Florian Bogenschütz, Managing Director von Wayra Deutschland.
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Skalieren in turbulenten Zeiten: So haben Startups 2022 Erfolg

Das Jahr 2022 startet – wie auch die zwei Jahre davor – unruhig, unter anderem durch die Corona-Pandemie. Bislang steuerte die Startup-Landschaft in Deutschland recht souverän durch die unsicheren Zeiten. Doch geht das so weiter? Florian Bogenschütz, CEO von Wayra Deutschland, dem Open Innovation Hub der Telefónica, erläutert, welche Geschäftsmodelle 2022 insbesondere im Bereich Telekommunikation und 5G erfolgversprechend sind und welche Investment-Modelle, abseits von 'klassischem' Venture Capital, aussichtsreich sind.

Betrachtet man das eingesammelte Kapital im Jahr 2021, sind Startups in Deutschland relativ gut durch die vergangenen zwölf Monate gekommen: So floss gemäß dem im Januar 2022 veröffentlichten EY Startup-Barometer Deutschland niemals zuvor mehr Geld an deutsche Startups als im vergangenen Jahr. Der Gesamtwert aller Investitionen im Jahr 2021 in deutsche Jungunternehmen hat sich gegenüber dem Vorjahr mehr als verdreifacht, auf insgesamt 17,4 Milliarden Euro, wie der Report zeigt.

Höhere Initialbewertungen und mehr Diversität

Im Jahr 2022 lassen sich verschiedene Entwicklungen beobachten. So scheint es, als würden die Initialbewertungen von Startups immer weiter steigen. Gleichzeitig gibt es zunehmend kritische Reflexionen über das Thema Venture Capital. Viele GründerInnen stellen sich Fragen wie: Brauche ich überhaupt Venture Capital oder kann ich auch bootstrappen – oder mit anderen Quellen, wie Family Offices oder strategischen Investoren arbeiten? Immer mehr GründerInnen wünschen sich heute die Freiheit, ihr Business so aufbauen und führen zu können, wie sie es für richtig erachten. Sie wollen sich die Möglichkeit offenhalten, zu lernen, Pivots zu machen und nicht, gemäß des 0-auf-1-Ansatzes großer Venture Capitalists, nur eine möglichst hohe Bewertung anzustreben. So möchten zahlreiche Startups inzwischen bei ihrer Skalierung lieber sehr realistisch bleiben. Immer mehr in den Fokus rückt dabei auch die gesteigerte Profitabilität, statt jahrelang von Venture Capital abhängig zu sein.

Die Bedeutung des Venture-Client-Modells wächst

Durch die Rückbesinnung auf den Umsatz als Kern einer erfolgreichen Geschäftstätigkeit gewinnt auch das Venture-Client-Modell weiter an Bedeutung. Statt dem Einsammeln möglichst großer Investmentsummen wollen immer mehr Startups schnell von ihren eigenen Umsätzen leben, ihre Lösungen praktisch erproben und echte Probleme ihrer KundInnen lösen – wozu das Venture-Client-Modell hervorragend geeignet ist.

Viele Konzerne wünschen sich eine enge Zusammenarbeit mit jungen Unternehmen, um innovative Lösungen für Probleme sowie neue Geschäfts- und Umsatzchancen zu finden. Eine Beteiligung über Venture Capital ist jedoch relativ indirekt und aufwendig. Wesentlich schneller und einfacher ist es, wenn der Konzern ‚Kunde der ersten Stunde‘ des Startups wird. So können nicht nur Probleme des Konzerns gelöst, sondern Produkte und Services der Startups auch unmittelbar erprobt und ggf. optimiert werden, wobei die jungen Unternehmen gleichzeitig Umsätze erzielen. Das Venture-Client-Modell bietet somit eine exzellente Alternative zum Venture Capital, insbesondere wenn Startups Wert auf ihre Unabhängigkeit legen.

Eine Erfolgsgeschichte im Venture-Client-Bereich: das Startup Galactify. Galactify bietet eine Software, um komplexe Projekte und deren Fortgang optimal zu managen und zu überblicken. Galactify erhielt die Möglichkeit, als Teilnehmer von Wayra, dem Open-Innovation-Hub von Telefónica, den Telekommunikationskonzern als Kunden zu gewinnen, ihre Software in kürzester Zeit zum Einsatz zu bringen und unmittelbar anhand eines Großkunden zu erproben. Die Skalierung erfolgte somit durch reale Umsätze – und das sehr erfolgreich und nachhaltig.

5G-Geschäftsmodelle und passende Use Cases sind die Zukunft

Mit Blick auf Geschäftsmodelle sind technisch derzeit besonders die Entwicklungen im Bereich 5G spannend: Telekommunikationsfirmen bauen aktuell mit großem Aufwand 5G-Netze auf, aber haben oftmals noch keine Use Cases für deren sinnvolle Anwendung. Dementsprechend suchen sie dringend konkrete Anwendungsmöglichkeiten, um einen Nutzen aus den neuen Netzen zu ziehen. Aufgrund der hohen Konkurrenzsituation treten dafür eigene Zeitschriften oder TV-Programme oder andere Geschäftsmodelle, die von Telekommunikationsunternehmen in der Vergangenheit erprobt wurden, in den Hintergrund.

GründerInnen konzentrieren sich auf Kernprozesse

Im Startup-Bereich fällt auf, dass sich GründerInnen auch bei der Gestaltung ihrer Prozesse immer stärker fokussieren: So werden zunehmend Funktionen, die nicht zum Kern der Geschäftstätigkeit gehören, darunter Finance, HR, Logistik oder Sales, outgesourct. Dadurch können sich die Führungskräfte und Angestellten auf andere Aufgaben konzentrieren.

Nicht zuletzt wächst die Bedeutung von Diversität weiter: Der Nutzen und die hohe Bedeutung vielfältiger Teams ist unstrittig und ist zunehmend Realität in Unternehmen aller Größen, auch bei Neugründungen. Eine höchst erfreuliche und überfällige Entwicklung – auch wenn es, insbesondere im Bereich Investments bzw. der Verteilung von Risikokapital unter Diversity-Gesichtspunkten noch deutlichen Nachholbedarf gibt: So berichtete beispielsweise die FAZ im vergangenen Jahr über die ungleiche Verteilung von Investorengeldern: Der Female Founders Monitor 2021 zeigt unter anderem, dass Männer bei ähnlichen Geschäftsmodellen eine 60 Prozent höhere Chance auf Risikokapital haben als Frauen. Eine mögliche Ursache für das Problem: 96 Prozent der Venture-Capital-Firmen werden laut der Studie von Männern geführt. Diese Umstände zu verbessern und InvestorInnen-Gelder chancengleich zu verteilen, ist eine zentrale ‚Baustelle‘ der Startup-Welt für das laufende Jahr.

Fazit: Die Startup-Wirtschaft in Deutschland hat sich auch unter den schwierigen Bedingungen der vergangenen Jahre als robust erwiesen, InvestorInnen vertrauen weiterhin auf die Innovationskraft der Jungunternehmen und nehmen dazu immer mehr Geld in die Hand. Doch Venture Capital ist nicht der einzige Weg zum Erfolg: Immer mehr GründerInnen erkennen den Wert von frühen Kundenbeziehungen, z. B. durch das Venture-Client-Modell, sowie die Freiheit, die ihnen Bootstrapping und frühe eigene Umsätze ermöglichen. Insbesondere für innovative Produkte und Services im Bereich 5G stehen die Sterne gut, die Aufmerksamkeit auch großer Kunden auf sich zu ziehen – und somit in kurzer Zeit beeindruckende Erfolge zu erzielen. Gehen GründerInnen, KundInnen und InvestorInnen dann noch das Thema Diversität bewusst an, sind die Ausgangsbedingungen für junge Unternehmen in Deutschland positiv – und weitere spannende Erfolgsgeschichten im Jahr 2022 zu erwarten.