© Jorge Novominsky

DLD Tel Aviv: Ernährung, KI und das ewige Leben

Wie können 10 Milliarden Menschen ernährt werden? Wie entwickelt sich künstliche Intelligenz weiter? Und kann Healthtech den Tod besiegen? Diese und andere Fragen wurden auf dem DLD Innovation Festival in Tel Aviv beantwortet. Wir waren für Euch vor Ort.

Der Beginn des dreitägigen DLD Innovation Festival in Tel Aviv stand in diesem Jahr unter dem Stern von Cybertech. Denn während an Tag 1 die ersten Themen auf der Bühne des DLD verhandelt wurden – darunter Fragen zur Zukunft der Arbeit, Kreativität und Innovation – fand parallel die Ausstellung der Cybertech Global statt. In der Messe Tel Aviv konnten die BesucherInnen nicht nur zahlreiche israelische Startups kennenlernen, sondern auch hochkarätig besetzten Diskussionen lauschen. Themen waren unter anderem Cyber-Herausforderungen zu Zeiten von Krieg in Europa und das Zusammenspiel zwischen Strafverfolgung und Cyber Security.

Besonderes Interesse weckte hier die Präsentation von Bryson Payne, Professor an der University of North Georgia und Koordinator des dort angesiedelten Cyber Programs. Er demonstrierte das Hacking eines Autos. Die sich anschließende Diskussion zeigte, dass in Zeiten smarter und aufkommender selbstfahrender Autos deren digitale Sicherheit nicht zu vernachlässigen ist.

Weitere wichtige Zukunftsthemen wurden am darauffolgenden Tag diskutiert. Von der Messe in das Habima Theater im Herzen der Stadt gewechselt bot sich den TeilnehmerInnen nun eine breite Auswahl. Das Programm entwickelte auf seinen drei Bühnen mehrere Schwerpunkte. Der Morgen konzentrierte sich dabei auf die Nahrungsversorgung.

Von modifiziertem Saatgut und profitgierigen Konzernen

Ein erstes Panel diskutierte zunächst die Zukunft der Landwirtschaft. Die Diskutierenden machten hierbei deutlich, dass die Agrarindustrie vor einer doppelten Herausforderung steht. Auf der einen Seite wächst die Weltbevölkerung stetig weiter, andererseits verschlechtert der sich fortschreitende Klimawandel die Bedingungen für die Landwirtschaft. Die Lösungen, die die PanelistInnen hierfür anboten, speisten sich wenig überraschend aus den Portfolios ihrer Unternehmen. So waren mit Salicrop und Better Seeds gleich zwei israelische Unternehmen auf der Bühne, die Saatgut verändern und modifizieren. Auf diese Weise steigern sie den Ertrag von Nutzpflanzen und machen sie weniger anfällig für Schädlinge sowie anspruchsloser in Sachen Bodenqualität und Wasser. Aber auch die Startups selbst stehen vor Herausforderungen. Denn durch die Saisonalität der Landwirtschaft ist der Go-to-Market in dieser Branche durch ungewöhnliche Umstände geprägt, die InvestorInnen mit besonderer Geduld erfordern.

Ein zweites Panel widmete sich dann dem Thema Foodtech. Die Lebensmittelindustrie kam hierbei denkbar schlecht weg. Denn wie einer der Panel-Teilnehmer ausführte: Das Ziel der Lebensmittelindustrie sei es nicht, alle Menschen zu ernähren, sondern ihre Profite zu maximieren. Dies führe dazu, dass die Nachfrage nach den Produkten durch den Zusatz von Salz, Fett und anderen Stoffen gesteigert werde, was allerdings zu Lasten der Gesundheit der KonsumentInnen gehe. Deren Ernährungsgewohnheiten seien für rund 70 Prozent der häufigsten Gesundheitsprobleme verantwortlich. Die VerbraucherInnen müssten daher mehr Verantwortung für ihre Ernährung übernehmen und sich entsprechend bilden. Die Industrie zumindest ein Stück weit in Schutz nahm hingegen Alon Chan. Er unterstützt Lebensmittelkonzerne mit seinem Unternehmen Tastewise Technologies bei der Markforschung und versicherte, dass die Botschaft angekommen sei und die Industrie an neuen Angeboten arbeite.

Der Traum vom ewigen Leben

Dem Thema Gesundheit widmeten sich auch andere Diskussionen. Unter dem Titel „The Future of Digital Health” diskutierten mehrere GründerInnen – beinahe alle ehemalige praktizierende ÄrztInnen – über aufkommende Technologien. Eine besondere Perspektive brachte dabei Nirit Pilosof ins Spiel. Die Dozentin an der Collar School of Management der Universität Tel Aviv und gelernte Architektin beschrieb, wie die sich rasant entwickelnden neuen medizinischen Lösungen auf den Bau neuer Krankenhäuser auswirken. Denn dieser könne bis zu zehn Jahre dauern, so dass bei der Planung Lösungen berücksichtig werden müssten, die es noch nicht gebe.

Über eine ganz andere Herausforderung sprach der Arzt und Direktor des Think Tanks Millenium Project Jose Cordeiro. In der Szene hat er sich bereits einen Namen als Propagandist des ewigen Lebens gemacht, und auch auf dem DLD in Tel Aviv stellte er seine Ideen vor. Er betrachtet Altern als Krankheit, die man bekämpfen müsse und auch könne. Vorbild dabei seien sowohl „theoretisch unsterbliche“ Krebszellen wie auch bestimmte Quallen. Man müsse „nur“ die Mechaniken entschlüsseln. Das bringe auch einen anderen Vorteil: da viele Krankheiten, die die Medizin aktuell bekämpft, Alterserscheinungen seien, wäre die Unsterblichkeit eine Entlastung der Gesundheitssysteme. Aktuelle Fortschritte in der Forschung verleiteten ihn zu der Aussage, dass die jetzt geborene Generation nicht mehr alt werden müsse. Ausführungen zu den Auswirkungen der Unsterblichkeit auf Gesellschaft, Ernährung und Bevölkerungswachstum sparte er sich allerdings.

Kritik von KünstlerInnen und einem Nobelpreisträger

Für kritische Worte zuständig sahen sich andere RednerInnen. So zum Beispiel der Nobelpreisträger Dan Shechtman. Der Entdecker der Quasikristalle referierte über den Unterschied von technologischer Evolution und Revolution. Dabei rief er auch in Erinnerung, dass jede Technologie für gute wie auch schlechte Zwecke eingesetzt werden könne. Bethany Halbreich, Gründerin der Initiative Paint the World, nahm eine ganz konkrete Technologie ins Visier: das Brain Computer Interface. Denn wenn es möglich würde, Wissen direkt in das Gehirn einzuspeisen – sozusagen ohne den Umweg des Lernens – wie würde eine Gesellschaft mit Wissen umgehen? Würde es demokratisiert und allen zugänglich gemacht? Oder zur Ware, die verkauft wird? In beiden Fällen, so Halbreich, würde es jedoch darauf hinauslaufen, dass nicht mehr Wissen Macht ist, sondern Kreativität.

Ein Blick auf die Quantenzukunft

Ebenfalls viel um Zukunftsmusik ging es auf dem DLD in Tel Aviv in dem Panel „Tech of the Future“. Hier wurden zwei wegweisende Technologien ins Visier genommen: Quantentechnologie und künstliche Intelligenz. Und wie beide in Zukunft miteinander interagieren würden. Dabei gab Niko Mohr von McKinsey zunächst zu bedenken, dass der Bereich „Quantum“ nicht nur Quantencomputer umfasse, sondern auch Quantenkommunikation und Quantenmessung. Und dass Europa nur im letzten Bereich mit den USA und China mithalten könne. Dabei nimmt Deutschland allerdings eine besondere Rolle ein: Denn 50 Prozent aller in Europa in Quantentechnologie investierten Mittel stammen aus der Bundesrepublik.

Anschließend wurden verschiedene Herausforderung der Technologie besprochen, die so monumental wie das Feuer oder das Rad werden soll. Denn es fehlen nicht nur zahlreiche SpezialistInnen in dem Gebiet – auf 800.000 bis 900.000 offene Stellen kommen nur rund 350.000 Uni-AbsolventInnen. Auch die Leistung der bestehenden Quantenrechner sei noch viel zu niedrig, zumindest gemessen an dem, was theoretisch möglich wäre. Zudem fehle nicht nur der One Stop Shop, der Hardware, Betriebssystem und Software zusammenführt, es mangele sogar noch an den entsprechenden Sprachen. Ein Python oder C++ für Quantum existiere noch nicht. Mittelfristig – so das Fazit der Diskussion – werde Quantencomputing von sogenannten hybriden Systemen dominiert. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus einem Quantencomputer und einem herkömmlichen, wenn auch extrem leistungsstarken Rechner, der diesen leitet und bedient.

Die Zukunft der KI liegt in der Ontologie

In Sachen künstlicher Intelligenz zeigten sich die ExpertInnen auf der Bühne wenig begeistert von Chat GPT. Denn sie verwiesen auf das dem System zugrunde liegende Problem: Die Trainingsdaten des Chatbots basieren auf Daten aus dem Internet. Damit seien seine Antworten nur so zuverlässig wie die Schwarmintelligenz des Netzes. Gibt es keine Antwort auf eine Frage, versagt der Bot – etwa, indem er Titel nicht-existierender Arbeiten als Quellenangaben zusammenwürfelt.

Was der KI hier letztlich fehle, sei ein ontologisches Verständnis der Begriffe, die sie verwendet. Frage man Chat GPT etwa, wie viele Teelöffel Zucker man aus einer Packung nehmen könne, bis diese leer ist, wisse die KI weder, was ein Teelöffel noch was Zucker ist. Seine Antwort basiere lediglich auf den Antworten, die Menschen zuvor im Netz auf diese Frage gegeben haben und wiederholt diese. Die nächste Stufe der KI müsse dies leisten können, sei darin aber von funktionierenden Quantencomputern abhängig. Denn nur sie könnten die notwendigen Datenmengen in akzeptabler Zeit verarbeiten.

Im Anschluss an die Podiumsdiskussionen verteilte sich der DLD an seinem zweiten Tag über die Innenstadt von Tel Aviv. In zahlreichen Bars und Clubs wurde dann über verschiedenste Themen referiert und diskutiert, bevor es zur Afterparty ging. Von Themen wie Fakenews über Smart City bis hin zum Metaverse war viel geboten. Der besondere Vorteil dabei: Die TeilnehmerInnen konnten direkt im Anschluss mit den ReferentInnen ins Gespräch kommen.

Den Abschluss des Innovations Festivals bildete dann die Unconference am dritten Tag. Bei diesem Konzept gibt es kein festes Programm, stattdessen kann jedeR TeilnehmerIn auf einer der Bühnen referieren oder mit anderen diskutieren. So soll das Publikum selbst entscheiden können, welche Themen es für wichtig hält und diese besprechen.