Jedes Familienunternehmen war einmal ein Startup

Am Anfang steht die Vision des Gründenden. Kombiniert man diese mit Entrepreneurship und Fleiß, etabliert sich ein Unternehmen. In diesem Sinne war jedes Familienunternehmen einst ein Startup. Ein Startup, das sich dank der richtigen Geschäftsidee, einer langfristigen Ausrichtung, nachhaltigem Wirtschaften, gesundem Wachstum und bestehender Relevanz im Markt bewährt hat. Mit dem Ziel ein Unternehmen nicht nur für die eigene Lebensdauer, sondern für „die Ewigkeit“ aufzubauen, handeln Familienunternehmen per se verantwortungsvoll, nicht nur gegenüber der Familie, sondern auch gegenüber den Folgegenerationen.

Heutzutage streben AbsolventInnen, BerufseinsteigerInnen, Young Professionals und Führungskräfte nach „purpose-driven“ Jobs. Was heute aber unter dem Begriff „purpose-driven“ subsumiert wird, war auch schon bei den Anfängen von so manchem Familienunternehmen Haupt-Motivation für die Gründung. Als „Purpose-Bewegung“ verstehen sich einige VertreterInnen dieser Generation Y vor allem auch als Gegenbewegung zur kapitalgetriebenen Gesellschaft. Purpose-UnternehmerInnen denken Wirtschaft neu. Ihre Firmen sollen Beschäftigten und Gesellschaft dienen, nicht dem Kapitalmarkt. Natürlich ist jedem gesunden Unternehmen auch eine Gewinnerzielungsabsicht eigen und als Bestandsgrundlage einer langfristig angelegten unternehmerischen Strategie sogar unerlässlich. Aber sie ist eben nicht der Hauptzweck der Gründung. Purpose statt Profit, so lautet die Devise, oder: Problemlösung statt Profit, wie ein etablierter Familienunternehmer es vielleicht ausdrücken würde.

Erfreulicherweise ist über die letzten 15 Jahre in Deutschland verstärkt eine neue Hinwendung zum Unternehmertum zu verzeichnen. Eine Entwicklung, die durch das universitäre Umfeld geprägt ist. Doch dies war nicht immer so: Man erinnere sich an den desaströsen Crash des Neuen Marktes vor 20 Jahren. Die hohe Verfügbarkeit an Wagniskapital sowie die darauffolgende Etablierung eines gewissen Markts für Beteiligungen an Startups begründeten damals eine Kultur, die es befeuerte, die in Relation zum verfügbaren Kapital wenigen guten Startups zu sehr hohen Preisen „zu handeln“. Unternehmensgründungen waren folglich auch Wagniskapital-getrieben und zumindest teilweise motiviert von der Perspektive, zu einem günstigen Zeitpunkt zu veräußern, um dabei eine, in Relation zum Firmenwert überhöhte Bewertung zu erzielen. Dieses Verhalten ist den handelnden Personen nicht vorzuwerfen. Die Folge war eine „Blasenbildung“, die zu einem unkontrollierten Zusammenbruch des Wagniskapitalmarkts zur Finanzierung von talentierten UnternehmerInnen führte.

Fest steht, es macht einen wesentlichen Unterschied, „als was“ man sein Unternehmen wahrnimmt. Als Spekulationsobjekt, das, gleich einer seltenen Flasche Wein oder einem begehrten Kunstwerk, horrende Summen am Markt erzielen kann, oder als eine immer auch persönliche Investition in die Zukunft der Gesellschaft? Erfolgreiche FamilienunternehmerInnen beziehen hier eine klare Position. Auch sie mussten sich, vergleichbar mit Startups, in ihren frühen Jahren erst etablieren, doch es galt dies vorwiegend aus eigenen Kräften zu bewerkstelligen. Man baute „Stein auf Stein“. Ein organisches Wachstum, basierend auf Reinvestition, war der Weg zur Stabilität.

Die Familienunternehmen von morgen

Im Spannungsfeld einer kapital-getriebenen Startup-Kultur einerseits und dem wohlüberlegten, nachhaltigen Wirtschaften gemäß den klassischen Unternehmer-Maximen andererseits wird deutlich, wie sehr Unternehmen, die gleichwohl auch erfolgreich als Spekulationsobjekte dienen, die traditionellen Gesetzmäßigkeiten des Marktes aushebeln können. Das wohl prominenteste Beispiel liefert der Blick auf die Geschichte von Facebook: Im Oktober 2007 meldete NBC News, dass Microsoft 1,6 Prozent Anteile für 240 Millionen Dollar erwarb. Damit schnellte Facebooks spekulative Bewertung auf die unglaubliche Höhe von 15 Milliarden Dollar. Doch Microsoft stand nicht alleine. Wie die Financial Times Deutschland 2012 vermeldete, erwirtschaftete Facebook bei seinem Gang an die NASDAQ 16 Milliarden Dollar und wurde als Unternehmen insgesamt mit 100 Milliarden Dollar bewertet. Das stellte nicht nur den bis dato größten Börsengang eines Internetunternehmens dar, sondern geschah zu einem Zeitpunkt, an dem Zuckerbergs Plattform mit 32 Millionen Dollar noch keine nennenswerten Gewinne erzielte.

Weil man substanzhaltige Unternehmen in der gängigen Praxis nach der Formel: EBIT(DA) x Multiple bewertet, also: Gewinn vor Steuern (und Ab-/Zuschreibungen) mal einem festen Multiple, der jeweils von Branche, Größe und dem Marktumfeld abhängt, käme man in diesem Fall auf ein Multiple von „um die 3.000“, und landet bei einer Berechnung, die mit nachhaltig unternehmerischen Wertemaximen nicht vereinbar sein mag. Es mag an dieser Stelle diskutiert werden, welche Wege von Investoren eingeschlagen werden können, um nachhaltige Unternehmensgründungen zu fördern. Welches Umfeld muss geschaffen werden, um „die Familienunternehmen von morgen“ zu kreieren?

Welche Chancen bilden sich ab?

Eine erste Chance liegt darin, Startups an Familienunternehmen zu veräußern. Rouven Dresselhaus, Gründer des Wagniskapitalgebers Cavalry Ventures und Abkomme des Herforder Familienunternehmens Dresselhaus, kennt beide Welten sehr genau. Gegenüber dem Handelsblatt bezieht er in dem Artikel aus dem Jahr 2018 wie folgt Stellung:

„In Deutschland fließen 0,03 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Wagniskapital, in den USA sind es rund 0,35 Prozent und in China rund 0,24 Prozent. Die Scheu, Eigenkapital zu investieren, müssen wir schnellstens ablegen“ (…) „Wenn Deutschland in Zukunft weiter vorne mitspielen will, muss das hiesige Kapital ran.“

Die zweite große Chance liegt in der Funktion von Familienunternehmen als Startup-Schmieden. Als Inkubatoren gründen und bauen diese Konzernbereiche Startups auf, um die Entwicklung neuer digitaler Produkte und Services voranzutreiben. Sie verknüpfen dabei die Infrastruktur, das Wissen und etablierte Netzwerke. Die jeweils „klügsten und kompetentesten Köpfe“ des Unternehmens werden in diese neuen Bereiche gesteckt und haben die Möglichkeit, in einem von nachhaltiger Ausrichtung geprägten, aber trotzdem agilen und innovativen Hightech-Umfeld, tätig zu werden.

Ein Beispiel liefert hier die Firma Voith, die im Kerngeschäft seit den 70er Jahren Turbinen herstellt. 2016 stellte der Konzern mit der Gründung von Voith Digital Solutions die Weichen seiner digitalen Agenda und verfolgte hierbei vor allem drei Ziele: Erstens die digitale Anreicherung des bestehenden Produkt-Portfolios um digitale Kompetenzen, die dem Kunden zusätzliche Funktionen bieten. Hierunter fiel zum Beispiel die Entwicklung der „Hyguard“-Überwachung (heute „Oncare Acoustic“) in Form von Sensoren, die, vergleichbar mit erfahrenen MitarbeiterInnen des Unternehmens, den Turbinen bereits anhören können, wie lange ihre Lebenszeit noch ist und diese Informationen rechtzeitig vor Ausfall der Geräte weitergeben. Zweitens die Entwicklung neuer digitaler Lösungen in den angestammten Kernmärkten. Hier ließe sich als Beispiel die Einführung von „Myvoith“ als eine Online-Plattform für digitale Applikationen anführen, und drittens die Entwicklung neuer Produkte und Geschäftsmodelle für bislang noch nicht von Voith abgedeckten Märkten, wie zum Beispiel der Gründung des gemeinsamen Startups „Merqbiz“ mit der Boston Consulting Group, einer eigenen Online-Plattform für den Altpapierhandel.