Munich Startup: Was macht Euer Startup? Welches Problem löst Ihr?
Marc Schubert, Ecoturn: Um den Umstieg auf umweltfreundliche Antriebsarten zusätzlich zu fördern, winken E-Auto-Besitzern seit Anfang dieses Jahres weitere Boni. So erhalten sie durch die jährliche Treibhausgasprämie von ein paar hundert Euro einen zusätzlichen finanziellen Anreiz, auf umweltfreundliche Antriebsarten umzusteigen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Fahrzeug gekauft oder geleast ist. Solange man als Halter im Fahrzeugschein eingetragen ist, lassen sich diese jährlich anrechenbaren CO2-Quoten verkaufen, z.B. an Mineralölunternehmen, die damit Strafzölle vermeiden können.
Theoretisch könnten Fahrer von Elektroautos die THG-Quote auch selbst beim Umweltbundesamt beantragen. Da ein Mineralölkonzern aber einen großen Bedarf zu decken hat, nehmen sie in der Praxis auch nur große Quotenmengen ab, statt sich jedes Blümchen einzeln zu pflücken. Und genau da kommt unsere Plattform Elekrovorteil.de ins Spiel. Mit ihr übernehmen wir die komplette Abwicklung von der Beantragung der CO2-Zertifikate bis hin zur Prämienzahlung.
Der Prozess für Antragsteller ist einfach: Es muss lediglich der Fahrzeugschein auf der Internetseite hochgeladen werden. Ab hier regelt Ecoturn alles Weitere. Im Verlauf der administrativen Prozesse prüfen und strukturieren wir die Eingaben mittels künstlicher Intelligenz – alles natürlich unter Einhaltung höchster Datensicherheitsstandards. Die Nutzung des Service ist für den Fahrzeughalter gebührenfrei.
Ecoturn setzt auf clevere Prozesse und maximale Automatisierung
Munich Startup: Aber das gibt’s doch schon längst!
Marc Schubert: In der Branche üblich sind derzeit Umsatzbeteiligungen von 25 bis 30 Prozent. Das hat mich neugierig gemacht, welcher Arbeitsaufwand es rechtfertigt, gleich ein Viertel der Verkaufssumme einzubehalten. Es zeigte sich, dass die Abläufe beim THG-Quotenhandel weitestgehend analog und ineffizient ablaufen. Wenn man die Prozesse aber clever verschlankt und auf maximale Automatisierung baut, ergibt sich sofort ein enormes Einsparungspotential.
Daher ist ein Kernelement unserer Lösung die automatische Texterkennung, mittels derer alle für die Antragstellung und Zertifizierung erforderlichen Informationen aus dem Fahrzeugschein ausgelesen werden. Der Algorithmus kann dabei flexibel mit Irritationen umgehen und erkennt zum Beispiel, wenn es sich nicht um ein reines Elektrofahrzeug handelt, wie etwa ein Hybrid, ob der Fahrzeugschein nur unvollständig hochgeladen wurde oder ob es sich um das falsche Dokument handelt. In solchen Fällen wird die Formalprüfung automatisch beanstandet und der Kunde bekommt einen Hinweis zur Korrektur.
So schafft es Ecoturn, sich von anderen Anbietern abzusetzen und Verbraucher mit einer Verkaufsprovision für die THG-Quote von nur 15 Prozent zu überzeugen.
Munich Startup: Was ist Eure Gründungsstory?
Marc Schubert: Ich habe viele Jahre in der Automobilindustrie gearbeitet und bin dabei auch auf das Thema aufmerksam geworden, im Zuge einer User Survey für ein Digitalprojekt eines Automobilherstellers. Wir haben Fahrer von Elektroautos zu deren Präferenzen befragt. Einer dieser E-Mobilisten erzählte mir im Herbst 2021, dass es demnächst einen jährlichen E-Autobonus gäbe. Und als Co-Autor und Herausgeber der Fachpublikation „Maschinelles Lernen, Reale Probleme – Praktische Lösungen, Potentiale und Grenzen der künstlichen Intelligenz“ war ich bereits intensiv mit den Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz und Deep Learning vertraut. Bei der Verabschiedung neuer Immissionsschutzgesetze wurde uns dann klar, dass ein Umbruch in der Branche bevorsteht: Viele neue Beteiligte, mehr Quotenerfüllung über Dritte, Bedarf an digitalen Lösungen. Aus dieser Motivation heraus haben wir unsere Prämienplattform entwickelt.
„Unsere Herausforderungen liegen hauptsächlich auf Behördenseite“
Munich Startup: Was waren bisher Eure größten Herausforderungen?
Marc Schubert: Unsere Herausforderungen liegen hauptsächlich auf Behördenseite. Häufig merken wir, dass die Mitarbeiter des Umweltbundesamtes engagiert, aber hoffnungslos überlastet sind. Offenkundig weil mit zu wenig Personalkapazitäten praktisch jeder Antrag von Hand bearbeitet werden muss. Das Arbeiten der Poolingdienstleister mit künstlicher Intelligenz trifft bei der Behörde auf manuelle Listenbearbeitung. Sinnvolle Automatisierungen von Prozessen sind uns derweil noch nicht begegnet. Im Gegenteil: wir finden im UBA eine unzureichende Softwaresituation vor, die auf beiden Seiten vieles unnötig erschwert. Dabei wird sogar der Speicherplatz für Uploads derartig zu knapp bemessen, dass wir alle gescannten Dokumente vorher noch auf ein körnigeres Bildformat runterrechnen lassen müssen.
Wir haben großes Verständnis dafür, dass man sich Ende 2021 noch nicht ausgemalt hat, dass die THG-Quote mit Beginn dieses Jahres so ein Renner wird. Dass ein Bundesamt mit den bereitgestellten Ressourcen noch nicht in die Vollen ging, sondern erstmal schaut, wie das von der Bevölkerung angenommen wird, ist völlig nachvollziehbar. Genauso dass man sich Ende Januar noch in einem ersten Ansturm wähnte, der wahrscheinlich abflauen wird. Wenn dieser Ansturm dann aber Monat um Monat anhält, ja sogar weiterwächst, und der Rückstau gar nicht mehr abgebaut werden kann, dann wird es Zeit für einen Prozesswechsel.
„Die Kunden sind darum bei uns Sturm gelaufen“
Es ist allerhöchste Zeit, die Automatisierung und Digitalisierung dieser Prozesse signifikant weiterzubringen. Die Flut an Einreichungen wird so bald nicht abebben. Die abgeschlossene Zertifizierung der Quoten ist aber eine verpflichtende Grundvoraussetzung für deren Vermarktung. Erst wenn wir ein zertifiziertes Quotenbündel von den Behörden zurückerhalten, kann damit gehandelt werden. Daran wiederum ist die Auszahlung gekoppelt. Die Kunden sind darum bei uns Sturm gelaufen. Täglich kamen dutzende Mails von unzufriedenen Kunden herein, die sich absolut nachvollziehbar über die lange Wartedauer beschwert haben.
Wir mussten also viel Aufklärungsarbeit leisten, warum genau es an welcher Stelle im Prozess hängt. Gleichzeitig haben wir versucht ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Denn schließlich ist die Zahlung im Gegensatz zu anderen Fördertöpfen gesichert, es gibt kein Maximalkontingent oder ähnliches, welches plötzlich ausgeschöpft sein könnte. Wir haben das persönliche Benutzerprofil erweitert, damit jeder einzelne Prozessschritt visualisiert werden kann. Das schafft Übersicht und Transparenz. Außerdem sind wir proaktiv in die Kommunikation gegangen. Einfach um mitzugeben: „Wir haben euch nicht vergessen!“
„Die Verlagerung von B2C nach B2B liegt in der Natur der Sache“
Munich Startup: Was sind Eure nächsten Schritte?
Marc Schubert: Die THG-Quote stellt eine sinnvolle Ergänzung für das Geschäftsmodell von beispielsweise Autohäusern, Versicherungen, Flottenbetreibern, Stadtwerken, Ladepunkt- oder Backendbetreibern dar. Die Verlagerung von B2C nach B2B liegt daher in der Natur der Sache. Daher bietet Ecoturn zum Beispiel ein Kooperationsmodell für das KFZ-Gewerbe an, bei dem der KFZ-Betrieb die Prämie im Auftrag des Kunden beantragen kann. Denn das Recht an der THG-Quote kann beliebig oft übertragen werden. Die Rückvergütung der Prämie läuft dann genau in die entgegengesetzte Richtung. Daraus entstehen ganz neue spannende Geschäftsfelder.
Für uns geht es jetzt also darum, mehr Unternehmens-Kooperationen abzuschließen. Mit unserer speziell für diese Branche entwickelten Software können die Prozesse voll digitalisiert und vollautomatisiert ablaufen. Denn Nutzerfreundlichkeit ist das A und O. Nur wenn er absolut mühelos, bequem und unkompliziert ist, wird der Prozess durch den Mitarbeiter im Service angenommen. Der Aufwand darf nicht mehr als ein Knopfdruck bedeuten, damit der Prozess fließend in den Arbeitsalltag übergehen kann.
Munich Startup: Wie habt Ihr den Startup-Standort München bisher erlebt?
Marc Schubert: Vor Corona habe ich mich ein halbes Jahr intensiver mit der Startup-Szene in München beschäftigt. So habe ich beispielsweise an diversen Diskussionsforen teilgenommen und dadurch versucht, Kontakte zu knüpfen. Die Teilnahme am UnternehmerTUM war herrlich unbürokratisch, dort herrscht eine richtig coole Energie. Der „Maker Space“ hat mir wirklich sehr gut gefallen.
Ecoturn sieht zu wenig Förderung für Startups in München
Ich habe zwar keinen Vergleich zu anderen Städten, aber meine Erwartungshaltung wurde definitiv nicht erfüllt. So hatten wir uns beispielsweise vor einiger Zeit einen Open Space für ein Vertical Farming Konzept überlegt und dafür eine einigermaßen zentrale Location gesucht. Aber wenn uns dafür überhaupt etwas angeboten wurde, dann nur weit außerhalb ohne Publikumsverkehr und zu einem alles andere als günstigen Quadratmeterpreis. Ich denke München hätte richtig viel Potenzial. Leider gibt es viel zu wenige Förderungen, um dieses zu heben. Insbesondere Startup-Einrichtungen in zentraler Lage habe ich gänzlich vermisst, vielleicht habe ich diese aber auch einfach nur nicht finden können?
Munich Startup: Schneller Exit oder langer Atem?
Marc Schubert: Die ganze Sache macht viel zu viel Spaß, als dass ich auf einen schnellen Exit hoffe. Klar, wir wollen langfristig profitabel sein und weitere Gewinne erwirtschaften. Die gesetzliche Situation hat für die THG-Quote einen Rahmen von 8 Jahren geschaffen, ich denke das ist ein schön überschaubarer Zeitraum. In welche Richtungen sich die Geschäftsmodelle bis 2030 entwickeln, das wird sich im Laufe der Zeit zeigen. Jedenfalls bekommen wir aus erster Hand mit, wie das E-Mobility Förderinstrument „Treibhausgasquote“ einen direkten Impact zeigt. Wir erhalten viele Anfragen von potenziellen Kunden, die sich nun unter anderem aufgrund der jährlichen E-Prämie ein E-Fahrzeug zulegen möchten. Die Verkehrswende und damit auch die Energiewende zu hautnah mitzuerleben gibt uns auf jeden Fall ein angenehmes Gefühl. Ecoturn bekommt viel positives Feedback von glücklichen und zufriedenen Kunden, daraus schöpfen wir viel Motivation.