Alexander Henhammer, Stefan Fischer, Sebastian Pammer, Miriam Haerst, Stefan Leonhardt (v.l.n.r.)
© Kumovis

Kumovis: Erster 3D-Produktionsdrucker mit Reinraumintegration

Im vergangenen Jahr hat das Münchner Hightech-Startup Kumovis nicht nur den Münchner Businessplan Wettbewerb von Baystartup gewonnen, sondern auch ein Millionen-Investment eingefahren. Nun bringt das Unternehmen den ersten 3D-Produktionsdrucker mit Reinraumintegration auf den Markt. Wir haben mit dem Co-Founder und Geschäftsführer des Startups Kumovis, Stefan Leonhardt, gesprochen.

Was sind die Anwendungsmöglichkeiten Eures neuen 3D-Druckers?

Grundsätzlich lassen sich mit unserem 3D-Drucker verschiedenste Kunststoffe verarbeiten, weshalb er sich für unterschiedliche Branchen einsetzen lässt.

Unser Fokus liegt aber klar auf der Medizintechnik und unsere 3D-Drucker sind auch hierfür spezialisiert. Im Bereich der Medizintechnik lässt sich der Drucker für ein breites Spektrum einsetzen. Das beginnt bei Einweg-OP-Besteck, geht über Schnittschablonen für komplizierte Operationen bis hin zu individualisierten Implantaten.

Ganz wichtig ist uns aber, dass unser Drucker nicht nur für die Forschung- und Entwicklung genutzt werden kann, sondern auch für die Produktion. Das unterscheidet uns grundsätzlich von anderen 3D-Drucker Anbietern, da eine für die Produktion geeignete Anlage diverse Anforderungen mit sich bringt, die so oftmals nicht erfüllt werden können. Hierbei handelt es sich oftmals um Punkte wie die Reinigbarkeit des Systems oder die verwendeten Werkstoffe.

Additive Fertigung: Materialausschuss wird minimiert

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Was sind die Vorteile einer additiven Fertigung im medizinischen Bereich?

Grundsätzlich sehen wir vier große Vorteile:

Zunächst lässt sich mit der additiven Fertigung eine Dezentralisierung der Produktion bzw. der Herstellung von Medizinprodukten realisieren. Ein Drucksystem wie unseres, benötigt ca. einen Quadratmeter Raumfläche, einen Starkstromanschluss und Druckluft. Somit lässt sich unser System nahezu überall aufstellen und für die Produktion einsetzten.

Der nächste Punkt sind die Themen Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Produktion. Implantierbare Kunststoffe sind sehr kostspielig. Wir sprechen hier teilweise von über 2.000 Euro pro Kilogramm. Werden individualisierte Implantate mit Fräsen hergestellt, ist ein Materialausschuss von mehr als 80 Prozent keine Seltenheit. Und das führt zu enormen Kosten. Mit der additiven Fertigung können wir diesen Materialausschuss minimieren und mit etwas Geschick beim Design in manchen Fällen sogar komplett verhindern. Wir benötigen also nur die Menge an Material, die auch wirklich in das Produkt fließt.

Als dritter Punkt, und aus unserer Sicht einer der spannendsten Punkte, ist die Patientenindividualität zu nennen. Die additive Fertigung erlaubt uns eine enorme Designfreiheit, weshalb wir passgenaue Implantate herstellen sowie neue Strukturen, wie beispielsweise feinste Gitterstrukturen für ein besseres Knocheneinwachsen, realisieren können.

Abschließend ist noch die Umsetzung von digitalen Workflows zu nennen. Die additive Fertigung lässt sich als einer der physischen Arme der Digitalisierung sehen. Gerade in der Medizintechnik können wir automatisierte Workflows beginnend bei einem Patientendatensatz bis hin zum physischen Produkt umsetzen.

Patentiertes Temperiersystem

Was ist das Besondere an Eurem 3D-Drucker?

Wir haben den ersten 3D-Drucker entwickelt, der wirklich für die Serienproduktion von Medizinprodukten aus Hochleistungskunststoffen geeignet ist.

Das Herzstück unseres Druckers ist unser einzigartiges und zum Patent angemeldetes Temperiersystem. Wir haben den ersten 3D-Drucker entwickelt, der einen Luftstrom zum Temperieren des Bauraumes nutzt. Wir können die Baukammer auf bis zu 250 Grad erhitzen und erreichen damit deutlich höhere mechanische Kennwerte als es bisher im Rahmen der FLM-Technologie (Fused Layer Modeling) möglich war.

Hinzu kommt, dass wir den Luftkreislauf mit Filtertechnologie ausstatten können, sodass wir eine Reinraumumgebung im Inneren des Druckers erzeugen. So kann gewährleistet werden, dass keine Fremdpartikel oder Abriebpartikel in die gedruckten Teile eingebracht werden und somit Fehlstellen oder Kontaminationen verhindert werden.

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal unserer Drucker ist die bereits angesprochene Eignung für die Serienproduktion im medizinischen Umfeld. Hier gab es einige spezifische Anforderungen, die wir erfüllen mussten und auch mit dem Kumovis R1 erfüllen.

Welche Materialien verwendet Ihr für die Fertigung und warum?

Grundsätzlich lassen sich auf unserem 3D-Drucker sämtliche thermoplastische, also aufschmelzbare, Kunststoffe verarbeiten. Fokussiert sind wir aber auf die Werkstoffe, die es auch in für die Medizintechnik geeigneten „Grades“ gibt. Wir arbeiten eng mit Werkstoffherstellern zusammen, die hier großartige Arbeit leisten und immer mehr Materialen auf den Markt bringen.

Für Langzeitimplantate stehen bei uns verschiedene, für die Medizintechnik geeignete Hochleistungskunststoffe wie PEEK und PEKK im Vordergrund, die schon seit Jahren als Implantatwerkstoffe etabliert sind. Weitere spannende Werkstoffe, gerade im CMF-Bereich (Anwendungsbereich Kopf: Unterkiefer, Oberkiefer, Schädel etc.), sind PPSU (für die Medizintechnik geeigneten Hochleistungskunststoff) oder auch Ultem. Eine gerade kommende Werkstoffklasse sind degradierbare Materialien, also Materialien, die sich über die Zeit im Körper abbauen. Gerade im Einsatz zur Überbrückung von Knochendefekten werden diese in der Zukunft sicherlich eine Rolle spielen.

„Die Etablierung einer neuen Technologie in der Medizintechnik erfordert mehr als nur eine gute Idee.“

Was sind die größten Herausforderungen bei der Etablierung eines neuen Produkts im medizinischen Bereich?

Unser Ziel war es von Beginn an einen 3D-Drucker zu entwickeln, der für die Produktion von Medizinprodukten geeignet ist. Und besonders wichtig ist uns hierbei das Stichwort „Produktion“. Eine der größten Herausforderungen war es somit, unseren Drucker so zu entwickeln, dass auch etablierte Medizinproduktehersteller sagen: Ja, das ist eine Anlage, mit der ich auch in die Produktion gehen kann. Hier haben wir uns aber auch von Beginn an Input geholt, was es alles zu beachten gibt. Es sind dann oftmals Anforderungen, die eigentlich als Kleinigkeiten abgetan werden, aber gerade im medizinischen Umfeld große Bedeutung haben. Das beginnt bei den verwendeten Werkstoffen für die Maschine und geht hin bis zu der Oberflächenbeschaffenheit.

Eine sehr große Herausforderung ist natürlich auch das Thema regulatorische Anforderungen. Vor allem die Qualifizierung einer Maschine sowie die Validierung des Prozesses sind zeitaufwendige und ressourcenaufwendige Schritte. Auch hier hilft uns aber die Zusammenarbeit mit großen Medizintechnikfirmen, die natürlich bereits sehr viel Erfahrung auf diesem Gebiet haben.

Ein weiterer großer Punkt ist das Thema Vertrauen. Gerade die Etablierung einer neuen Technologie in der Medizintechnik erfordert mehr als nur eine gute Idee auf dem Papier. Ein generelles Verständnis, wie die Medizintechnik funktioniert und welche Herausforderungen auch ein Zulassungsprozess mit sich bringt, sind hier von großem Wert.

Ist Euer Drucker schon im Einsatz?

Ja, unsere Drucker sind schon seit einiger Zeit im Betrieb. Wir haben seit Beginn des Jahres einige Anlagen bei Pilotkunden stehen. Seit August liefern wir die ersten Drucker an größere Medizintechnikhersteller aus und freuen uns natürlich, dass diese Vertrauen in uns und unsere Technologie zeigen. Das bedeutet uns sehr viel und gibt auch immer wieder extra Motivation, um den 3D-Druck in der Medizintechnik weiter voran zu bringen.

Neben der Zusammenarbeit mit der Industrie sind unsere Drucker auch bereits in diversen Projekten direkt mit Kliniken im Einsatz. Besonders die Kliniken im Münchner Umfeld sind hier starke Partner für uns. In Zusammenarbeit mit der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik der LMU konnten wir bereits gedruckte Produkte im Dentalbereich einsetzen. Mit dem Klinikum Rechts der Isar beginnt ab Oktober eine Tierstudie mit gedruckten Implantaten für die Unterkieferrekonstruktion. Das sind natürlich immer sehr spannende Projekte für uns, bei denen auch viel voran geht und wir sehr viele Erkenntnisse gewinnen.

Kumovis: Vision nachhaltiger Medizinprodukte

Was ist Eure Vision?

Unsere Vision ist es, mit unserer Technologie nachhaltig die Art und Weise wie Medizinprodukte gefertigt werden zu verändern und somit die Patientenversorgung auf ein neues Niveau zu bringen. Dazu gehört vor allem auch der Point-of-Care-Einsatz der Technologie und die Herstellung völlig neuer Medizinprodukte, die so bisher nicht denkbar waren. Dazu braucht es starke Partner auf allen Seiten, denn dies gelingt nur in Zusammenarbeit mit Kliniken, Medizinprodukteherstellern, Materialherstellern sowie Technologieherstellern wie uns.