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„Keine Limits setzen!“ – Dagmar Schuller von audEERING im Interview

Dagmar Schuller hat 2012 ihre Firma audEERING gemeinsam mit einem kleinen Team und wenig Startkapital gegründet. Neues aufzubauen und sich stetig weiterzuentwickeln liegt der Gründerin. Erst studierte sie Wirtschaftswissenschaften, dann Rechtswissenschaften, beides mit Fokus auf IT. Wie sie einen Footprint hinterlassen möchte, wieso Lächeln wichtig ist und gegen welche Klischees sie anfangs ankämpfen musste, erzählt uns Dagmar Schuller im Interview.

Was hat Dich zur Gründung motiviert?

Ganz klar: meine Überzeugung, dass intelligente Audioanalyse und KI unsere Zukunft wesentlich beeinflussen werden. Mein Antrieb war es, KI sinnvoll und verantwortungsvoll für Menschen in verschiedensten – und vor allem alltäglichen – Anwendungsbereichen und Lebenslagen zugänglich und damit nutzbar zu machen. Die Grundlage dafür haben meine Mitgründer bereits durch die renommierte Forschungsarbeit am Lehrstuhl für Mensch-Maschine-Kommunikation an der TU München gelegt.

Außerdem war ich bereits während meiner Zeit als Angestellte schon immer für Unternehmensbereiche zuständig, die erst komplett neu aufgebaut werden mussten. Nachdem ich einige Male für unterschiedliche Unternehmen in Investmentrunden erfolgreich verhandelt hatte und komplette Geschäftsbereiche national und international auf- und ausgebaut hatte, war der nächste logische Schritt für mich, selbst zu gründen.

Hattest Du Vorbilder beim Gründen?

Ein klassisches Vorbild für das Gründen à la Bill Gates oder Elon Musk hatte ich in dem Sinne nicht. Ich habe nie darüber nachgedacht, einem bestimmten Rollenmodell zu folgen. Das passt einfach nicht zu mir und meiner Denkweise. Als Gründer möchte man doch immer etwas Neues schaffen und ist motiviert, sich weiterzuentwickeln. Man arbeitet daraufhin, seinen eigenen Footprint in einem bestimmten Markt oder Segment zu hinterlassen und wird davon angetrieben, wenn aus Ideen tatsächliche Projekte und Produkte entstehen. Wenn man einen Unterschied machen möchte, muss man auch selbst hinter diesem Unterschied stehen. Deshalb habe ich mich von einzelnen Führungsstilen oder Innovationsprozessen inspirieren lassen, die auch zu mir und unserem Unternehmen passen.

„Neue Denkansätze durch intensiven Austausch“

Wann und wo bekommst Du die besten Ideen?

Das ist sehr situationsabhängig. Meine Ideen kommen meistens ganz spontan aus einem direkten Kommunikationsaustausch heraus. Wenn ich mich in einen Kontext hereindenke und ein Problem mit meinem Gesprächspartner angeregt diskutiere, versuche ich immer, eine Brücke zur Lösung zu schlagen. Dabei komme ich häufig auf ganz neue Denkansätze. Selbst wenn die Lösung noch nicht klar ist und es noch viele weitere Überlegungen braucht, entsteht die maßgebende Idee doch meist in diesem intensiven Austausch. Manchmal brauche ich für meine Ideen aber auch einen komplett leeren Kopf, um ganz neu anzufangen. Den bekomme ich am besten beim gemütlichen Laufen, ganz ohne Stress an der frischen Luft.

Dein größtes Talent?

Mein größtes Talent ist wahrscheinlich, Trends und ihr Potenzial früh zu erkennen. Schon als Teenager habe ich mich mit neuronalen Netzen, Fuzzy Logic und genetischen Algorithmen beschäftigt. Mitte der 90er und frisch aus New York zurück, habe ich beispielsweise im Rahmen meiner Tätigkeit bei Ernst and Young einem großen Versandhandelshaus ans Herz gelegt, ihre Bestellvorgänge auf digitale Prozesse umzustellen. Damit wäre es gelungen, frühzeitig auf die Anforderungen zu reagieren, selbst Trendsetter zu sein und den Markt aufzubereiten. Damals waren die großen Player aber noch nicht reif für diese Idee und ich wurde aufgrund der Empörung des Klienten über mein „völliges Unverständnis von Trends im Retail“ vom Projekt abgezogen. Heute ist der Online-Handel nicht mehr wegzudenken und das besagte Versandhandelshaus gibt es nicht mehr. Für mich ist es zu einer meiner größten Stärken geworden, diese Entwicklungen vorherzusehen und mit audEERING heute Trends zu setzen.

Der größte Irrtum, dem Du je unterlegen bist?

Einen wirklich großen Irrtum hatte ich im beruflichen Zusammenhang zum Glück noch nie. Aber natürlich habe ich schon Dinge auf meinem Karriereweg unterschätzt. In früheren beruflichen Zusammenhängen habe ich beispielsweise anders erwartet, wie Menschen auf bestimmte Entwicklungen reagieren und welche unterschiedlichen Motivationen und Antriebsfaktoren sie zu einer persönlichen Entscheidung führen.

Deine Geheimwaffe beim Networking?

Es ist so simpel wie es klingt: lächeln und den Menschen in die Augen schauen! Damit ist der erste Schritt schon getan. Viel zu oft sehe ich auf Networking Events Teilnehmer, die nur auf ihre Smartphones starren. Dabei verpassen sie so viele wertvolle Gelegenheiten. Für mich heißt Networking, den Blick vom Bildschirm zu heben, offen auf mein Gegenüber zuzugehen und die Zeit für gute Gespräche zu nutzen. Außerdem: Mit einem Lächeln, das vom Herzen kommt, entwaffnet man jeden eventuell gestressten Besucher.

Das „Frauen und Geld“-Klischee

Die drei übelsten Vorurteile, die Dir im Gründeralltag begegnen?

Seit ich audEERING gegründet habe, bin ich glücklicherweise nur wenigen Vorurteilen begegnet. Normalerweise kennt man ja die Bedenken von Geschäftspartnern und Investoren, ob die Technologie wirklich kann, was die Präsentation verspricht. Aber durch unsere bestehende Reputation aus unseren Forschungsprojekten stand das nie zur Debatte.

Persönlich hatte ich in meiner Karriere schon ab und an mit Klischees zu kämpfen. Da ich in einem jungen Alter bereits Positionen innehatte, die mit viel Verantwortung verbunden waren, wurde mir weniger zugetraut als meinen Kollegen. Das klassische „Frauen und Geld“-Klischee ist mir ebenso begegnet. In einem Investorengespräch wurde ich plötzlich gefragt, ob ich auch in der Lage bin, das Geld, das man zu investieren beabsichtigt, für das Unternehmen auszugeben. Eine Frage, die man einem Mann so nie stellen würde.

War es für Dich von Vorteil oder von Nachteil, eine GründerIN zu sein?

Bei der Gründung von audEERING hat meine Rolle als Frau für mein Empfinden kaum eine Rolle gespielt. Im Mittelpunkt stand ganz klar immer meine Kompetenz, die ich aufgrund meines wirtschaftlichen und juristischen Hintergrunds in Verbindung mit Innovation und IT mitbringe. Generell ist es aber für Frauen in Europa im Gegensatz bspw. zu den USA nach wie unüblicher, sich in Technologie geprägten Branchen zu bewegen. Deshalb falle ich bei Events oder bei Vorträgen im Technologiebereich natürlich auf. Das kann besonders beim Networking durchaus ein Vorteil sein. Man verbindet sich auch besonders schnell mit anderen Frauen in der Tech-Branche. Das bedeutet natürlich nicht, dass alle Frauen jetzt nach Geschäftsmodellen im IT-Bereich suchen und ihre ursprünglichen Pläne verwerfen sollten. Vielmehr geht es darum, sich selbst treu zu bleiben und das Frau-Sein als Stärke und nicht als Makel zu sehen. Die Frage sollte nicht sein: „Wie muss ich sein, damit ich in dem Bereich Erfolg habe?“, sondern „Wie bin ich und wo kann ich genau damit Erfolg haben? Und vor allem – habe ich Spaß daran und bin ich authentisch?“. Frauen sollten auf ihre individuellen Fähigkeiten und Talente vertrauen und sich keine Limits zu setzen, auch wenn man dem einen oder anderen Klischee begegnet.

 Was liegt auf Deinem Schreibtisch gerade ganz oben?

Wenn ich so rüber schaue, liegt neben meinem Laptop gerade ein hochspannendes wissenschaftliches Paper zu Emotionserkennung bei Hunden. Außerdem wartet mein mittlerweile kaltes Mittagessen noch auf mich. Das kennt wahrscheinlich jeder Gründer – es kommt einfach immer etwas dazwischen.

 Wohin geht’s als nächstes in den Urlaub?

Vor ein paar Wochen war ich in Dänemark, deshalb werde ich meine nächsten freien Tage mit der Familie in meiner österreichischen Heimat verbringen. Ich komme ursprünglich aus der Steiermark und freue mich auf die atemberaubenden Berge, die klare Luft, die steirische Erdapfelwurst und Salat mit Kernöl.

Innovationen „Made in Munich“ müssen sich nicht verstecken

 Was wolltest Du den Münchnern schon immer mal sagen?

Nur Wien ist schöner! Nein, Spaß beiseite – München ist fantastisch und ich möchte nicht mehr tauschen. Den Münchnern möchte ich an Herz legen, ihre Stadt selbstbewusst als herausragenden europäischen Innovationsstandort zu präsentieren, denn das ist sie. Wir neigen oft dazu, den Blick in die USA zu richten und das Silicon Valley als Zentrum der weltweiten Startup Szene zu sehen. Wenn man hier in Bayern aber mal nach rechts und links schaut und insbesondere auch die Münchner Gründerszene betrachtet, merkt man schnell, dass wir uns vor der amerikanischen Konkurrenz nicht verstecken müssen. Ganz im Gegenteil. Die Innovationen „made in Bavaria“ und insbesondere auch hier „made in Munich“ sind Weltklasse.