„Habt Interesse an Eurem Gegenüber!“ — Temedica-Gründerin Gloria Seibert im Interview

Gloria Seibert ist CEO eines E-Health-Startups, dem digitalen Therapiebegleiter Temedica. 2016 gemeinsam mit CTO Clemens Kofler gegründet, erhielt ihr Startup 2017 eine Finanzierung. Etwas später kam Pelvina hinzu, ein Beckenbodenkurs per App. Als angehende Gründerin begegneten ihr einige Vorurteile — das mit dem wochentags Sonnenschein genießen an der Isar war das harmloseste. Im Interview erklärt sie unter anderem, wie sie als CEO ihres eigenen Unternehmens mit Fehlern und kritischen Situationen umgeht, wer für sie neben Elon Musk ein Vorbild ist und wo sie die besten Ideen bekommt.

Was hat Dich zur Gründung motiviert?

Nach dem Studium habe ich zunächst einmal den klassischen Weg eingeschlagen und war vier Jahre bei McKinsey als Unternehmensberaterin tätig. Ich habe jedoch innerlich den starken Drang gespürt, meine eigenen Visionen und Ideen umzusetzen. Somit war klar, dass ich mein eigenes Startup gründen möchte. Als Unternehmensberaterin war ich quasi täglich mit dem Thema Digitalisierung konfrontiert — negativ wie positiv. Es gab Klienten, die befürchteten, dass ihnen ihr Geschäftsmodell wegbricht. Andere sahen große Chancen in der digitalen Innovationswelle, die gerade über den gesamten Globus schwappt.

Gloria Seibert: Mit Leidenschaft bei der Sache

Mir war es wichtig, digitale Technologien noch besser zu verstehen. Deshalb habe ich nach McKinsey ein halbes Jahr eine Programmierschule im Silicon Valley besucht. Ich hatte das Gefühl, mir hier noch das Rüstzeug abholen zu müssen, um wirklich bereit zu sein.

Als wir die Temedica gegründet haben, war meine primäre Motivation, digitale Technologien zu nutzen, um Patienten das Gefühl zu nehmen, aufgeschmissen und alleine zu sein. Daraus hat sich über die letzten drei Jahre ein breit gefächertes Geschäftsmodell entwickelt.

Vorbilder? Eher ein „reicher Fundus an wirklich tollen Menschen“

Hattest Du Vorbilder beim Gründen?

Vorbilder… hm, schwierig. Ich bewundere Elon Musk für alles, was er erreicht hat und in welcher Konsequenz er seine Visionen umsetzt — trotz der vielen Zweifler, Nein-Sager und Widerstände. In meinem Gründer-Alltag habe ich Dutzende Vorbilder, die mir immer wieder mit dem einen oder anderen Problem helfen können oder als Inspiration dienen. Seien es Freunde, ehemalige Kollegen, andere Gründer. Zum Glück habe ich einen reichen Fundus an wirklich tollen Menschen um mich herum.

Wann und wo bekommst Du die besten Ideen?

Die besten Ideen bekomme ich, wenn ich mich mit anderen Menschen austausche: meinem Team, mit meinem Mitgründer Clemens, unseren Kooperationspartnern, Patienten, meinen Freunden oder meiner Familie.

Gesundheit betrifft schlussendlich jeden und niemand ist vor Krankheiten gefeit. So kann man sich quasi von überall Inspirationen holen — von unterschiedlichen Perspektiven und Blickwinkeln. Gerade das macht für mich die Digital-Health-Industrie so spannend.

Irrtümer nutzen, um sich weiterzuentwickeln

Dein größtes Talent? 

Ich bin ein sehr strukturierter Mensch und kann gut Menschen über ein gemeinsames Thema zusammenbringen. Dabei finde ich es enorm wichtig, die Sichtweisen von Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Expertisen zu erörtern und daraus das bestmögliche Ergebnis zu basteln. Das braucht viel Feingefühl und bringt immer wieder hitzige Diskussionen ins Rollen. Aber am Ende führt es meist zu einem guten Ergebnis, von dem alle Beteiligten profitieren.

Der größte Irrtum, dem Du je unterlegen bist?

Der Größte? Ehrlicherweise machen wir pausenlos dutzende kleine und mittlere Fehler. Da waren auch welche dabei — insbesondere in der Startzeit von Temedica — die uns durchaus in kritische Situationen gebracht haben. Einer unserer Werte bei Temedica ist ‚don’t be afraid of making mistakes — use them as an opportunity to learn‘.

Mir ist es wichtig, Irrtümer und Fehler dahingehend zu nutzen, dass man sich weiterentwickelt. Das trifft auf die Organisation wie auch auf jeden Einzelnen zu. Lieber tappen wir zwei bis drei Mal mehr in Fallen und werden davon besser, als dass wir stehenbleiben und uns dabei auf die Schulter klopfen, dass uns keine Fehler passiert sind.

„Habt Interesse an Eurem Gegenüber!“

Deine Geheimwaffe beim Networking?

Habt Interesse an Eurem Gegenüber! Ich finde es immer wieder erschreckend, wie viele Menschen sich auf Networking-Veranstaltungen tummeln, sich aber dann doch nicht für ihr Gegenüber interessieren.

Jeder Austausch ist auf seine Weise wertvoll und für mich ist es wichtig, die Motivation und Sichtweisen meines Gegenübers zu verstehen. Beim Networking geht es mir in erster Linie darum, spannende Geschichten und Erfahrungen zu teilen. Meist ergibt sich daraus dann indirekt ein Netzwerk — das auf Gegenseitigkeit beruht.

War es für Dich von Vorteil oder von Nachteil, eine Gründerin zu sein?

Ich mache mir da ehrlich gesagt nicht wirklich viel Gedanken darüber. Sicher gibt es hier und da vielleicht die ein oder andere Herausforderung als weibliche Gründerin, meistens hat man mit etwas mehr Vorurteilen zu kämpfen. Insbesondere in der Technologie-Branche. Wenn aber Dein Gegenüber — sei es ein Developer, ein Investor oder ein Kunde — merkt, dass Du weißt, wovon Du redest und mit Leidenschaft bei der Sache bist, spielt das Geschlecht keine Rolle mehr.

An der Isar liegen bei Sonnenschein?

Die drei übelsten Vorurteile, die Dir im Gründeralltag begegnet sind?

  • Wenn man gründet, kann man sich seine Zeit frei einteilen und sich unter der Woche bei Sonnenschein an die Isar legen.
  • Tolle Idee, aber das wird doch eh nichts. Mach doch Deinen tadellosen Lebenslauf nicht kaputt.
  • Du bist doch viel zu jung für das alles.

Was liegt auf Deinem Schreibtisch gerade ganz oben?

Das ändert sich ehrlich gesagt quasi im Minutentakt. Tagsüber habe ich in der Temedica sehr viel Operatives zu tun, so dass ich meistens nicht dazu komme an großen strategischen Sachen zu arbeiten. Das wird dann eher abends, nachts oder am Wochenende erledigt. Dann kann ich mich in Ruhe auf diese Dinge konzentrieren.

Wo verbringst Du Deinen nächsten Urlaub?

Wir arbeiten gerade an einigen größeren Themen, aus den ich mich momentan immer nur für ein paar Tage herausziehen kann. Ich werde im Winter hoffentlich dazu kommen etwas Urlaub zu machen. Und dann geht es irgendwohin, wo es warm ist und wo ich Sonne tanken kann.

Vielen Dank für die Einblicke, Gloria Seibert, und wir drücken Dir die Daumen, dass es mit dem Sonne tanken im Winter klappt.