Manuel Thurner (l.) und Konstantin Mehl (r.) – ein gutes Team (© Kaia Health)

Porträt: Kaia Health bekämpft Volkskrankheit Rückenschmerzen

Rückenschmerzen sind die Volkskrankheit Nummer Eins in Deutschland. Um diesem Problem zu begegnen, gibt es unterschiedliche Lösungsansätze. Der wirkungsvollste Umgang mit Rückenschmerzen besteht jedoch in einem an die Schmerzen angepassten, aber aktiven Lebensstil.  Das Münchener Startup Kaia Health hat eine digitale Therapie gegen Rückenschmerzen entwickelt. Erstmalig gibt es die sogenannte multimodale Therapie in App-Form.

Die Zielgruppe von Kaia sind nicht nur die 80% der Bevölkerung, die mindestens einmal im Leben unter Rückenschmerzen leiden. Es sind auch nicht allein die 5-10% davon, die dauerhaft Schmerzen haben. Im Fokus des Münchner Startups stehen ebenfalls Unternehmen, die das Problem Rückenschmerz bekämpfen wollen.

Die Gründer von Kaia, Konstantin Mehl und Manuel Thurner, sind nicht ganz unbekannt in der Münchner Gründerszene. Gemeinsam bauten sie bereits Foodora auf. Nachdem sie Anfang Juni  2017 bei Foodora komplett ausgestiegen sind, können sie sich nun ihrem bereits 2016 gegründeten Startup Kaia Health widmen.

Zusammenspiel mit Versicherungen und ärztlichen Behandlern

Bereits bei Foodora machten die beiden Gründer gute Erfahrung mit dem Vertrieb, sowohl  B2B als auch B2C. Konstantin erläutert:

„Große Unternehmen und Versicherungen kommen auf uns zu, weil Rückenschmerzen in allen Industrienationen der #1 Arbeitsunfähigkeitsgrund sind. Das ist doch unglaublich! Da leben wir in einem hochindustrialisierten Land wie Deutschland und gegen Rückenschmerzen bekommt die medizinische Versorgungslandschaft von mir eher eine wohlwollende 3- im Schulnotensystem.“

Der Seriengründer sieht Vorteile darin, dass ein Startup flexibler Wegbereiter sein und gleichzeitig  die Kooperation mit der Regelversorgung suchen kann. So ist Kaia Health Teil eines großen, mit  5,2 Mio. Euro geförderten Forschungsprojekts, gemeinsam mit der AOK Bayern und der TU München.

Goldstandard — ohne Wartezeiten & ohne Kostenlawine

Zusammen mit dem Schmerzzentrum der TU München haben die Gründer den „Goldstandard der Rückenschmerztherapie“, die multimodale Schmerztherapie, digitalisiert. Diese Art der Therapie  ist eine Alternative zu einer Operation. Allerdings  wird sie selten von Krankenkassen übernommen und ist mit bis zu 15.000 Euro recht teuer. Wartezeiten von bis zu zwei Jahren auf einen Therapieplatz machen die Kaia-App, bei der man sofort lostrainieren kann, umso attraktiver. Künftig soll Kaia auch durch Kassen übernommen werden.

Artifical Intelligence als Hauptfokus der Gründer

Fitness-Apps gibt es zuhauf, auch solche gegen Rückenschmerzen sind bereits am Markt. Und Kaia klingt auf den ersten Blick nicht so anders: Für jeden Tag gibt es ein ganzheitliches Trainingsprogramm, bestehend aus Wissens-, Achtsamkeits- und Körper-Übungen.

kaia screen

Wir haben Gründer Konstantin gefragt, wie sich ihr Startup von der Konkurrenz abhebt:

„Wir haben als weltweit einziger Anbieter den medizinischen USP mit dem Goldstandard der Rückentherapie. Und wir haben einen technischen USP durch die Integration von künstlicher Intelligenz. Wir Gründer sind fast nur mit unserem ‚AI lab‘ beschäftigt.“

Künstliche Intelligenz für Auge und Hirn des digitalen Therapeuten

Diese technische Neuerung eröffnet Nutzern von Fitness-Apps neue Möglichkeiten: Über Bewegungs-Tracking, das sogenannte ‚therapists eye‘, werden über das Smartphone Verbesserungen der Body-Übungen in Echtzeit möglich sein.

Das ‚therapists brain‘ weiß dank künstlicher Intelligenz (AI) wie die Übungen, basierend auf der Krankheitsgeschichte der Patienten und der Übungs-Performance, am besten aufgebaut sein sollen. Und auch Kunden wie große Versicherungen profitieren von Kaias ‚AI lab‘.

Ein Pluspunkt bei der Produktentwicklung ist sicher auch, dass Konstantin genau weiß, wovon er spricht: Seine „Schwachstelle“ sei sein Rücken, meint er, und sagt:

„Wir bauen ja im Endeffekt die App für mich, damit ich nicht mehr zum Arzt rennen muss. Ich bleibe bei Kaia dran, weil ich merke, dass es mir hilft und das Training mit relativ wenig Zeitaufwand meine Rückenschmerzen im Zaum hält.“

Vor einigen Jahren war er dank einer multimodalen Therapie nur knapp an einer Wirbelsäulen-Operation vorbeigekommen. Und heute nutzt der junge Unternehmer Kaia selbst aktiv 3-4 Mal pro Woche, beispielsweise nach einer längeren Autofahrt.

kaia body exercise

Ist der deutsche Markt bereit für digitale Pharma-Startups?

Kaia Health will also viel mehr, als nur eine Fitness-App auf den Markt bringen. Die Gründer sehen sich eher als digitales Pharmaunternehmen. Etwas, das auf dem deutschen Gesundheitsmarkt noch nicht angekommen ist. Konstantin schildert das so:

„In Deutschland gibt es sehr gute Mediziner, die versuchen, medizinisch korrekte Angebote auf den Markt zu bringen. Dann gibt es da noch die zweite Gruppe, die Internet-Unternehmer, die eine Fitness-App bauen. Die Kombination aus beiden Ansätzen fehlt.“

Investoren verwechseln Kaia oft mit einer Fitness-App und vereinfachen das Unternehmen auf ‚Ihr seid also ein Freeletics für Rückenschmerzen‘. Anders sieht es in Amerika, Asien und auch anderswo in Europa aus. Der Gründer ergänzt:

„Dort gibt es digital health Investoren, die den Sektor sehr gut verstehen. Die sehen uns eher wie eine Pharmafirma, die halt keine Tabletten entwickelt, sondern Apps. Diese Investoren verstehen auch, dass wir klinische Studien machen und Datenschutz ein großes Thema ist. Natürlich verstehen diese Investoren auch, dass wir viel mehr Geld und Zeit brauchen, um eine digitale Therapiefirma aufzubauen, als für eine Fitness- oder Wellness-Firma.“

Nichtsdestotrotz hat das Münchner Startup bereits eine erste Seedrunde mit 720.000 Euro im vergangenen Jahr abgeschlossen. Nicht zu vergessen das Förderprojekt des Bundesausschusses über 5,2 Mio. Euro gemeinsam mit anderen Konsortialpartnern.

Als reine Wellness-App kommt man nicht weit

Und auch die für so viele Med-Tech Startups schwierige Anerkennung als Medizinprodukt haben die Gründer mit Hilfe externer Berater und dank des Arztes im Team – Dr. Stephan Huber als Chief Medical Officer – gemeistert. Trotzdem ist es aufwändig.

Was an der Zertifizierung hinderlich ist und wieso es sich trotzdem lohnt erklärt Konstantin:

„Natürlich beeinflusst das stark unseren Produktentwicklungsprozess, macht ihn langsamer und dokumentationsintensiver. Unsere Mission ist es aber eben, digitale Therapien zu entwickeln und da kommt man als reine Wellness-App nicht sehr weit. Wir haben ja auch klinische Studien am Laufen und arbeiten mit Versicherungen zusammen. Würde alles nicht gehen ohne die notwendigen CE-Zertifizierungen.“

Große Sprünge? Macht man im eHealth Bereich eher im Ausland

Gefragt nach der aktuell größten Herausforderung antwortet der erfahrene Gründer, dass es momentan eine schwierige Frage ist, ob und wie lange Kaia Health noch in Deutschland bleiben soll. Denn Asien und die USA  sind wesentlich reifere Märkte bezüglich digitaler Therapien. In Boston, dem medizinische Hotspot in den USA, gibt es bereits ein Büro. Hier gehen viele Anfragen großer Unternehmen ein. Ein asiatischer Investor ist ebenfalls mit an Bord und dort winken einige Pilotprojekte.

Wer schnell skalieren möchte braucht glückliche User!

Bei Foodora hatten Manuel und Konstantin gezeigt, wie ein Startup Fahrt aufnehmen kann. Daher wollten wir wissen, ob sie bei Kaia auch eher auf  schnelle Expansion setzen. Konstantin erklärt:

„Wenn wir mit Kaia schnell skalieren wollen, müssen wir vor allem das Produkt immer besser machen. Im Schnitt kennt jeder Mensch ca. fünf Leute, die auch Rückenschmerzen haben. Das heißt: Wenn wir unsere bisherigen User superglücklich machen, wird unser Wachstum enorm sein.“

Erfolgsfaktor Team

Deshalb fokussieren sich die Gründer im Moment insbesondere darauf. Und natürlich auf den Dauerbrenner bei Münchner Startups: Gutes Personal zu finden. Schließlich braucht ein erfolgreiches Unternehmen neben einem guten Produkt außerdem ein gutes Team. Konstantin formuliert es so:

„Ein Weltklasse-Team ohne Kompromisse. Das heißt: Ohne Team-Mitglieder, denen die Mission nur halb wichtig ist. Jeder Kaianer muss 100% von unserer Mission überzeugt sein.“

Da bleibt zu hoffen, dass bei Kaia die aktuell 18 Mitarbeiter ihre Mission gegen die Rückenschmerzen weiterhin erfolgreich vorantreiben. Und dass sich der deutsche Markt für eHealth-Innovationen weiter öffnet. Egal, ob es um die Gesetzgebung oder die Investoren-Offenheit geht.

Helen Duran

Als Redakteurin ist die Wirtschaftsgeografin Helen Duran seit 2015 für Euch in der hiesigen Gründerszene unterwegs. Sie ist neugierig auf Eure spannenden Startup-Geschichten!

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