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Jutta Merschen: Gedankensprünge für gute Ideen

Jutta Merschen promovierte in Wirtschaft und Recht, war dann über zwölf Jahre bei einer großen Beratungsfirma, und gründete 2020 ihr Startup Familypunk. Der digitale Coach für Eltern vermittelt über kurze Audioinhalte Wissen und Strategien zur Kindererziehung, und will so für Eltern den Alltag mit Kindern leichter machen. Finanziert ist das Startup durch Business Angels und eine öffentliche Förderung. Wir haben mit Jutta Merschen zu Ideenfindung, Irrtümern und Prioritäten gesprochen.

Munich Startup: Was hat Dich zur Gründung motiviert?

Jutta Merschen: Es war eine einfache Frage: “Wo ist denn eigentlich die App dafür?” Mein Mann und ich haben drei kleine Kinder und wie viele Eltern standen wir irgendwann an dem Punkt, wo wir nicht mehr weiter wussten. Ich habe ewig nach Rat zum Thema Kindererziehung gesucht, der zu uns passt und der nicht von mir verlangt, ein 250-Seiten-Buch nach dem anderen zu lesen. So wurde die Idee für Familypunk geboren: kurze, knackige Audiosessions für Eltern, damit der Familienalltag gelassener wird.

Wie der Funke übersprang

Munich Startup: Hattest Du Vorbilder beim Gründen?

Jutta Merschen: Ich hatte nicht das eine große Vorbild beim Gründen. Ich habe in Berlin gelebt, als dort die Startup-Welle Ende der Nullerjahre/Anfang der 2010er Jahre losging. Viele FreundInnen und KollegInnen haben den Weg in Startups gefunden oder selbst die Gründung gewagt. Das hat mich sehr beeindruckt und den Wunsch geweckt, selbst auch einmal zu gründen. Damals war nicht der richtige Zeitpunkt für mich, aber der Funke war übergesprungen. Mittlerweile sind Companies für mich Vorbilder, die den Weg im Bereich Audiocontent vorangegangen sind: Headspace, Blinkist, Femtasy.

Munich Startup: Wann und wo bekommst Du die besten Ideen?

Jutta Merschen: Wenn ich nicht fokussiert arbeite. Beim Sport, beim Lesen, beim Browsen, beim Diskutieren über andere Themen kommen mir die besten Assoziationen. Diese Gedankensprünge sind dann oft die Grundlage für neue Ideen für Familypunk.

Munich Startup: Dein größtes Talent?

Jutta Merschen: Mein größtes Talent ist vielleicht diese Mischung aus Vision und Struktur. Ganz groß denken, überlegen, was sein könnte und dann strukturiert analysieren, was die kleinen Schritte sind, die uns dahin bringen. Natürlich geht der Plan nicht immer auf, aber es geht auch nicht nur um das Ergebnis, sondern um den Prozess.

Erst gründen mit der perfekten Idee?

Munich Startup: Der größte Irrtum, dem Du je unterlegen bist?

Jutta Merschen: Der größte Irrtum war zu glauben, dass man erst gründen kann, wenn man die perfekte Idee hat. Das hat mich in den 2010er Jahren stark zurückgehalten, dem Wunsch nach Gründung nachzugehen. Ob eine Idee gut ist oder nicht, findet man erst heraus, wenn man anfängt, sie zu entwickeln.

Das heißt nicht, dass man den aktuellen Job hinschmeißen und sofort eine GmbH gründen muss. Es heißt eher, dass man anfängt, das Problem zu definieren, das man lösen möchte, dass man mit potenziellen KundInnen und PartnerInnen spricht, ein Minimum Viable Product baut und testet. Erst dann kristallisiert sich langsam heraus, ob eine Idee tragfähig ist. Und das alles ist schon der Anfang des Gründens. Nicht erst, wenn man beim Notar sitzt und die Firma gründet.

Munich Startup: Wie setzt Du Prioritäten? Und welche?

Jutta Merschen: Steve Jobs hat ja mal gesagt, dass Innovation bedeutet, zu tausenden von Dingen nein zu sagen. Sie nicht zu machen. Ich versuche, das zu beherzigen, denn der Tag hat einfach nur 24 Stunden und es soll sich auch nicht alles um Arbeit drehen. Die Kids brauchen Zeit, ich selber brauche für mich Zeit, für meine Partnerschaft und für FreundInnen.

Für Familypunk setze ich Prioritäten auf Quartalsbasis und auf Wochenbasis, auch gemeinsam mit dem Team. Für mich selbst setze ich dann – an guten Tagen – meine “Big 3”, also die drei Dinge, die ich heute unbedingt erreichen will. An chaotischen Tagen steige ich einfach ein in die Arbeit und merke dann oft, dass ich gar nicht so fokussiert bin, wie wenn ich mich auf wenige große Themen fokussiere.

Jutta Merschen: „Vom Zuschauen wird kein Startup aufgebaut“

Munich Startup: Erscheint es Dir gerade als eine gute Zeit, um zu gründen? Warum?

Jutta Merschen: Ich glaube, es ist für einen persönlich immer und gleichzeitig nie eine gute Zeit zu gründen. Es spricht immer etwa dafür und etwas dagegen. Wenn man es will, muss man es wagen – vom Zuschauen wird kein Startup aufgebaut.

Gleichzeitig gibt es natürlich ein Timing für Produkte und Dienstleistungen und dieses Timing beeinflusst stark, ob man Investment finden oder ein Team aufbauen kann. Wer hätte vor elf Jahren, als Headspace gegründet wurde, gedacht, dass wir mittlerweile Meditation primär übers Mobiltelefon lernen? Innovative Ideen müssen sich am Anfang einen Markt erschaffen und ob das klappt, hängt auch stark vom Timing ab.

Munich Startup: Findest Du es wichtig, dass in Deutschland mehr Frauen gründen?

Jutta Merschen: Wir brauchen in Deutschland und in der Welt generell mehr Gleichbeteiligung. Heißt: Frauen und Männer sollen die gleiche Beteiligung an Entscheidungen haben. Egal ob in der Wirtschaft, der Politik, der Gesellschaft, der Forschung oder im privaten Familienkontext.

Über die Hälfte der KonsumentInnen sind weiblich. Es ist notwendig, dass jemand diesen Teil der Welt mitdenkt und Produkte und Dienstleistungen entwickelt, die den Bedürfnissen von Frauen entsprechen. Ich will nicht sagen, dass Frauen das zwingend besser können – aber sie haben natürlich eine ganz andere Sicht auf diese Bedürfnisse als Männer, weil sie Erfahrungswissen mit theoretischem Wissen verknüpfen können.

Darüber hinaus haben zahlreiche Studien gezeigt, dass Startups, die mindestens eine Mitgründerin haben, mehr Umsatz generieren und einen besseren Return on Investment aufweisen. Es wäre also auch ökonomisch Unsinn, nicht zu wollen, dass mehr Frauen in Deutschland gründen.

‚Unconscious Bias‘ in der Startup-Szene

Munich Startup: War es für Dich von Vorteil oder von Nachteil, eine GründerIN zu sein?

Jutta Merschen: Meine Beobachtung in der Startup-Szene ist, dass wir immer noch gegen sehr viel unconscious bias ankämpfen als Gründerinnen, vor allem bei Investoren. Kommentare wie “Wenn du das schaffst – be my guest”. Was so viel heißt: schaffst du ja eh nicht. Oder: “Da musst du jetzt wirklich smart und kreativ sein” – ach nee, echt jetzt?! Das kommt schon sehr herablassend rüber. Und sie kamen ausschließlich von männlichen Gesprächspartnern. Mein Eindruck ist, dass Gründer sich das von anderen Männern nicht anhören müssen.

Munich Startup: Was liegt auf Deinem Schreibtisch gerade ganz oben?

Jutta Merschen: Auf der Familypunk-Seite des Schreibtisches liegt ganz oben das gesamte Thema Marketing. Ich habe mich Anfang des Jahres stark auf das Produkt fokussiert, nachdem meine Mitgründerin, die für den Bereich verantwortlich war, ausgestiegen ist. Jetzt muss das Pendel in die andere Richtung schwingen: wie erreichen wir die Eltern mit unserem coolen Produkt? Auf der privaten Seite des Schreibtisches steht das Thema Einschulung im Vordergrund, denn die Zwillinge kommen im Herbst in die Schule.

Munich Startup: Was macht Dich glücklich?

Jutta Merschen: Das Schöne am Glück ist, dass es so vielfältig ist. Mich macht draußen sein glücklich. Berge besteigen. Den Jungs zugucken, wie sie vertieft spielen. Mit FreundInnen Zeit verbringen. Gespräche jenseits des Wetters führen. Bücher lesen und neue Welten entdecken. Den Kindern vorlesen und ihre Neugier spüren. Reisen und real neue Welten entdecken. Genauso macht es mich glücklich, wenn wir mit Familypunk einen großen Meilenstein erreichen und etwas schaffen, was wir uns vorgenommen haben.