Munich Startup: Chile und Argentinien dürften bei den meisten Startups nicht an erster Stelle stehen, wenn es um die internationale Expansion geht. Was entgeht ihnen dabei?
Bayerische Repräsentanz für Südamerika (Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru): Südamerika steht auch bei den Unternehmen nicht unbedingt an erster Stelle. Deshalb stehen die Bayerischen Repräsentanten bayerischen Unternehmen und Startups als deutschsprachige Ansprechpartner vor Ort zur Verfügung, vermitteln Marktinformationen, Kontakte und unterstützen sie so bei der Erschließung neuer Exportmärkte oder beim Auf- und Ausbau von Vertriebsstrukturen im Ausland. Dazu bietet die Bayerische Repräsentanz für Chile, Argentinien, Kolumbien und Peru ein Begleitprogramm für die Internationalisierung von bayerischen Startups an, damit diese den lateinamerikanischen Markt tiefgehend bewerten können. Es besteht auch die Möglichkeit, dass ausgewählte bayerische Startups vor Ort einen kostenfreien Arbeitsplatz für bis zu 3 Monate nutzen können.
In unseren Zuständigkeitsländern Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru sind die Volkswirtschaften gut entwickelt und Chile, Kolumbien und Peru konnten in den vergangenen Jahren im Durchschnitt ein starkes Wirtschaftswachstum verzeichnen. Gerade in Argentinien und Chile haben sich zunehmend auch Startups mit hoher Innovationskraft entwickelt und die Gründerlandschaft ist hier stark gewachsen. Das liegt auch daran, dass Lateinamerika erkannt hat, wie wichtig es ist, die Gründerlandschaft zu unterstützen, da diese ein wichtiger Treiber für technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel und dementsprechend auch für Beschäftigung, Wachstum und langfristigen Wohlstand ist.
Lateinamerika hat einen großen Bedarf an Innovation und Technologie
Die Geschäftschancen sind in Lateinamerika sehr interessant und vielfältig, weil es einen großen Bedarf an Innovation und Technologie gibt. Im Bereich Digitalisierung ergeben sich für bayerische Startups sehr spannende Chancen. Die Vorteile für Startups in Lateinamerika sind u.a. bessere Arbeitskosten als in Europa, Greenfield-Chancen, die Wirtschaft hat einen hohen Nachholbedarf, Weltklasse-Industrien und eine dynamische Gründerlandschaft.
Munich Startup: Was können Startups von diesem Markt erwarten? Was zeichnet ihn aus?
Bayerische Repräsentanz für Südamerika (Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru): Die südamerikanischen Märkte, insbesondere die Chiles, Kolumbiens und Perus, sind sehr offen und weitgehend restriktionsfrei. Der Marktzugang ist für Unternehmen weltweit offen, das heißt, bayerische Startups haben die gleichen Chancen wie einheimische Unternehmen. Andererseits bedeutet dies aber auch, dass man seine internationale Konkurrenz vor Ort wiederfindet.
Die Unternehmenslandschaft ist vor allem in den Rohstoffindustrien, wie z.B. Landwirtschaft, Öl, Gas und Bergbau, sehr gut entwickelt, aber man findet auch einen starken Dienstleistungssektor vor. Einer Studie des LADW (der Lateinamerika-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, Anm. d. Red.) zufolge sind gerade Innovationen und Technologie in den Bereichen Rohstoffabbau und -verarbeitung, Energietechnik, Healthcare sowie Manufacturing und Transport besonders gefragt.
„Gute Chancen haben Startups mit Lösungen für die Industrie“
Munich Startup: Für welche Startups wäre ein Einstieg in der Region denn besonders interessant?
Bayerische Repräsentanz für Südamerika (Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru): In den stark wachsenden Märkten Lateinamerikas gibt es vielfältigen Innovationsbedarf. Traditionell stark und deswegen besonders gefragt sind innovative Lösungen auf den Gebieten Rohstoffabbau und -verarbeitung und Landwirtschaft, zunehmend aber auch Energie-, Wasser- und Umwelttechnologien. Letztere sind besonders im Fokus, da die Region den Klimawandel bereits stark spürt und hier nach Lösungsansätzen sucht. Gute Chancen haben Startups mit Lösungen für die Industrie, also Startups mit B2B-Fokus. Hier sind besonders die Bereiche IoT sowie (Digital) Health, Smart Grids und Smart Cities zu nennen. Mining 4.0 ist vor Ort z.B. ein Ziel und dafür ist die bayerische Wirtschaft genau der richtige Partner. Man hat deshalb Interesse an Themen wie Industrie 4.0, Smart Production, AI, Mechatronik, Robotik, Leistungselektronik, Umwelttechnik, Sensorik, etc.
Munich Startup: Wie sind die Erfahrungen der Unternehmen vor Ort mit Startups? Haben sie sich schon daran gewöhnt, mit ihnen zusammen zu arbeiten?
Bayerische Repräsentanz für Südamerika (Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru): Das ist unterschiedlich, mehrere Unternehmen vor Ort arbeiten bereits mit Startups zusammen. In den letzten Jahren sind die Unternehmensgründungszahlen stark gestiegen – gerade in den Metropolen entwickeln sich Startup-Ökosysteme. Ebenso steigt die Zahl der Kooperationen zwischen Unternehmen und Startups im Moment stark. In Südamerika arbeiten über 2.000 Startups bereits regulär mit etablierten Unternehmen z.B. mit Hilfe von „Open Innovation Programmen“ zusammen. Gerade wenn die bisherigen Kooperationen erfolgreich sind, ist die Akzeptanz in südamerikanischen Unternehmen hoch. Zudem gibt es ähnlich wie in Europa seit Jahren auch erfolgreiches staatliches Bemühen, Startups und bestehende Unternehmen zusammenzubringen. Hier sind Erfolge ebenso bereits spürbar.
Santiago und Buenos Aires zählen zu den größten VC-Zentren des Kontinents
Munich Startup: Wie sieht denn die Investoren-Landschaft in Südamerika aus? Wie länderübergreifend agieren diese?
Bayerische Repräsentanz für Südamerika (Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru): Einige Investoren agieren in den jeweiligen Ländern oder der jeweiligen Region. Santiago und Buenos Aires sind bereits unter den größten VC-Zentren des Kontinents, mit weiter steigender Tendenz. In den letzten Jahren hat jedoch die Zahl großer Venture Capitals, die ganz Südamerika als potentiellen Investitionsraum sehen, gerade auch mit Blick auf Industrie 4.0 und Digital Services gesehen, stark zugenommen.
Auch große Unternehmen mit Interesse an speziellen Technologien und Lösungsansätzen sind sicher spannende mögliche Investoren. Mehr als die Hälfte der 100 größten Unternehmen Südamerikas ist im Bereich Corporate Venture Capital aktiv und investiert in innovative Startups.
Im Bergbau gibt es auch staatlich geförderte Open-Innovation-Programme, um Innovationen in diesen Bereich einzuführen. Wie z.B. das Innovationsprogramm Expande in Chile, welches ins Leben gerufen wurde, um das Innovationsökosystem im Bergbaubereich zu fördern. Siehe laufende Open Innovation Calls hier.
Munich Startup: Gibt es Geldgeber, die man als Münchner im Blick haben sollte?
Bayerische Repräsentanz für Südamerika (Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru): Ähnlich wie in Europa investieren die VC Funds in Südamerika in Startups mit Sitz vor Ort. Deshalb ist es für deutsche Startups wichtig, Kooperationen mit lateinamerikanischen Startups oder Unternehmen einzugehen. So können bayerische Startups z.B. öffentliche Gelder vom Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand www.zim.de in Betracht ziehen und analog erhalten die südamerikanischen Partner vor Ort Zugang zu Geldern der dortigen Initiativen. In Argentinien, wenn ein Accelerator z.B. ein Projekt finanzieren möchte, kann der Betrag über das Programm Fondo de Aceleración des Produktionsministeriums verdoppelt werden; Chile finanziert über Startup Chile nationale und auch internationale Startups ; in Kolumbien begleitet die staatliche kolumbianische Agentur INNpulsa Innovations- und Finanzierungsprozesse von Startups; und in Peru finanziert seit 2014 das Innóvate Perú-Programm Projekte zu Geschäftsinnovation und produktiver Entwicklung.
Matching zwischen bayerischen und südamerikanischen Startups
Dieses Matching zwischen bayerischen und südamerikanischen Startups oder Unternehmen unterstützt die Bayerische Repräsentanz in Südamerika. Seit 2013 unterstützen wir die außenwirtschaftlichen Aktivitäten, die Aktivitäten des Standortmarketings und tragen zur Pflege der Partnerschaft mit Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru bei. Ein wichtiger Arbeitsfokus ist die Netzwerkpflege, die Pflege der Kontakte auf politischer Ebene und zu den wichtigen Interessengruppen in Lateinamerika, wie die Wirtschaft sowie Gründer- und VC-Landschaften vor Ort. So wurde beispielsweise im Oktober 2020 eine virtuelle VC-Delegation aus Lateinamerika nach Bayern organisiert. Hier wurden bereits einige Kontakte geknüpft. Auch in 2021 wird die Bayerische Repräsentanz einen Workshop für Startups und VCs aus Bayern und Südamerika durchführen.
Munich Startup: Wie findet ein Startup aus München die richtigen Geschäftspartner in der Region?
Bayerische Repräsentanz für Südamerika (Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru): Für die Kontaktherstellung stehen sowohl die AHKs in den jeweiligen Ländern sowie die Bayerischen Repräsentanzen vor Ort zur Verfügung, die sehr gute Kenntnisse über Unternehmen und Wirtschaftschancen wie -bedarfe vor Ort haben. Bayerische Unternehmen können direkt den Kontakt über uns, die Bayerische Repräsentanz für Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru, suchen. Unser Büro steht speziell für Bayerische Unternehmen offen und hat sehr gute Netzwerke in allen vier Ländern.
Das WENGAN-Programm für bayerische Startups in Lateinamerika
Für bayerische Startups haben wir speziell das WENGAN-Programm ins Leben gerufen. Dieses Accelerator-Programm richtet sich an Bayerische Startups, die innovative, digitale Lösungen für Industrie entwickeln. Ausgewählte Startups bekommen einen Co-Working-Space in Südamerika und können so direkt vor Ort einen neuen Markt in Lateinamerika erschließen, ein passendes Geschäftsmodell (weiter-)entwickeln und den Kontakt zu potenziellen Partnern herstellen.
Munich Startup: Neben Argentinien und Chile ist WENGAN ja auch in Kolumbien und Peru aktiv. Wie große sind die Unterschiede in den vier Ländern?
Bayerische Repräsentanz für Südamerika (Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru): Natürlich bestehen Unterschiede zwischen den Ländern. Chile ist heute die am besten entwickelte Wirtschaft von allen vieren, obwohl Kolumbien und Peru ein sehr gutes Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren hatten. Alle drei Länder haben ein Freihandelsabkommen mit der EU, d.h. dass die Zolltarife für den Importe aus Europa für die meisten Produkte bei 0% liegen. Zudem gibt es auch Unterschiede in den Wirtschaftsaktivitäten der Länder. So gehört der Öl- und Bergbausektor sowie die Landwirtschaft in Kolumbien zu den traditionellen Industrien. Aber andere Industrien, die ein Wachstumspotenzial haben sind: Infrastruktur (inklusive die neue U-Bahnstrecke in Bogota, regionale Zugverbindungen und E-Mobility), Logistik, Tourismus, Umwelttechnik, Erneuerbare Energien, Software & IT, sowie Healthcare. Peru dagegen bietet spannende Chancen insbesondere in Bergbau, Healthcare, Transport, Energie, Logistik und Landwirtschaft. Wir beraten Unternehmen sehr gerne über die Geschäftschancen in den Ländern.
„Englisch ist leider immer noch eine Herausforderung für viele Personen“
Munich Startup: Gibt es Besonderheiten bei den Verhandlungen mit potenziellen Partnern?
Bayerische Repräsentanz für Südamerika (Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru): In Lateinamerika ist man kurzfristig orientiert, Englisch ist leider immer noch eine Herausforderung für viele Personen, die Distanzen und Reisezeiten dürfen in den lateinamerikanischen Mega-Cities nicht unterschätzt werden. Alle lateinamerikanischen Länder sind anders, so auch die Geschäftskulturen.
Munich Startup: Wie steht es um Unterschiede in der Unternehmenskultur zwischen Deutschland und Südamerika?
Bayerische Repräsentanz für Südamerika (Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru): Es ist schwierig, das pauschal zu sagen. Sicher ist es so, dass Unterschiede bestehen, so zum Beispiel beim Zeitmanagement (die berühmte deutsche Pünktlichkeit) oder beim persönlichen Umgang (viele Südamerikaner vermeiden es, Pläne offen abzulehnen und sind schnell beim „Du“). Die meisten Missverständnisse sind allerdings auch schnell wieder beseitigt.
Munich Startup: Gibt es wichtige Gepflogenheiten in der Geschäftswelt, auf die Münchner Startups unbedingt achten sollten?
Bayerische Repräsentanz für Südamerika (Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru): Essenstermine (Mittag- oder Abendessen) sind wichtig. Man sollte pünktlich sein obwohl man manchmal dennoch lange warten muss, Geduld ist ein Mehrwert. Es wird großer Wert auf den persönlichen Kontakt gelegt, deshalb sollte man die Kunden auf jeden Fall besuchen. Ein zentraler Unterschied zwischen der europäischen und insbesondere der deutschen Geschäftswelt und der südamerikanischen ist die zeitliche Orientierung eines Unternehmens. Deutsche Unternehmen pflegen meist einen relativ langen Zeithorizont und agieren sehr vorausschauend. In Lateinamerika sind Geschäfte oft kurz- und mittelfristig angelegt.
Nicht ganz Lateinamerika über einen Kamm scheren
Munich Startup: Welches No-Go sollte man unbedingt vermeiden?
Bayerische Repräsentanz für Südamerika (Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru): Man muss sich an die Gegebenheiten von jedem Markt anpassen, man kann nicht alles 1:1 kopieren. Selbst grenzenübergreifende lateinamerikanische Unternehmen haben für jedes Land ein anderes Geschäftsmodell.
Man sollte allgemein vermeiden, in Gesprächen die lateinamerikanischen Länder zu vergleichen und sollte sich dafür auf die positiven Aspekte jenes Landes, das man gerade besucht, konzentrieren.
Man kann nicht sofort mit dem Geschäftsthema ein Gespräch beginnen, nach der Begrüßung wird großer Wert auf ein paar persönliche Worte gelegt, um sich besser kennenzulernen. Man muss sich hierfür die Zeit nehmen.
Munich Startup: Haben Sie einen besonderen Tipp für Münchner Startups?
Bayerische Repräsentanz für Südamerika (Argentinien, Chile, Kolumbien und Peru): Man sollte in langfristigen Geschäftsbeziehungen investieren, Verständnis für kulturelle Unterschiede haben, das Thema Sprache nicht unterschätzen und man benötigt vor allem am Anfang einen lokalen Partner.