Telefonat mit dem internationalen Partner außerhalb der üblichen Arbeitszeiten. Die IHK-Expertin stellt klar, dass das EuGH-Urteil sich nur auf die Aufzeichnungspflicht bezieht, Ruhe- und Höchstarbeitszeiten sind davon unberührt. Trotzdem könnte es hier zu Änderungen kommen, sofern der Gesetzgeber dies im Zuge der Neuregelung anpackt:

„Das EuGH-Urteil und die auf das Urteil hin nötige Umsetzung in deutsches Recht betreffen ausschließlich Aufzeichnungspflichten. Die vorgeschriebenen Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten werden davon nicht berührt. Ob und inwieweit möglicherweise eine Neuregelung im Arbeitszeitgesetz aus Praktikabilitätsgründen von der Aufzeichnungspflicht für bestimmte Arbeitnehmergruppen absieht oder eine Bagatellgrenze für sehr kurze Tätigkeiten vorsieht, bleibt abzuwarten.“

Wer mehr über das Thema Arbeitszeiterfassung oder andere arbeitsrechtliche Themen wissen will, kann sich auf der Webseite der IHK München und Oberbayern informieren. Auch das Gewerbeaufsichtsamt als zuständige Behörde gibt Auskunft.