© redcharlie / Unsplash

“Woran es Zebras in der Startup-Szene aktuell fehlt, ist Aufmerksamkeit” — Interview mit Heba Aguib

Von Unicorns spricht man viel in der Startup-Szene – von Zebras weniger. Was hinter einem Zebra steckt und warum eine Zebra-Kultur vielleicht sogar erstrebenswerter ist als Einhörnern hinterher zu jagen, erklärt uns Heba Aguib, Chief Executive des Accelerator Respond, im Interview.

Munich Startup: Zebras statt Einhörner — können Sie kurz erklären, was mit der Bezeichnung „Zebra“ in der Startup-Welt gemeint ist?

Heba Aguib, Chief Executive von Respond. (Foto: BMW Foundation)

Heba Aguib: Unser Wirtschaftssystem belohnt Profit und vernachlässigt Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Mehrwert, obwohl soziale, ökonomische und ökologische Herausforderungen mit ihrer Komplexität schneller als je zuvor wachsen. Als “Zebras” können Startups bezeichnet werden, die sich nicht im “Entweder-Oder-Modus” befinden: entweder schnelles Wachstum und Profitmaximierung — oder ausschließlich Mehrwert für die Gesellschaft. Wie das richtige Zebra sind sie sowohl schwarz als auch weiß: also wollen sowohl profitabel sein als auch einen positiven Impact erzielen. Wie echte Zebras schließen sie sich oftmals in Gruppen zusammen, sind also gut im Netzwerken. “Zebra Startups” halten eine gesunde Balance zwischen Wettbewerb und Kooperation.

Top-oder-Flop-Kultur

Der Begriff des Zebras für diese Art von Unternehmen wurde bereits 2017 von den vier Gründerinnen Astrid Scholz, Mara Zepeda, Jennifer Brandel und Aniyia Williams formuliert. Sie klagten damals in einem Artikel in dem Online-Magazin Medium die Top-oder-Flop-Kultur der Startup-Szene an. Die derzeitige Technologie- und Risikokapitalstruktur sei kaputt. Sie belohne Quantität vor Qualität, Konsum vor Kreation, schnelle Exits vor nachhaltigem Wachstum und Aktionärsgewinne vor geteiltem Wohlstand. Ihr damaliger Aufruf zu einer neuen “Zebra-Kultur” fand einen starken Widerhall bei Gründern, Investoren und Beratern und mündete in einer eigenen Bewegung, Zebras Unite, der sich immer mehr Startups anschließen.

Munich Startup: „Impact“ ist mittlerweile ein ziemliches Buzzword in der Gründerszene — was macht für Sie einen „echten Unterschied“ oder einen „echten Mehrwert“ aus?

Heba Aguib: Einen echten Mehrwert erzeugt ein Startup für mich, wenn sein Geschäftsmodell im Kern darauf ausgerichtet ist, eine der globalen Herausforderungen zu lösen — ob Armut, Klimawandel, Hunger oder Krieg. Dabei reicht es nicht aus, dass Teile des Gewinns in einen guten Zweck fließen. Dieser Impact bleibt als eine Form von Charity letztlich immer abhängig von der Management-Entscheidung und kann in wirtschaftlich schlechten Zeiten schnell wieder eingestellt werden. Verlässlichen und nachhaltigen Mehrwert erzeugen hingegen Startups, deren Kerngeschäft und Endprodukt dem Wohl der Menschheit dienen. Ein Startup, das sein Produkt oder innovativen Ansatz im Kampf gegen COVID-19 einbringen kann, wäre in diesen Zeiten sicher das prägnanteste Beispiel für ein Startup, das heute echten Impact erzeugt.

Orientierung an den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen

In welchen Bereichen Startups einen solchen Unterschied machen können, zeigt die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit einer umfassenden Liste von 17 nachhaltigen Entwicklungszielen. Beim Accelerator Respond orientieren wir uns ebenfalls an der Agenda 2030 und haben für das erste Jahr einen Fokus auf drei Ziele gelegt: auf Ziel 8, also menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum; Ziel 9, Industrie, Innovation und Infrastruktur sowie auf das Ziel 11, nachhaltige Städte und Gemeinden.

Munich Startup: Welche Hürden stellen sich Zebra-GründerInnen oft in den Weg?

Heba Aguib: Woran es Zebras in der Startup-Szene aktuell fehlt, ist Aufmerksamkeit! Denn nach wie vor dreht sich alles um die Suche nach dem nächsten Einhorn und dem nächsten Milliarden-Exit. Nachhaltigkeitsthemen sind zwar ebenfalls stark im Kommen, spielen aber bei großen Fundings nicht immer die größte Rolle. Zudem bewirkt die mediale Präsenz von Klima- und Umweltschutz, dass die Öffentlichkeit überwiegend auf Startups achtet, die sich mit Greentech befassen. Diese können zwar einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten — ein einseitiger Fokus der öffentlichen Diskussion birgt aber die Gefahr, dass andere Bereiche, in denen sich ebenfalls zahlreiche Zebras engagieren, weniger Beachtung finden. Letztlich führt das alles dazu, dass es Zebras besonders schwer haben, Aufmerksamkeit und damit auch Finanzierungen oder passende Acceleratoren zu finden.

Munich Startup: Mit welchen Ansätzen versuchen Zebra-Startups, sowohl profitabel als auch nachhaltig zu sein?

Heba Aguib: Im Einsatz für die nachhaltigen Entwicklungsziele haben Zebras bereits vielfältige und kreative Lösungsansätze entwickelt — ob sie mit dem Verkauf von fair hergestellten Produkten den verantwortungsvollen Konsum unterstützen, mit neuen Anbaumethoden zur besseren Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung beitragen oder mit innovativen Technologien Sanitäts- und Wasserversorgungsprobleme angehen. Die Liste ließe sich beliebig weiterführen.

Munich Startup: Was halten Investoren von Startups, die nicht mehr unbedingt Unicorns werden wollen?

Heba Aguib: Das Thema Nachhaltigkeit ist mittlerweile auch bei vielen Investoren positiv aufgenommen. So haben sich kürzlich eine Gruppe von 20 bekannten Wagniskapitalgebern dazu verpflichtet, nur noch in Unternehmen zu investieren, die ihre CO2-Emissionen messen, reduzieren und kompensieren. Inwiefern dieser Trend aber die gesamte Investor-Szene nachhaltig verändern wird, bleibt abzuwarten.

„Bevor die Zebra-Kultur das Primat des Einhorns brechen kann, liegt aber sicher noch ein gutes Stück Weg vor uns“

Aber ich glaube, dass demnächst das Zebra zum “guten Ton” im Portfolio gehört. Und auch hier kann die Coronakrise dafür sorgen, dass Investoren von Einhörnern auf Zebras umsteigen. Und ehrlich gesagt, die Vergleichsbilder machen es schon deutlich: Im echten Leben gibt es sehr wohl Zebras, aber eher keine Einhörner. Bevor die Zebra-Kultur das Primat des Einhorns brechen kann, liegt aber sicher noch ein gutes Stück Weg vor uns.

Munich Startup: Welche Herausforderungen haben Zebras in Bezug auf Finanzierungsmöglichkeiten und -programme für ihr Modell?

Heba Aguib: Hier nenne ich ganz klar die Definition von Key Performance Indicators (KPIs) und die Messbarkeit von Impact. Impact ist schwer zu quantifizieren und muss neben Profit zusätzlich bewertet werden. Dies ist sowohl für die Startups wichtig, um den Wert ihres Beitrages einzuschätzen, als auch um Investoren zu überzeugen. Programme, die Impact und Profit balanciert beinhalten und vermitteln sind selten. Auf diesen Bedarf haben wir in der BMW Foundation reagiert und Respond zusammen mit der UnternehmerTUM ins Leben gerufen. Wir bringen beide Ökosysteme zusammen und treiben die Veränderung voran.

Munich Startup: Welche Zebras haben Sie in letzter Zeit ganz besonders beeindruckt?

Heba Aguib: Ich stoße laufend auf neue Unternehmen, die mich mit ihren Ideen beeindrucken. Wenn ich mich entscheiden muss, würde ich sagen: Die Suchmaschine Ecosia, durch die für die Nutzer kostenfrei Bäume gepflanzt werden, beeindruckt mich besonders. Eine tolle Idee, die die alltägliche Online-Suche mit dem Umweltschutz verknüpft. Lemonaid, eine Limonade aus fair gehandelten Produkten oder Folkdays, ein Label für Fair-Trade-Produkte und -Design, überzeugen mich ebenfalls, da sie es Konsumenten leicht machen, bessere, nachhaltigere Kaufentscheidungen zu fällen.