Kundenfeedback statt „heiße Luft“: Business Angel Martin Giese im Interview

Von der Gründung einer Schülerzeitung bis zum Business Angel ist es ein weiter Weg. Das weiß auch Martin Giese, seines Zeichens Negotiation Coach, Investor, Dozent und überhaupt Gründungsbegeisterter. Wir haben uns mit ihm unterhalten, um zu erfahren, was ihm als Business Angel besonders wichtig ist, welche Tipps er für junge Unternehmer hat und wie er die hiesige Startup-Landschaft einschätzt.

Martin, stell Dich doch mal ganz kurz vor und erzähle etwas zu Deinem Background!

Ich bin Business Angel und seit einem Jahr selbstständig als Negotiation Coach und Berater tätig mit Schwerpunkt Startups und Innovation.

Meine ersten unternehmerischen Erfahrungen habe ich mit 14 Jahren gesammelt, als ich eine Schülerzeitung gegründet und durch Anzeigenverkäufe 5 Jahre lang finanziert habe. Zusätzliche Begeisterung für Startups und für Verhandlungsthemen habe ich dann Ende der Neunziger aus den USA mitgebracht, als ich dort 3 Jahre in Harvard und am MIT studiert und bei einem Startup (Frictionless Commerce – später erworben durch SAP) mitgewirkt habe.

Hauptberuflich hat es mich dann für 15 Jahre in die Telekommunikations-Branche verschlagen, wo ich die Erfolgsgeschichte von Kabel Deutschland mitgestaltet habe. Dabei haben wir die neuen Geschäftsfelder digitales Pay TV und Breitbandversorgung über das TV-Kabel von ersten Pilotprojekten auf über 1 Mrd. Euro Jahresumsatz entwickelt. Auf dieser Grundlage konnten wir das Unternehmen 2010 trotz Finanzkrise erfolgreich an die Börse bringen. 2013 erfolgte dann der Erwerb durch Vodafone mit schrittweiser Integration in den Vodafone-Konzern.

Meine Rolle dabei begann im Sommer 2002 als Berater der Private-Equity-Käufer beim Kauf des Kabelnetzes von der Telekom. Nach Mitwirkung an der Produktentwicklung Digital TV bin ich dann 2004 ins Management gewechselt mit Leitungsfunktionen im Marketing, Vertriebsreporting, Business Intelligence, Controlling und zuletzt bis Sommer 2017 dann 5 Jahre als Geschäftsführer für die stark wachsende Kabel-Call-Center-Tochter mit 1.700 eigenen Mitarbeitern. Parallel habe ich mehrere Jahre im Rahmen des Zusammenwachsens auch Leitungsfunktionen für die Vodafone eigenen Call Center ausgeübt.

Nebenberuflich habe ich meine Verbindung zu Startups immer gepflegt. So unterrichte ich seit 2000 am Center for Digital Technology and Management (CDTM) der LMU und TU München und habe dort auch 2003 mein erstes Angel-Investment (Primo Espresso) gefunden.

Bis zu 100 Pitches im  Monat

Wie sieht Dein Alltag aktuell aus?

Das ist das Schöne an meiner selbständigen Tätigkeit: kein Tag gleicht dem anderen. Etwa die Hälfte meiner Zeit bin ich in konkreten Projekten oder Lehraufträgen tätig, so koordiniere ich gerade die Vorbereitungen für den Börsengang eines deutschen Mittelständlers und leite eine Serie von Verhandlungsworkshops in Berlin, Wien, Zürich, Frankfurt und München für die Startups im europäischen Climate-KIC Programm.

Den Rest der Woche verbringe ich nach Bedarf mit meinen Investments und gönne mir viel Zeit zum Erforschen der Startup-Szene als Teilnehmer, Speaker, Juror, Moderator, potentieller Investor oder Mentor/Coach in unterschiedlichsten Konstellationen. Dabei sehe ich inzwischen jeden Monat ca. 50-100 Pitches frischer Startups.

Was motiviert Dich dazu, als Business Angel tätig zu sein?

Die Chance, an spannenden Projekten in einer frühen Phase mitwirken zu können. Ich bin fasziniert von den Ideen und dem Drive, mit dem diese verfolgt werden. Gerade wenn man als plausibel empfundene Ideen erstmalig an echten Kunden testet, kann man unglaublich schnell viel lernen — besser als jedes Executive Training. Und wenn dann tatsächlich plötzlich Nachfrage da ist, beginnt direkt eine Phase spannender handwerklicher, organisatorischer und analytischer Herausforderungen im Rahmen des Wachstums.

Keine Lust auf „heiße Luft“

Was ist Dir bei der Arbeit mit einem Startup wichtig? Welche Art von Unternehmen sind interessant für Dich?

Da ich mein eigenes Geld investiere, habe ich mir selbst keine engen formalen Vorgaben gemacht und schaue mir vielfältige Teams und Projekte an. Aber Kernelemente sind:

• Ich muss das Produkt und den Mehrwert für den Kunden verstehen und das Team muss belegen können, dass dieser Punkt durch viele Gespräche mit potentiellen Kunden validiert wurde.
• Ich muss verstehen, wie man damit irgendwann Geld verdienen kann. Das ist im Kern die Frage, ob mittelfristig eine Einheit des Produkts deutlich unter einem realistischen Preispunkt erstellt und auch vertrieben werden kann.
• Das Team muss kompetent und sympathisch sein — schließlich werden wir einige Jahre „in guten und auch schlechten Zeiten“ miteinander verbringen. Eine wichtige Dimension davon ist, wie das Team mit Feedback umgeht.
• Ein großer Pluspunkt ist es zudem, wenn ich ein klares Bild im Kopf habe, wie ich mich über mein Kapital hinaus nützlich einbringen kann.

Was ist für Dich ein absolutes No-Go bei Startups?

„Heiße Luft“. Davon gibt es leider auch reichlich. Dies fängt bei unzureichend mit Kundenfeedback validierten Produkten an, bei unrealistischen Zeitplänen, Fantasie-Businessplänen und bizarren Vorstellungen zu Bewertungen.

Wichtig ist mir aber auch, dass Startups fehlendes Interesse meinerseits an einem Investment bitte in der Regel nicht als Negativurteil verstehen. Ich investiere in weniger als 1 von 100 Startups, die ich kennenlerne. Daher muss ich sehr schnell priorisieren, wo ich meine Zeit in ein ausgiebiges Kennenlernen, Due Diligence und Verhandlungen investiere.

Impact von Vorbildern nicht zu unterschätzen

Aus dem CDTM, wo Du bereits seit vielen Jahren unterrichtest, sind schon einige erfolgreiche Firmen hervorgegangen. Was ist das Erfolgsrezept?

Die Qualität der Studenten, die sich aus der TU und der LMU für das Programm bewerben, ist schon eine ganz wichtige Grundzutat. Den aus mehreren hundert Bewerbern ausgewählten ca. 25 Studenten pro Semester werden dann wichtige Grundlagen vermittelt. Dazu gehören:

• Arbeit in Teams, gerade auch zwischen Betriebswirten und Ingenieuren/Informatikern
• Trend- und Marktanalyse, Produktentwicklung, Verhandlungstraining, Projektmanagement

Nicht zu unterschätzen ist schließlich der Impact von Vorbildern durch die früheren Absolventen, zumal sich viele erfolgreiche Gründer der frühen Jahrgänge stark am CDTM und als Mentoren/Investoren engagieren.

Ein Ökosystem muss sich entwickeln — Die Wegrichtung stimmt

Häufig wird sich über einen Mangel an Investoren in Deutschland beschwert. Was meinst Du, woran liegt es, dass hier noch nicht so viel Geld in Unternehmen fließt wie beispielsweise in den USA?

Bei diesen USA-Vergleichen muss man meines Erachtens genauer hinschauen. Wenn man von den Ideal-Bedingungen in den USA spricht, denkt man faktisch an eine Handvoll erfolgreicher Cluster, insbesondere das Silicon Valley und das Umfeld von MIT & Harvard in Boston.

Aber Projekte wie CDTM, UnternehmerTUM und das LMU Entrepreneurship Center zeigen, dass man ein derartiges Ökosystem auch bewusst fördern kann, gerade wenn wichtige Erfolgsfaktoren wie Top-Unis und eine starke industrielle Basis schon gegeben sind. Ökosystem-Entwicklung ist ein Prozess, der Jahre und Jahrzehnte braucht zur vollen Wirksamkeit – die Richtung stimmt aber.

Aus der Sicht eines Business Angels: Hast du Forderungen/Wünsche an die Politik?

Es gibt viel zu tun, gerade im Bereich Digitalisierung der Schulen und der Verwaltung und in der Förderung einer positiven Unternehmerkultur. Andererseits gibt es meiner Meinung nach auch schon tolle Fortschritte, z.B. die EXIST-Stipendien für junge Gründer oder das INVEST-Programm zur Förderung von Business Angels.

Vielfältiges Unterstützungsangebot in München

Als Mentor hast Du die Münchner Gründerszene gut im Blick: Wie schätzt du sie ein und was fehlt ihr noch bzw. was fehlt dem Standort, um noch attraktiver und geeigneter für Startups zu werden?

Nach einem Jahr intensiver Feldforschung im Münchner Ökosystem bin ich beeindruckt von der Breite und Qualität der Unterstützungsangebote und auch von der positiven, kooperativen Grundstimmung bei allen Beteiligten. Was gegebenenfalls noch etwas fehlt, ist die Transparenz über die vielfältigen Angebote — ich entdecke selber immer noch Neues und erlebe immer wieder, dass Gründer relevante, für sie passende Angebote noch gar nicht wahrgenommen haben. Hier gebe ich gerne auf Nachfrage Auskünfte zu meinen Eindrücken aus den verschiedenen Programmen.

Vielen Dank für das Gespräch!