Munich Startup: Was macht Euer Startup? Welches Problem löst Ihr?
William Barkawi, Clearops: In einem Satz: Wir digitalisieren und optimieren die Lieferketten maschinenfabrizierender Industrieunternehmen.
In einem Absatz: Clearops vernetzt Maschinen-Produzenten mit Ihrem Händler- und Distributionsnetzwerk bis hin zum Endkunden mitsamt der Maschine im Einsatz. Durch die vollständige Digitalisierung der Supply Chain werden somit unterschiedlichste Daten in nie da gewesener Weise miteinander kombiniert, was eine optimale Bedarfsplanung für die zukünftige Nachfrage nach Neumaschinen, Ersatzteilen und Services ermöglicht. Diese Planung sowie die nachgeschalteten Bestell- und Beauftragungsprozesse werden dann von unserer Software-as-a-Service-Lösung automatisch orchestriert. So lassen sich u.a. die Teileverfügbarkeit erhöhen, Maschinenausfallzeiten deutlich senken, der Lagerbestand verringern sowie die Lieferzeiten verkürzen. Daher unser Kundennutzenversprechen: „Anticipate Demand. Ensure Supply. Eliminate Downtime.“
In einem Praxisbeispiel: Was haben ein Mähdrescher während der Erntezeit, ein Kran auf einer Großbaustelle, ein Flugzeug während der Ferienzeit und eine Mischanlage in der rund um die Uhr laufenden Lebensmittelproduktion gemeinsam: Sie dürfen nicht ausfallen. Falls das doch passiert, kostet das Unmengen an Zeit bzw. Geld und sorgt zudem für unzufriedene Kunden. Als konkretes Beispiel: Allein die Ausfallkosten des besagten Mähdreschers belaufen sich schnell auf 30.000 Euro am Tag. Daraus ergeben sich unmittelbar die Fragen: Wie bekommt man solche Maschinen schnellstmöglich wieder in Betrieb? Und wie können wir derartige Ausfälle voraussehen oder gar verhindern, z.B. durch präventive Reparatur-Maßnahmen?
Genau hier kommt unsere Software ins Spiel: Maximale Supply-Chain-Transparenz und Automatisierung für minimale Ausfallzeiten.
Munich Startup: Aber das gibt’s doch schon längst!
William Barkawi: Eben nicht! Hier gibt es zwei wesentliche (sehr technische) Unterscheidungsmerkmale zu allen übrigen Lösungen:
Einerseits ist der Grad der Integration, den wir bieten können, soweit einzigartig auf dem Markt. Durch bestehende Interfaces können wir relativ einfach sehr tief in Produktions- und Warenwirtschaftssysteme sowie Prozesse „hineinblicken“ und diese ggf. auch optimieren. Das bedeutet, dass wir mit geringem technischen Vorab-Aufwand hocheffizient Daten aus den jeweiligen Systemen auslesen können. Innerhalb unseres Data Hubs werden diese dann mit der neuesten Machine-Learning-Technologie verarbeitet und schlussendlich als Forecast, Bestellung oder Serviceauftrag in die jeweiligen Systeme (ohne manuellen Zwischenschritt) zurückgespielt.
Das zweite Unterscheidungsmerkmal ist das Ineinandergreifen der vielen Funktionen: Es gibt sicherlich sehr gute Bestandsoptimierungs-, Flottenmanagement- oder Serviceaussteuerungssoftware da draußen. Diese können dann jedoch auch nur genau das. Globale Serviceaussteuerung und Lieferkettenoptimierung verlangen jedoch eine ganzheitliche Lager- und Teilebedarfsplanung, optimale Bedarfsplanung wiederum benötigt die Service- und Technikeraufträge, IoT-Daten und Einblick in die Installed Base, also die Maschinenpopulation aus Flottenmanagementsystemen. Kurzum: Hier gibt es unheimlich viele Prozesse, die ineinandergreifen müssen. Bisher wird das über diverse Einzeltools oder manuelle Arbeitsschritte gelöst. Wir bieten eine ganzheitliche, automatisierte Lösung für das große Ganze.
Clearops: „Tragen eine gewisse Berater-DNA in uns“
Munich Startup: Was ist Eure Gründungsstory?
William Barkawi: Das ist eine längere Geschichte: Der Kern von Clearops entstand innerhalb eines Beratungsprojekts für einen großen Landtechnik-Hersteller. Dieser hatte damals keinerlei Einblick in sein Händlernetzwerk und die zukünftige Maschinen- und Ersatzteilnachfrage. Das hat die Produktionsplanung natürlich ziemlich schwierig gemacht. Relativ schnell wurde klar, dass es auf dem Markt keine ganzheitliche Lösung gibt, um unabhängige Unternehmen (OEMs und Händler) mit jeweils eigenen IT-Infrastrukturen miteinander zu vernetzen und nachgehend Supply-Chain-Optimierungen zu realisieren. Ebenfalls wurde klar, dass wir hier die Möglichkeit haben, ein Konzept entwickeln zu können, das für viele Maschinenbauer interessant ist. Diese Erkenntnis war in gewisser Weise die Geburt von Clearops. Heute sind wir ein eigenständiges Softwareunternehmen. Und das Beratungsunternehmen ist weiterhin unser engster Implementierungspartner.
Diese besondere Historie macht auch bis heute unsere Kultur aus: Dadurch, dass ich und große Teile des Teams eine gewisse Berater-DNA in uns tragen, ist es unsere Philosophie, die individuell beste Lösungen zu finden und den Kunden maßgeschneiderte Lösungen zu bieten. Das sind dann auch die Dinge, die jeden Tag einzigartig und spannend machen. Gleichzeitig wissen wir aber auch, wie wichtig Skalierungseffekte gerade für uns als Software-Unternehmen für unser Geschäftsmodell sind. Um also Kundenzufriedenheit und Skalierbarkeit miteinander zu vereinen, haben wir von Anfang an eine adaptive Lösung entwickelt, welche unterschiedlichste komplexe Strukturen und Prozesse abdeckt. Durch eben dieses Investment können wir unsere Kunden zufriedenstellen und dennoch (oder gerade deshalb) stark wachsen!
Munich Startup: Was waren bisher Eure größten Herausforderungen?
William Barkawi: Herausforderungen fallen mir viele ein: angefangen beim Aufbau des Teams und der Zusammenarbeit über 5 Kontinente hinweg, die unvermeidlichen Wachstumsschmerzen innerhalb der Organisation, über die Verlegung unseres Entwicklerteams aus Russland, bis hin zum ständigen Streben nach Balance zwischen Qualität und Geschwindigkeit, speziell in der Produktentwicklung. Vor allem die Suche nach handverlesenen Leuten, die sowohl professionell als auch persönlich zu Clearops passen, ist eine große Herausforderung.
Ganz persönlich war es für mich wahrscheinlich das Hineinwachsen in die CEO-Rolle in sehr jungem Alter, während das Unternehmen bereits richtig Fahrt aufnahm. Auch an die Nebenwirkungen von unternehmerischem Erfolg (Entscheidungsdruck, Workload, Personalverantwortung, etc.) muss man sich erst gewöhnen. Man muss für alles eine Lösung parat haben, jederzeit erreichbar sein und sich nahezu täglich mit neuen, vermeintlich ausweglosen Herausforderungen beschäftigen. Hier ist es unerlässlich, ein starkes Team und Advisor an Board zu haben, und deren gut gemeinte Kritik auch ehrlich annehmen.
„Launchen im Monatstakt neue Produkte und Services“
Munich Startup: Wie laufen die Geschäfte?
William Barkawi: Grundsätzlich merken wir deutlich, dass die Nachfrage nach Supply-Chain-Software und Datenintegration immer größer wird. Gerade zu Zeiten instabiler Lieferketten müssen Unternehmen ihre Supply Chains digitalisieren, um Transparenz zu schaffen, Lieferanten kostenoptimiert aussteuern zu können, entsprechend der tatsächlichen Nachfrage zu produzieren und Kunden schlussendlich rechtzeitig zu bedienen.
Was bedeutet das für uns: Branchen-Pioniere wie AGCO, Terex, Stihl und Jungheinrich haben unser Tool schon weltweit im Einsatz, hier werden weltweite Supply Chains mit Millionen von Teilen und Tausenden von Technikern digitalisiert und optimiert.
Aktuell wachsen wir auch als Team rasant und planen bis zum Ende des Jahres ca. 50 Leute zu sein. Wir haben in den letzten 3 Monaten einen neuen Technology Hub für Entwickler in Lissabon sowie ein neues Büro in den USA eröffnet. Gleichzeitig launchen wir im Monatstakt neue Produkte und Services, weswegen unsere Ambitionen in den nächsten 3 Jahren ziemlich aggressiv sind. Übrigens: We are hiring!
Die wichtigste Zahl für mich selbst aber ist, wie viele Mitarbeiter:innen und auch Kunden uns bisher verlassen haben: Nämlich null. Und das ist meiner Meinung nach die wichtigste Kennzahl, um unseren Erfolg, unsere Technologie, den Kundennutzen und schlussendlich unsere Unternehmenskultur zu benchmarken.
Munich Startup: Wie habt Ihr den Startup-Standort München bisher erlebt?
William Barkawi: Ich habe den Eindruck, dass die erste Assoziation mit München oft „teuer“ ist. Personal, Infrastruktur, Lebenshaltungskosten, Steuern. Dieses Image haftet der Stadt einfach an und schadet der Neuansiedlung von Startups.
Ich halte München jedoch gerade perspektivisch für einen hoch interessanten Standort – speziell aus der Sicht eines Tech-Startups: ein stabiles politisches Fundament (nachdem wir ein Entwicklungsbüro in Sankt Petersburg haben, sehen wir politische Stabilität nicht mehr als Selbstverständlichkeit an), unheimlich viele motivierte, kluge Köpfe, relevante Förderprogramme, eine gut vernetzte Startup-Szene, die unmittelbare Nachbarschaft zu zahlreichen Weltmarktführern und global agierenden Konzernen… wenn es in München an einem nicht mangelt, dann sind es Chancen!
Munich Startup: Outsourcen oder selber machen?
William Barkawi: Das ist eine Frage, die ich mir auch oft selbst stelle. Meine Devise, ganz gleich, ob bei physischen oder digitalen Produkten: die eigenen Kernkompetenzen immer selbst herstellen bzw. entwickeln. Alles, was dem eigenen USP zu Gute kommt, sollte inhouse produziert werden. In allen übrigen Bereichen halte ich Outsourcing für sinnvoller. Einerseits, weil man sich so auf die richtigen Dinge konzentrieren kann, andererseits auch, weil es oftmals schlicht ökonomischer und meist auch schneller ist. Dabei ist es jedoch enorm wichtig, sich einerseits nicht abhängig zu machen und andererseits immer kritisch zu fragen: Passt das Outsourcing-Modell bzw. die Lösung zu unserer Unternehmensphilosophie und unseren Werten (Beispiel: Produktion in Billiglohnländern).