Geht es ums Internationalisieren schauen Gründer hierzulande meistens westwärts. Zu Unrecht: Südkorea hat ihnen viel zu bieten. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 1,65 Billionen US-Dollar (2019) gehört das Land zurzeit zu den reichsten und auch modernsten Ländern der Welt. Vor allem gegenüber neuen digitalen Angeboten sind die rund 50 Millionen zahlungskräftigen Koreaner und vor allem die Unternehmen äußerst aufgeschlossen, etwa jeder Zehnte nutzt bereits 5G, 97 Prozent surfen im schnellen Internet. Nicht zuletzt will sich Südkoreas Regierung in der Welt als Vorreiterin der Digitalisierung positionieren und investiert daher bis 2022 eine gute Milliarde Dollar in ihre Startup-Szene und in neue Online-Dienste.
Weiteres Risikokapital steuern Konzerne wie Hyundai, LG, Samsung oder die Shinhan Financial Group bei. Davon können übrigens auch junge Unternehmen aus dem Ausland profitieren, sobald sie sich in der Region rund um die Hauptstadt Seoul, um Gwangju oder in Hafenstädten wie Incheon oder Busan niederlassen. Noch ein Vorteil: Zwischen China und Japan gelegen lassen sich von Südkorea aus nicht nur diese beiden Weltmärkte, sondern weitere Wachstumsregionen Südost-Asiens erschließen, gerade mit neuen Digital-Angeboten.
Mehr Kunden, offenere Investoren
Phong Dao, Mitgründer des Frankfurter Fintechs Ive.One, gehört zu denen, die sich diese Vorteile sichern wollen. Noch ist er nicht in Südkorea gewesen, doch trotzdem ist er gerade dabei, mit seinem Startup dorthin zu expandieren und eine Tochtergesellschaft aufzubauen.
„Das Potenzial in Südkorea und Asien ist für uns deutlich größer als im deutschsprachigen Raum“,
begründet Dao diesen Schritt.
„Es gibt dort mehr Kunden für uns, und die Investoren sind offener gegenüber unserem Business-Modell.“
Mit Ive.One beschaffen und verwalten Unternehmen Kapital digital und suchen Investoren online Beteiligungsmöglichkeiten. Zur Absicherung von Geldströmen und Anteilshandel setzt das 2017 gegründete Startup auf Blockchain- und Kryptotechnologie.
„Deutschland ist auf diesem Feld regulatorisch sehr weit vorne, Asien eher ein bisschen hintendran, dafür aber in der Nutzung solcher Dienste viel offensiver. Wir können also dort mit bereits bewährter Technologie, mit Nachhaltigkeit und höherer Sicherheit argumentieren und uns so einen neuen Markt erobern“,
führt Dao weiter aus.
Südkorea kennenlernen beim German Accelerator
Ähnlich wie in den europäischen Ländern oder in den USA gibt es jedoch auch in Südkorea Traditionen und Gepflogenheiten zu beachten, die sich deutlich von denen in Deutschland unterscheiden. So hat Gründer Dao schnell bemerkt:
„Als Außenseiter kommst du schwer rein in den Markt. Du brauchst außerdem jemanden mit Sprachkenntnissen.“
Deshalb bereitet der German Accelerator Jungunternehmer auf die Expansion nach Südkorea vor. In seinen Workshops lernen sie Südkorea, seine Menschen, ihre Traditionen, aber auch erste persönliche Kontakte kennen, außerdem den Bedarf ihrer Produkte und Dienstleistungen einzuschätzen.
„Wir fanden über das Programm des German Accelerator einen US-koreaneischen Mentor, der uns bei den ersten Schritten in den Markt und sogar bei Pitches half“,
berichtet Dao. Erst im September 2020 hatte er am (digitalen) Programm des vom BMWi finanzierten Accelerators teilgenommen und dabei sofort die Idee zur Expansion nach Südkorea entwickelt. Inzwischen fehlen nur noch einige wenige rechtliche Dokumente und Unterschriften für Tochtergesellschaft und Marktstart.
Smart produzieren und mit Robotern soziale Probleme lösen
Gute Informations- und Kommunikationsnetze im ganzen Land, Breitband und schnelles Internet sorgen dafür, dass sich neue Digital-Dienste in Südkorea sehr schnell verbreiten – in Unternehmen wie unter Konsumenten. Kommunikationsdienste wie Kakao, mobiles einkaufen, spielen, organisieren – das alles gehört schon lange sogar in U-Bahnen oder in der Provinz zum Alltag, ebenso wie bargeldloses Bezahlen. Lediglich bei jeder fünften Transaktion wird noch physisches Geld in die Hand genommen. Vor allem aber setzt die Wirtschaft auf die Vorteile der Digitalisierung und reichert bereits verschiedene Angebote mit Digital-Services an. Südkorea findet sich daher schon seit Längerem nicht nur auf dem Innovationsindex von Bloomberg weit oben. Besondere Förderung seitens der (Standort)Politik genießen insbesondere diese vier Digital-Felder:
• Südlich von Seoul hat sich das Pangyo Techno Valley etabliert, in dem Anwendungen rund um künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen entstehen. Gwangju im Süden Südkoreas will bis 2025 mehr als 300 Millionen Dollar investieren, um Startups, die sich auf smarte Systeme und Dienste konzentrieren, samt ihrer Mitarbeiter bei sich anzusiedeln.
• Rund 320.000 Roboter unterstützen in Südkorea unterschiedlichste Herstellungs- und Serviceprozesse. Ihre Zahl soll sich bis 2023 verdoppeln. Dafür fördert der Intelligent Robot Development and Supply Promotion Act gezielt die Entwicklung smarter Maschinen, außerdem werden bereits Arbeitskräfte im Umgang mit Robotern geschult. Das Land sieht nämlich in Robotik eine Lösung sozialer Probleme, etwa in der Pflege.
• 2020 flossen umgerechnet knapp 26 Milliarden Dollar in das Internet der Dinge und in die vernetzte Smart City: Sensorik und IoT-Lösungen made in Germany haben in Südkorea einen sehr guten Ruf, sollen gegen Staus helfen und können sich hier sofort in der Praxis beweisen.
• Laut International Federation of Robotics ist Südkorea das am weitesten automatisierte Land weltweit, bis 2022 sollen rund 30.000 smarte Fabriken entstehen, von denen etwa ein Viertel schon realisiert sind. Startups, die Technologien für die intelligente Fertigung entwickeln, sind hochwillkommen und werden entsprechend finanziell unterstützt.
Südkorea setzt voll auf Digitalisierung
Für Neues äußerst aufgeschlossen, stark engagiert in der Digitalisierung: 4,5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts gibt Südkorea für Forschung, Entwicklung und Innovationen aus, und auch in den Unternehmen wird viel in neue Angebote investiert. Weltweit hat sich das Land einen Namen mit kreativer (Unterhaltungs)Elektronik und innovativer Kosmetik gemacht. Daneben liefert Südkorea inzwischen anerkannte Auto- und Mobilitätstechnik. Zunehmend veredeln die Hersteller selbst haptische Produkte wie Cremes oder Gesichtsmasken mit zusätzlichen digitalen Features. Diese Innovationskraft heizt der Staat einerseits mit finanzieller Förderung, aber auch mit internationalen Partnerschaften, vor allem aber mit überschaubaren Gründungs- und Zulassungsregeln für Unternehmen und ihre Mitarbeitenden aus dem Ausland an:
„Teilweise war es langwieriger, hier in Deutschland die dazu notwendigen Dokumente zu beschaffen“,
berichtet etwa Ive.One-Gründer Dao.
„Wenn alles zusammen ist, brauchen wir etwa zwei Wochen, um unsere Gesellschaft anzumelden und eintragen zu lassen, und dabei muss ich gar nicht persönlich vor Ort sein.“
Die meisten Anträge können digital gestellt werden, für Beglaubigungen reicht die Anwesenheit eines Anwaltes vor Ort. Bei Bedarf können außerdem Organisationen wie die deutsche Botschaft, die Korean-German Industrie- und Handels-Kammer sowie ihr europäisches Pendant Unternehmen weiterhelfen, die sich in Südkorea ansiedeln wollen. Weitere Kontakt- und Kooperationschancen bieten sich bei Organisationen und Forschungsinstituten wie die Max-Planck- oder die Fraunhofer Gesellschaft, die längst ebenfalls das gute Innovationsklima in Südkorea nutzen und mit dortigen Unternehmen, Wissenschaft und Forschung zusammenarbeiten.
Persönliche Kontakte und Vertrauen sind wichtig
Bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien und bei aller Offenheit gegenüber Angeboten aus dem Ausland – in Vielem denken und handeln die Menschen in Südkorea sehr traditionell. Das beeinflusst die Wirtschaft. Hier ein Business aufzubauen, braucht Geduld und Zeit. Alter und Erfahrung werden hier hoch geschätzt, Senioren haben daher einen großen Einfluss und bestimmen das Gespräch. Dazu passt, dass Südkoreas Wirtschaft in weiten Teilen sehr stark hierarchisch geordnet ist. In den Unternehmen, aber auch in ihrer Infrastruktur: Die Wirtschaft wird bestimmt von den Big Five Hyundai, LG, Lotte, Samsung und SK Group.
Diese „Chaebols“ sind, jedes für sich, sehr stark in Unter-Gesellschaften diversifiziert, die eng miteinander arbeiten und Geschäfte machen. Das ist vor allem ein Zeichen gegenseitigen Vertrauens. Zwar gewinnen daneben neuerdings kleine und mittlere Unternehmen sowie Startups an Boden, eine Entwicklung, die der Staat massiv fördert. Doch die Konglomerate halten sich, weil sich hier die Geschäftsbeziehungen auf allen Ebenen bewähren und jeder jeden kennt.
Persönliche Treffen gelten als sicherer und verlässlicher als digitale Kommunikation. Selbst in Südkorea ist Home Office noch nicht weit verbreitet. Und gerade Geschäftsbeziehungen – das gilt auch für den privaten Konsum – bahnen sich meistens über persönliche Referenzen an. Bekannte vermitteln Kontakte und bürgen für deren Qualität. Gründer Phon Dao hat deshalb seinen Mentor zum Statthalter-Kontakt vor Ort in Südkorea bestimmt. Dieser kennt die potenzielle Kundschaft sowie Förderquellen und Investoren. Etwa die Hälfte der Wirtschaftskraft Südkoreas tragen die Chaebols bei, sie schmieden in der Regel Partnerschaften mit lokalen Unternehmen, was den Markteintritt für Außenstehende ebenfalls erschwert. Kontakte zu Einheimischen oder auch Kooperationen mit kleinen Unternehmen oder Organisationen beschleunigen aber den Erfolg. Nicht zuletzt bringen sie außerdem die notwendigen Sprachkenntnisse ein. Phong Dao erinnert sich:
„Beim ersten Pitch um Risikokapital war ich in der Runde der Einzige, der auf Englisch präsentierte. Es wurde schnell klar, dass wir jemanden für Koreanisch brauchten.“
Effizienz erhöhen und Prozesse straffen
Andererseits achten die Chaebols wie auch mittelständische Unternehmen auf innovative Services und Produkte, vor allem dann, wenn sie die Effizienz erhöhen und Prozesse straffen oder gar beschleunigen. Die Startup-Szene ist daher stark und wird von den Großen intensiv gefördert: 33.000 junge Unternehmen sind registriert, darunter finden sich Einhörner wie die Suchmaschine Naver, das Online-Geschäft Coupang oder der Kommunikations- und Informationsdienst Kakao. Hier wachsen die notwendigen Digital-Spezialisten und –Experten heran. Auch an den Universitäten und in Unternehmen werden digitale Technologien intensiv erforscht und weiterentwickelt. Zunehmend qualifizieren Chaebols und Mittelstand ihre Mitarbeiter im Umgang mit intelligenten Systemen, Automatisierung, Robotern und Big Data. Vor Ort lassen sich dadurch schnell schlagkräftige Teams aufbauen.
Phong Dao ist gerade dabei, das Gründungsteam zu erweitern. Er vertraut darauf, Ive.One sogar gegen lokale Konkurrenz in Südkorea etablieren zu können:
„Wir haben die zuverlässigere, da sicherere Technik. Damit werden wir gerade in Südkorea punkten können. Auch wenn in Südkorea fast alles digital funktioniert, ich freue mich auf meinen ersten Flug dorthin, um das Team vor Ort endlich persönlich kennenzulernen.“
Wahrscheinlich unterscheiden sich die grundsätzlichen Gewohnheiten in Südkorea gar nicht so stark von denen in Europa?