Musik, Buch, Kunst, Film, Design, Games — die Kultur- und Kreativwirtschaft hat viele Facetten. Kulturunternehmer und Experten berichten, wie die Branche funktioniert.
Zunächst klingt Kultur- und Kreativwirtschaft nach einem Widerspruch in sich: Hier die Kreativität, dort deren marktwirtschaftliche Verwertung. Im Begriff „Startup“ schwingt bereits beides mit, meint der Münchner Soziologe Armin Nassehi gegenüber dem BR-Magazin Capriccio:
„‚Startup bedeutet, dass man […] zu einer neuen Gesellschaftsschicht gehört, nämlich zu den Kreativen, das heißt zu denjenigen, die schon per Habitus eigentlich ablehnen, was sie genau tun, nämlich ein Geschäftsmodell zu entwickeln.“
Für Nassehi sind Startups kreative Unternehmer wider Willen. Wir haben mit einigen Akteuren aus der Kreativwirtschaft gesprochen: Welchen Zusammenhang zwischen Kulturproduktion, Unternehmertum und Startup sieht die Szene selbst?
„Verwerter“ mit kulturellem Anspruch
Einer, der es wissen müsste, ist Jürgen Enninger, Leiter der Kompetenzteams Kultur- und Kreativwirtschaft der Landeshauptstadt München. Der 48-Jährige gilt als profilierter Unterstützer der Kreativwirtschaft in Deutschland und vertritt auch ein bundesweites Fördernetzwerk als einer von zwei Sprechern. In seiner Position als oberster Kreativwirtschaftsförderer Münchens steht Enninger zugleich für den zweitwichtigsten Kreativstandort Europas.
Wir fragen Enninger, was einen Kulturunternehmer denn auszeichne. Gibt es Unterschiede zu anderen Startup-Gründern?
„Der klassische Kulturunternehmer ist einer, der eine große Begeisterung hat für irgendeine Art des Kulturschaffens, selber aber aus irgendeinem Grund nicht Künstler geworden ist. Der böse Begriff lautet: Verwerter.“
Da aber auch Künstler und Kreative ihre eigenen Werke verwerteten, sei der Übergang vom Kulturunternehmer zum Künstler oft fließend:
„Kern der Motivation vieler, die sich um die Verwertung von Kultur kümmern, ist die große Begeisterung fürs Kulturschaffen. Das macht das Unternehmerische oft schwierig,“
Das erinnert an die Worte des Münchner Professors Nassehi: Kreative, die sich für Kultur mehr begeistern als das Unternehmertum. Das liege auch an Berührungsängsten der Kulturbranche mit dem Unternehmertum, so Enninger:
„Den wenigsten geht es primär ums Geldverdienen und Skalieren. Man gibt sich mit einem subsistenzerhaltenden Verwertungszusammenhang zufrieden. Klassische Beispiele sind Musik- oder Buchverlage, die so viel Verlust wie Gewinn machen und am Ende bei null rausgehen.“
Ziel vieler Kleinstbetriebe, die die Branche prägen, sei die Kulturproduktion selbst. Und damit werden sie — ohne es zu beabsichtigen — zum wirtschaftlichen Motor des Kulturschaffens.
Liebhaberei oder Wirtschaftsfaktor?
Maurice Lausberg, Leiter des Instituts für Kulturmanagement an der Münchner Hochschule für Musik und Theater, sieht noch weitere Gründe für Berührungsängste zwischen Kulturschaffenden und dem Unternehmertum:
„Häufig ist der Markt zu klein oder verfügt über geringes Wachstum, selten sind die Geschäftsmodelle skalierbar oder [sie sind] nicht profitabel und oft sind die Kosten für die Marketingausgaben gemessen an den generierten Umsätzen zu teuer.“
Im Ergebnis gibt es in der Kreativwirtschaft kaum Großunternehmen im Sinne der klassischen EU-Definition. Die Branchenriesen wie Random House oder Sony seien, so Jürgen Enninger, eigentlich mittelständische Unternehmen. Der kreativwirtschaftliche Mittelstand, in dem der größte Teil der Wertschöpfung geschieht, bestehe vor allem aus Unternehmen mit drei bis zehn Angestellten. Dazu komme ein Heer an Freiberuflern, das in einem Netzwerk projektbezogen den Kleinstunternehmen zuarbeitet.
Diese Kleinteiligkeit der Branche und das teilweise anti-unternehmerische Selbstverständnis sind wohl auch die Gründe dafür, dass die eigene wirtschaftliche Bedeutung lange übersehen wurde. Gewissermaßen hinter dem Rücken und ohne den Willen der Akteure ist aus der Liebhaberbranche ein ernstzunehmender Wirtschaftssektor geworden. Für großes Aufsehen sorgte dementsprechend auch ein Datenreport voriges Jahr, der zeigte: Fast 10% aller Selbstständigen und Unternehmen in der Metropolregion München sind in der Kultur- und Kreativwirtschaft tätig. Aus der Kreativbranche speist sich 3,8% der Münchner Wirtschaftskraft — erstaunliche Dimensionen für einen Sektor, der in den Augen vieler für Larifari und Liebhabertum steht.
Die „guten Dinge“ in digital
Das Liebhabertum ist es zugleich, das die kreative Startup-Szene antreibt: Den meisten geht es in erster Linie eben nicht um schnellstmögliche Skalierung, Marktbeherrschung und Erfolg, sondern um die Sache selbst. Welche Themen Jürgen Enninger momentan am meisten faszinieren, wollen wir wissen:
„Das Digitale provoziert immer auch einen Rückgriff auf das hochwertige Analoge — da gibt es gerade eine totale Gegenbewegung: Der klassische Buchmarkt funktioniert zum Beispiel im Moment super. Und die unglaublichen Zuwächse im Vinylbereich. Auch analoges Marketing ist gerade das heiße Thema in der Wirtschaft.“
Ein Retro-Warenhaus wirbt seit Jahren mit dem Slogan „Es gibt sie noch, die guten Dinge“. Die Nachfrage nach den guten Dingen scheint auch im digitalen Zeitalter eher zu steigen, denn nachzulassen:
„Mich begeistert deshalb auch Bohème sehr, denn das ist genau das: Ich bin im Caféhaus und die bieten mir einen klassischen Zeitungsständer, aber in neuer Form.“
„Im Rückblick war es gar nicht schwierig, eine Firma zu gründen“
Das angesprochene Startup Bohème hat sich zum Ziel gesetzt, die Wiener Kaffeehauskultur — die zum Weltkulturerbe zählt, wie uns Amadeo Gaigl, einer der drei Gründer, erzählt — ins digitale Zeitalter zu überführen. In der Bohème-App haben Nutzer in teilnehmenden Cafés, Läden, Bars und Zügen Zugriff auf lizenzierte Medien: Statt des Zeitungsstocks von früher liest man beim Kaffeehausbesuch auf dem eigenen Handy. Der Antrieb der drei Gründer, so Gaigl, sei die Begeisterung für Qualitätsjournalismus:
„Die Leute brauchen viel mehr spannende journalistische Storys und können so die Welt so viel besser verstehen als durch das laute Geschrei, das an vielen Stellen im Internet herrscht.“
Warum aber sind die Bohème-Gründer nicht selbst Journalisten geworden? Dazu hätten ihnen schlicht die Fähigkeiten gefehlt — deshalb der Weg in die Verwerterbranche. Gaigl selbst sieht keinen substanziellen Unterschied zwischen „kulturellen“ Jungunternehmern und anderen Startups. Auch die gegenseitige Unterstützung sei sehr groß.
Was auffällt: Die Kultur-Startup-Gründern von Bohème scheinen von ihrer Mission tief überzeugt. Dazu passt auch die Gründungsgeschichte. Gaigl war mit seinen Mitstreitern Mohsen Fazeliniaki und Vincenzo Di Salvo schon vorher länger befreundet. Die Idee zur App entstand nicht auf dem Papier, sondern vor Ort im Wiener Café Sperl.
Schwierigkeiten hätte es in Folge der Gründung natürlich schon gegeben, meint Gaigl. Sie hätten beispielsweise zuerst keine Ahnung gehabt, wie ein Jahresabschluss funktioniert. Probleme, die auftauchten, hätten sie dann aber Schritt für Schritt abgearbeitet:
„Im Rückblick war es deswegen auch gar nicht schwierig, eine Firma zu gründen.“
Eine Hilfe war dabei auch der Standort München:
„München ist als wichtiger Medienstandort ein guter Markt für uns. Da ich selbst Münchner bin, war das persönliche Netzwerk für mich auch sehr entscheidend. Und die Nähe zur Schweiz und zu Österreich ist am deutschsprachigen Markt sehr vorteilhaft.“
Was dem Jungunternehmer in München fehlt: ein stärkerer Austausch zwischen Startups, Kulturschaffenden und Künstlern — etwa eine Plattform, die Theaterschauspieler und IT-Entwickler bei einem Kaffee zusammenbringt, denn:
„Ich glaube, gerade in der Anfangsphase haben Kreativelemente einen enormen Einfluss auf Startups.“
Das ist es vielleicht auch, was die Branche auszeichnet: Noch mehr als um den eigenen Erfolg geht es vielen Gründern darum, eine gute Zeit mit spannenden Menschen zu verbringen, sich auszutauschen und dabei ihre Idee voranzubringen. Umso besser, wenn Kreativunternehmen damit auch wirtschaftlich erfolgreich sind.