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SXSW 2018: Zwischen Schlangestehen und Standing Ovations

Wer nach Austin zur South by Southwest fährt, muss diverse Qualitäten mitbringen: Geduld, eine gewisse Flexibilität und etwas Stressresistenz. Kaum ein Event fördert Fomo (Fear of missing out) in einem derartigen Maße wie die SXSW. Doch bereits nach wenigen Stunden im umtriebigen Austin ist klar: Es lohnt sich!

Austin, Texas. Es ist mein erster Tag in der Stadt und gleichzeitig mein Premierenbesuch bei der SXSW. Bereits seit Jahren erfreut sich das Festival, das sich in die Segmente Interactive, Film und Music aufteilt, auch bei deutschen Besuchern immer größerer Beliebtheit. Ob Musikfanatiker, Cineast oder Techie, das Großevent hat mit einer schier unermesslichen Anzahl an Veranstaltungen, die sich über Venues in der ganzen Stadt verteilen, für jeden etwas im Angebot. Gerade diese kreative Vielfalt betont SXSW-CPO Hugh Forrest bei seiner Eröffnungsrede im Austin Convention Center. Bei der 10-tägigen Veranstaltung, die 1987 noch als kleines Musikfestival das Licht der Welt erblickte, ginge es darum, Kreative zusammenzubringen und  — auch wenn es mittlerweile abgedroschen klingt, aber hier so gut passt — Synergien zu erzeugen. Um allerdings in den Genuss Forrests begrüßender Worte zu kommen, lerne ich den ersten Grundsatz des SXSW-Festivals: Schlangestehen is King!

Eigentlich wollte ich nach der Eröffnung erst einmal durch die Stadt streifen, diverse Locations kennenlernen, mir Orientierung verschaffen. Bevor es losgeht, ist mir nicht bewusst, dass ich 5h lang auf meinem Platz sitzen werde. Schnell kriege ich beim Warten auf den Einlass mit, dass bereits um 12:30 Uhr, genau in jenem Ballroom D des Convention Centers, vor dessen Türen ich mich gerade geduldig mit tausenden anderen eingereiht habe, kein Geringerer als US-Senator und selbsterklärter Trump-Gegner Nummer 1 Bernie Sanders von CNN-Mann Jake Trapper zum Gespräch auf die Bühne gebeten wird. Da gibt man einen guten Platz in der fünften Reihe nur ungern auf. Vor allem, weil das Zwischenprogramm keineswegs uninteressant ist.

„There’s no refugee crisis“

Denn bereits um 11 Uhr spricht die aus Calais stammende Französin Josephine Goube, CEO von Techfugees, darüber, wie das Projekt, das ursprünglich durch eine Facebook-Gruppe von Techcrunch-Redakteur Mike Butcher ins Leben gerufen wurde, mittels Technologie versucht, Geflüchtete zu unterstützen. Angesprochen auf die Flüchtlingsproblematik betont Goube: „There’s no refugee crisis, there’s a crisis of hospitality.“ In einem kurzen Video stellen sich Techfugee-Engagierte vor. Es geht vor allem darum, Geflüchtete in die Projekte zu involvieren, um wahren Nutzen zu erzielen. Auch Münchner Teams präsentieren sich in dem kurzen Film, der in seiner Einfachheit mit Authentizität besticht.

Kurz darauf beginnt der von vielen heiß ersehnte Talk mit Bernie Sanders. Angekündigt mit einem herausfordernden „Can you feel the Bern?“ lässt sich die Reaktion des Publikums nicht anders als ekstatisch bezeichnen. Kurz nach Mittag und wir sehen die ersten Standing Ovations. Die SXSW nimmt schnell an Fahrt auf. Im Gespräch macht Sanders in gewohnter Manier auf soziale Ungerechtigkeiten in den USA und der gesamten Welt aufmerksam, bekennt sich bezugnehmend auf die jüngsten Ereignisse in den Staaten klar zu einer restriktiveren Waffenpolitik und lässt das Thema Klimawandel natürlich nicht aus. Gerade befindet sich der parteilose Politiker auf Texas-Tour, um Trump-Wählern die Augen zu öffnen und US-Bürger vom Wählen zu überzeugen. Denn er betont: Würde jeder zweite Amerikaner zur Wahl gehen, würden immer die Demokraten gewinnen. Inwiefern diese These der Wahrheit entspricht, wage ich nicht einzuschätzen. Doch den Saal hat Sanders zu 100 Prozent in der Hand. Man hätte ihm noch länger zuhören können, denn neben politischem Fachwissen und ehrbaren Ambitionen hat der Senator aus dem Bundesstaat Vermont durchaus auch Entertainer-Qualitäten, teils gekonnt pointiert, teils unfreiwillig komisch.

Nun wäre es eigentlich an der Zeit gewesen, sich in den Großstadtdschungel zu schwingen. Doch wäre das ein grober Fehler gewesen. Ich bin froh, dass ich mich nach vier Stunden auf meinem Stuhl ausharrend dazu entschieden habe, auch noch die Keynote der Psycho- und Paartherapeutin Esther Perel zu verfolgen. Die Belgierin sorgt für die zwischenmenschliche Komponente im Vortragsprogramm und trifft mit der Thematik, wie sich menschliche Beziehungen in der heutigen Zeit verändert haben, merklich den Nerv des Publikums. Nach dem offiziellen Teil dürfen Fragen gestellt werden. Perel schafft es nicht annähernd alle zu beantworten, hinterlässt aber einen bleibenden Eindruck in Ballroom D und erntet die zweiten Standing Ovations des Tages. Zurecht!

Nehmen, was kommt!

Mein Plan, am ersten Tag viel rumzukommen, ist also dahin. Bin ich damit unzufrieden? Nein. Habe ich etwas verpasst? Bestimmt. In einer WhatsApp-Gruppe mit anderen SXSW-Besuchern bekomme ich ständig mit, wo ich gerade auch sein könnte und wie toll es woanders gerade ist. Aber das gehört wohl auch dazu: Die Fear of missing out nicht Überhand gewinnen lassen und das genießen, was man gerade erlebt. Morgen lasse ich mich aber ein bisschen mehr treiben. Das nehme ich mir zumindest vor.

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