Sicherheit statt Chance? Deutsche sind Gründungsmuffel

Eine internationale Studie hat die Einstellung zum Gründen und Entrepreneurship abgefragt. Deutschland landet auf den hinteren Plätzen. Woran liegt das?

Nicht einmal zwei von drei Deutschen (63%) sind dem Unternehmertum gegenüber positiv eingestellt. Nur 27% können sich vorstellen, selbst zu gründen. Damit landet Deutschland auf Platz 40 von 45 in der Studie „Amway Global Entrepreneurship Report 2016“ (AGER). Die Nürnberger GfK befragte zwischen April und Juni 50.861 Teilnehmer in 45 Ländern. Prof. Dr. Isabell M. Welpe, Inhaberin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation an der TU München, begleitete die Untersuchung wissenschaftlich.

Global sind 77% dem Unternehmertum wohl gesonnen und 43% können sich vorstellen, selbst zu gründen. Im internationalen Regionenvergleich ist die EU das Schlusslicht mit 74% und 39%. Die größte Gründerbegeisterung herrscht in Südamerika. Auch bei der Zukunftserwartung ein ähnliches Bild: Weltweit rechnen 39% damit, dass die Zahl der Selbstständigen künftig zunehmen wird, in der EU 35%, in Deutschland nur 31%.

Gründen als Ausflucht aus der Armut?

Der Schluss liegt nahe, dass Wohlstand und ein hoch entwickeltes Sozialsystem vom Gründen abhält: Warum Risiken eingehen, wenn man auch so gut leben kann? Die Studienergebnisse bestätigen das aber nur bedingt: Unter den Top-5 gründungsbegeisterten Staaten finden sich zwar auch die Entwicklungsländer Vietnam und Mexiko auf dem zweiten und fünften Platz. Auf dem ersten, dritten und vierten Rang landen jedoch die skandinavischen Muster-Sozialstaaten Norwegen, Dänemark und Schweden. Dort befürworten mit Werten von 93% bis 96% beinahe alle Befragten das Unternehmertum.

Die Studie berechnet zusätzlich einen „AESI“ genannten Index, der den Gründergeist in den einzelnen Ländern abbilden soll. Dieses Ranking führt Vietnam an, gefolgt von Indien, Thailand, China und Südafrika. Deutschland rangiert auf Platz 39 von 45.

Woran liegt’s? Das wirtschaftliche Umfeld oder die Kultur?

Wie lässt sich also das schwache deutsche Ergebnis erklären? Professorin Isabell M. Welpe sieht kulturelle Gründe:

„Das erneute Abschneiden Deutschlands auf den hinteren Plätzen des AESI ist vermutlich auf den großen Wunsch der Deutschen nach Sicherheit statt Risiko zurückzuführen.“

Und sie belegt ihre Aussage mit einer anderen Untersuchung:

„Laut einer aktuellen Befragung unter Studierenden ist die am stärksten präferierte Beschäftigungsart nach dem Studium eine Karriere als Beamter.“

Das klingt plausibel. Doch die Unterschiede zwischen Industriestaaten und weniger entwickelten Volkswirtschaften lassen sich voraussichtlich nicht alleine durch kulturelle Einstellungen erklären. Die Art der gegründeten Unternehmen und das Marktumfeld sind dafür zu unterschiedlich.

Doch gerade im Vergleich mit den skandinavischen Ländern zeigt sich eine andere Einstellung zum Unternehmertum. Sicherlich könnte auch das übrige Europa von  eine stärkeren Neigung zum unternehmerischen Risiko profitieren. Zumindest wäre eine größere Wertschätzung für Gründer hilfreich.

Simon Tischer

Von Dezember 2015 bis Juni 2023 war Simon Tischer als Redakteur für Munich Startup tätig.

Ähnliche Artikel

Digitalisierung Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation

News

 

9 von 10 Deutsche sehen Digitalisierung als Chance

Die überwältigende Mehrheit von 87 Prozent sieht die Digitalisierung als Chance. Zugleich sind 58 Prozent der Meinung, Deutschland sei digital gespalten, so…

Insurtechs

News

 

Rekord-Investments in deutsche Insurtechs

Über 173 Millionen US-Dollar flossen vergangenes Jahr in deutsche Insurtechs, so eine aktuelle Studie. Besonders erfolgreich waren Direktversicherer. Gegenüber 2017 konnte die…

Cashwalk Loyalty Prime Investment Venture Capital VC

News

 

Rekord bei VC-Investments in deutsche Startups

Volle 3,9 Milliarden Euro flossen 2018 in deutsche Startups — so viel, wie noch nie. Eine Branche konnte besonders vom VC-Boom profitieren.…

Digitalisierung

News

 

Deutsche Großunternehmen fürchten Digitalisierung

Die Mehrzahl der deutschen Großunternehmen sieht sich laut einer aktuellen Studie noch nicht gut für die digitale Transformation gerüstet. Auch der Digitalstandort…

Fintechs Fintech-Investments

News

 

Risikokapital: Rekordsumme für deutsche Fintechs

Das Jahr 2018 hat für deutsche Fintechs gut begonnen: Noch nie floss einer aktuellen Aufstellung zufolge so viel Risikokapital in die Branche.…

Geschäftsklima Gründer

News

 

Internationaler Vergleich: Sind Deutsche Gründungsmuffel?

Knapp jeder zwanzigste Erwachsene in Deutschland (4,6%) ist Gründer eines jungen Unternehmens. Weitere 2,9 % befinden sich gerade in der Gründungsphase. Das…

KfW Geschäftsklima

News

 

KfW-Gründungsmonitor 2016: Qualität statt Quantität

Wie wirkt sich ein starker Arbeitsmarkt auf die Gründungstätigkeiten in Deutschland aus? Sehr direkt, wie der aktuelle KfW-Gründungsmonitor 2016 bei seiner repräsentativen…

Hurrikan, Wirbelsturm

News

 

Digitaler Wirbelsturm – Chance für Startups

Ein „digitaler Wirbelsturm“ bedroht etablierte Unternehmen und eröffnet Chancen für junge Unternehmen. Fast die Hälfte heute etablierter Unternehmen wird in den nächsten…