Peter Schwarzenbauer, Mitglied des Vorstands der BMW AG, MINI, Rolls-Royce, BMW Motorrad, Kundenerlebnis und Digital Business Innovation BMW Group, ist ein Freund von klaren Worten. Gute Voraussetzungen also, um mit ihm über die Zukunft der Mobilität zu sprechen.
Mobilität, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen, befindet sich in einem Umbruch. Auf dem MUST sprachen Sie gar davon, dass BMW sich in einem Überlebenskampf befindet, der darüber entscheidet, ob es den Autohersteller in seiner jetzigen Form in ein paar Jahren so noch geben wird. Muss „Mobilität“ völlig neu gedacht werden? Und in welche unterschiedlichen Richtungen denkt BMW?
Die Automobilbranche erlebt tatsächlich gerade die größte Umbruchphase ihrer Geschichte. Ich bin sicher, dass die kommenden Jahrzehnte mehr Veränderungen für uns bringen werden, als die vergangenen einhundert Jahre. Dabei wird die Kernfrage und zugleich eine Glaubensfrage in der Autoindustrie sein, ob man mit Mobilitätsdienstleistungen künftig genauso viel Geld verdienen kann, wie mit dem Verkauf von Fahrzeugen. Ich sehe dafür gewaltige Chancen. Wenn wir neben dem Verkauf faszinierender Fahrzeuge den Menschen in Zukunft ihre Mobilität auch im Minutentakt anbieten können und sie dafür keine großen Investitionen mehr tätigen müssen, dann ist das eine großartige Perspektive, gerade für Premium- und Luxusprodukte. Dieser Ansatz öffnet uns Zugang zu einem ganz neuen und sehr großen Kundensegment. Damit könnte unser künftiges Geschäftsmodell langfristig sogar noch besser sein als das heutige. Wir haben eine klare Vision, wie viele unserer Kunden ab 2030 mobil sein werden: autonom, elektrisch und vollvernetzt. Und darauf arbeiten wir bereits heute hin.
Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht Startups bei diesem Transformationsprozess? Und was tut BMW, um geeignete Startups zu finden?
Startups wirken in diesem Prozess oft wie ein Beschleuniger, vor allem durch ihre ganz andere Denkweise. Die Szene lebt von dem Glauben, dass alles möglich ist und ich bin davon überzeugt, dass dieser grenzenlose Optimismus wahnsinnig viel Energie freisetzt. Vor allem sind es die Startups gewohnt, in schnellen Produktzyklen zu denken. Damit zeigt manches junge Unternehmen selbst uns als Innovationsführer, wie man als Großunternehmen wendiger werden und Dinge schneller umsetzen kann. Wir haben hier bei der BMW Group ganz vielfältige Anknüpfungspunkte in diese Szene. Wir investieren beispielsweise über BMW i Ventures in die besten und innovativsten Startups und unterstützen sie gleichzeitig mit unserem Know-how und unserem Netzwerk als etablierter, globaler Player. Über URBAN-X, unserem MINI Accelerator, unterstützen wir Startups, die sich für innovative Konzepte im urbanen Raum einsetzen. Und über die Startup Garage geben wir ausgewählten Startups Gelegenheit, ein spezielles mehrmonatiges Programm zu durchlaufen. Hier steht die Entwicklung eines funktionalen Prototyps mit einer für uns relevanten Anwendung im Vordergrund.
„Schließlich darf es nicht nur im Silicon Valley Top-Bedingungen für schlaue Köpfe und neue Ideen geben“
München ist vor kurzem von der Bundesregierung zum Digital Hub Mobility ernannt worden. Braucht es solche übergreifenden Initiativen, um international konkurrenzfähig zu bleiben? Was verspricht sich BMW von dieser interdisziplinären Zusammenarbeit?
Die Bedürfnisse der Menschen an Mobilität ändern sich heute geradezu rasant. Wir werden in Zukunft in den Städten autonome, vernetzte und emissionsfreie Fahrzeuge anbieten können, die ganz neue Mobilitätsangebote möglich machen. Das setzt aber auch einen Umdenk- und Lernprozess bei den Menschen voraus. Ihnen wollen wir schon heute Alternativen für ihre persönliche Mobilität anbieten, die den Menschen statt Verzicht vielmehr einen Anreiz bieten. Darauf arbeiten wir im Digital Hub Mobility mit allen Playern aus der privaten Wirtschaft, aber auch den Partnern aus Wissenschaft und öffentlicher Hand gemeinsam hin. Damit wollen wir natürlich auch Deutschland insgesamt als Innovationsstandort für Mobilitätslösungen im internationalen Wettbewerb stärken. Schließlich darf es nicht nur im Silicon Valley Top-Bedingungen für schlaue Köpfe und neue Ideen geben.
Autonomes Fahren und Elektromobilität – beides große Themen. Mit dem iNext hat BMW schon angekündigt, spätestens 2021 ein autonom fahrendes, vernetztes Elektroauto auf den Markt zu bringen. Wo sehen Sie hier die größten Herausforderungen? Und werden diese Autos auch dann schon im Stadtgebiet zu sehen sein?
Das autonome Fahren ist technologisch eine extreme Herausforderung. Vor allem wenn man in einer Großstadt an die Fußgänger, Radfahrer und den öffentlichen Nah- und Lieferverkehr denkt. Situationen, die wir als Mensch intuitiv bewältigen, müssen einer Maschine erst einmal beigebracht werden. Da gilt es mit viel Rechenpower unglaublich viele Daten in Echtzeit zu verarbeiten. Um hier mal ein Bild zu zeichnen: wir sprechen von einer Datenmenge, die auf DVDs gebrannt einen Stapel von über 100 km Höhe ergeben würde. Um autonom fahren zu können, braucht es millimetergenaues Navigationsmaterial, also ein volldigitales Abbild des Umfelds. Dazu haben wir gemeinsam mit Daimler und Audi den Kartendienstanbieter Here von Nokia erworben. Außerdem bündeln wir in puncto autonomes Fahren Ressourcen und Know-how mit Mobileye, Intel und seit kurzem auch Delphi. Für das autonome Fahren absolvieren wir viele Millionen Testkilometer auf der Straße und simulieren das Fahren im Labor. Die Technologie wird nach und nach auch im urbanen Umfeld wahrnehmbar sein. Mit dem BMW iNEXT werden wir ab 2021 ein hochautomatisiertes Fahrzeug, also Fahren auf Level 3, in Serie anbieten. Das sogenannte vollautomatisierte Fahren (Level 4) werden wir vorhalten. Am Ende dürfen wir aber auch den Faktor Mensch nicht vergessen. Denn man muss sich erst einmal darauf einlassen, einer Maschine zu vertrauen.
„Mit ReachNow pilotieren wir aktuell in den USA eine neue Dimension der individuellen Mobilität“
Mit DriveNow ist BMW bereits Marktführer im deutschen Carsharing-Geschäft. Ist auch ein weiterer Vorstoß in den Bereich „Ride Sharing“ geplant? Und besteht durch den Sharing-Ansatz nicht die Gefahr, dass sich BMW früher oder später selbst abschafft?
Mit ReachNow pilotieren wir aktuell in den USA eine neue Dimension der individuellen Mobilität, die über das reine Carsharing hinausgeht. ReachNow-Kunden können beispielsweise neben dem Fahrzeug auch den entsprechenden Fahrer dazu buchen. Wir testen auch die Zustellung eines Fahrzeugs zur gewünschten Uhrzeit an den Wunschort. In einem weiteren Piloten können MINI Besitzer ihr Fahrzeug zeitweise in die ReachNow Flotte integrieren und damit die Unterhaltskosten ihres Autos senken. Außerdem bietet ReachNow Anwohnern ausgewählter Wohnanlagen die exklusive Nutzung einer Fahrzeugflotte vor Ort. Wir haben bewusst die USA als Pilotmarkt für solche neuen Mobilitätsangebote gewählt. Wenn sich diese Projekte bewähren, prüfen wir natürlich die Ausweitung auf andere Marken und Länder. Wir verstehen unser Mobilitätsangebot generell nicht als „entweder oder“ sondern als klares „sowohl als auch“. Wir wollen unser Kerngeschäft damit um einen hochattraktiven Markt ergänzen. Denn egal ob mit dem eigenen Auto oder nicht – die Menschen wollen auch in Zukunft mobil sein.
Prominente Startup-Vertreter wie Frank Thelen werden nicht müde, den Niedergang von Nokia als drohendes Beispiel für Konzerne anzuführen, die den Fortschritt verpassen. Warum wird BMW nicht untergehen?
Wir haben im vergangenen Jahr unser 100-jähriges Jubiläum gefeiert und, wie ich glaube, mit vier visionären Fahrzeugen eindrucksvoll gezeigt, dass wir die Zukunft der Mobilität entscheidend und aktiv mitgestalten möchten. Wir definieren die Mobilität der Zukunft über die Themen autonomes Fahren, Konnektivität, Elektrifizierung und Services. Der iNEXT in 2021 setzt hier die Messlatte unserer Technologieführerschaft. Auch als Unternehmen gestalten wir uns mit diesen Technologiesprüngen immer wieder neu und sehen darin neben all den Herausforderungen, die damit einhergehen, vor allem auch eine große Chance.