Foto: Sung-Hee Seewald

Unbewusste Vorurteile gegenüber Frauen – Interview mit Natascha Hoffner von HerCareer

Frauen und Männer haben bei einer Gründung nicht die gleichen Chancen – da ist sich Natascha Hoffner, Gründerin der Messe für weibliche Karriereplanung herCareer, sicher. Was sich aus ihrer Sicht ändern muss, erzählt sie uns im Interview.

Munich Startup: Haben eigene Erfahrungen oder Erfahrungen in Deinem Umfeld Dich auf die Idee gebracht, dass es eine Messe wie HerCareer braucht? Wenn ja, welche waren das?

Natascha Hoffner: Bevor ich mich selbstständig gemacht habe, war ich mehr als 15 Jahre für einen Messeveranstalter in Mannheim tätig. Dort habe ich das Messemachen von der Pike auf gelernt und war damals schon Teil einer Neugründung und zuletzt Geschäftsführerin. Mit dem ersten Kind bin ich nach kurzer Elternzeit direkt wieder Vollzeit zurück in den Job. Der Papa hat sich maßgeblich um das Kind im 400 Kilometer entfernten München gekümmert. Mit dem zweiten Kind wurde das Modell schwierig, auch, weil der Weg zurück in die Geschäftsführung nicht mehr ohne Weiteres geklappt hätte. Ich bin dann der Familie ins Münchner Umland nachgefolgt und habe im April 2015 die Messe.rocks GmbH gegründet und die HerCareer ins Leben gerufen, inzwischen die Leitmesse für die weibliche Karriereplanung und weitaus mehr als „nur“ eine Messe. Wir sind Begegnungsstätte, Weiterbildungsanbieter, Netzwerk und Jobmatching-Plattform in einem. Dass es noch mehr als 100 Jahre dauern soll, bis wir Gleichstellung von Männern und Frauen erreichen – das wollte ich schon damals nicht einfach hinnehmen. Mir war klar, ich möchte mich dafür einsetzen, dass Frauen gleiche Chancen in der Arbeitswelt haben.

Foto: Franz Pfluegl – HerCareer

Munich Startup: Was sollen BesucherInnen von der Messe im Idealfall mitnehmen?

Natascha Hoffner: Je nach Intention des Messebesuchs kann das ganz unterschiedlich ausfallen. Eine Messe sollte Angebote und Informationen vorstellen, die BesucherInnen in ihrer jeweiligen Karrierephase  unterstützen, so dass sie ihren Vorstellungen und Erwartungen näherzukommen – sei es ein neuer Job, ein passendes Weiterbildungsangebot, Partner für die Unternehmensgründung oder ein Schub für das eigene Unternehmen. Auch das Thema Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf, Geldangelegenheiten, Finanzen oder Anlage bedienen wir mit der Messe. Eine Besonderheit der HerCareer sind die vielen Formate, um das fachliche und persönliche Netzwerk weiter auszubauen – und zwar über Hierarchien hinweg. Die ausstellenden Unternehmen und Partner ermöglichen dies weniger in klassischen Vortragsformaten, sondern in inzwischen über 350 Meetups und Talks in Kleingruppen. Hier kommen Role Modells zu Wort und Sparringspartner teilen ihr Wissen, ihre Erfahrungen und Lernkurven. Die Idee dahinter ist, dass wir den BesucherInnen nicht nur Mut für neue Karrierewege machen möchten. Wir möchten verhindern, dass Frauen und Männer die immer gleichen „Fehler“ und schlechten Karriere-Erfahrungen wiederholen. Die HerCareer bietet Lösungsvorschläge oder besser Erfahrungswerte aus erster Hand, mit persönlichen Tipps – nach dem Motto, „so habe ich das gelöst“. 

„Unbewusste Vorurteile gegenüber Frauen spielen dabei eine große Rolle“

Munich Startup: „Female Founder“ ist ein geläufiges Buzzword in der Startup-Szene – faktisch haben laut Dealroom aber nur 10,9 Prozent der Münchner Startups eine oder mehrere Frauen im Gründerteam. Hast Du das Gefühl, dass sich diesbezüglich in den letzten Jahren etwas in der Startup-Szene bewegt hat?

Natascha Hoffner: Nicht wirklich – bundesweit sieht es nicht viel besser aus. So zeigt der aktuelle Female Founders Monitor (FFM) 2020, eine gemeinsame Studie des Startup-Bundesverbandes und Google for Startups, dass der Anteil der weiblichen Gründerinnen bei gerade mal 15 Prozent stagniert. Nur jedes zehnte junge Unternehmen in Deutschland wird von rein weiblichen Teams aufgebaut, die Führung von lediglich 20 Prozent ist gemischt. Die übrigen Chefs sind Männer – und die bekommen das meiste Kapital. Während ein von Gründern geführtes Startup in Deutschland im Schnitt 10,6 Millionen Euro einsammeln kann, erhalten Gründerinnen laut Boston Consulting Group (BCG) mit durchschnittlich 3,5 Millionen Euro knapp ein Drittel. Unbewusste Vorurteile gegenüber Frauen spielen dabei eine große Rolle.

Der Anteil der weiblichen Gründerinnen ist also weiterhin viel zu niedrig. Ich beobachte aber auch, dass Gründen eine Option für Frauen ist und dass immer mehr öffentliche Diskussionen über Gründerinnen entstehen und die Frage, wie wir sie als Role Model sichtbar machen können. Doch für Frauen bleibt der Zugang zu Kapital schwieriger. Es sind oft Family und Friends, die das Geld für die Gründung zur Verfügung stellen. Die Investorenlandschaft ist stark männlich geprägt. Der Anteil von Partnerinnen in deutschen Wagniskapital-Firmen (VC) beträgt nur vier Prozent, wie die BCG ermittelt hat. 

Viele Frauen verfügen über einen ausgeprägten Willen zum Erfolg und damit über das nötige Durchhaltevermögen für eine Gründung. Sie kämpfen sich oft mit keinem oder deutlich geringem Fremdkapital als Männer durch. Oft heißt es: „Wenn diese Frauen etwas wollen, schaffen sie es auch.“ Doch sie müssen auch viel opfern, auf Zeit fürs Privatleben verzichten und Mehrleistung bringen – das wird viel zu wenig thematisiert. Vor allem aber auch, dass Frauen und Männer bei einer Gründung nicht die gleichen Chancen haben.  

Munich Startup: Findest Du es wichtig, dass mehr Frauen in Deutschland gründen?

Natascha Hoffner,: Natürlich, Startups sind die Zukunft unserer Wirtschaft – und die sollten Frauen mitgestalten dürfen. Frauen haben bei neuen Produkten und Lösungen oftmals einen anderen Fokus als Männer – nicht zuletzt, weil sie vielleicht selbst Teil der primären Zielgruppe sind. Außerdem stelle ich persönlich stelle oft fest, dass Frauen von der Problemstellung heraus denken und sich fragen, mit welcher Technik sich das erreichen lässt. Dahingehend bauen sie ein Netzwerk auf, das ihnen bei ihrer Zielerreichung hilft. Ein tolles Beispiel hierfür ist Judith Gampe, die einen Ohrring geschaffen hat, in dem ein Headset integriert ist. Oder auch Julia Römer, Gründerin von Coolar, einem Kühlschrank, der mit Wärme statt Strom kühlt und so mehr als 60 Prozent anfallender CO2-Emissionen und mehr als 75 Prozent der Betriebskosten einsparen kann. Zudem kann Coolar in heißen, stromlosen Regionen dabei helfen, Medikamente oder Lebensmittel kühl zu halten. 

Männer und Frauen sollten gleichermaßen an Innovationen beteiligt sein, damit diese nicht nur einen Teil der Menschheit bedienen.

Da frage ich mich schon, warum sich da so wenig ändert. Es ist doch bekannt, dass Frauen nicht nur schwerer an Fremdkapital kommen, sondern auch bei exakt gleichen Pitchdecks schlechter bewertet werden – Stichwort Unconscious Bias. Je nach Geschlecht stellen Investoren GründerInnen andere Fragen. So haben Forscher der Harvard Business School und der London School of Economics herausgefunden, dass Männer eher zu möglichen Gewinnen, Frauen dagegen zu möglichen Verlusten ihrer Unternehmung Auskunft geben sollen – und dass dies die gewährten Finanzmittel für Gründerinnen erheblich reduziert. Laut einer BCG-Studie von 2019 haben rein weibliche Startups über alle Phasen der Gründungsfinanzierung hinweg eine 40-prozentig geringere Chance als Männer, in der wichtigen zweiten Runde an Wachstumskapital zu gelangen. In der dritten Runde liegt die Wahrscheinlichkeit für Frauen, frisches Geld zu erhalten, sogar um 90 Prozent niedriger. 

Munich Startup: Sollen sich Frauen der von und für Männer gemachten Arbeitswelt anpassen – oder braucht es eine Veränderung des Systems?

Natascha Hoffner: Die Frage ist rhetorisch gemeint, oder? Es gilt natürlich, das System hinter diesen Diskriminierungen zu hinterfragen. Ich erinnere mich an viele Panels oder Female (Founders) Tracks zu dem Thema auf diversen Veranstaltungen. Sie sind zumeist mit hochkarätigen Frauen besetzt und inhaltlich auch super ausgestaltet – sprechen aber nur Frauen an. Denn Frauen haben Interesse daran, in Führung zu kommen oder zu gründen. Aber was passiert: Die Diskussion und die „Lösung“ wird zumeist den Frauen überlassen. So funktioniert das nicht. Die Nutznießer des bestehenden Systems sind primär immer noch Männer. Und wenn es darum geht, Macht abzugeben, wird ein Großteil von ihnen nicht lauthals „Ja“ schreien und Platz machen. 

Foto: Franz Pfluegl – HerCareer

Die Realität ist: Wir hatten noch nie so gut ausgebildete Frauen wie heute. Dieses Talent nicht nutzen zu wollen, bei den Herausforderungen unserer Zeit, halte ich für fahrlässig. Frauen leisten viel, um sichtbar zu werden und mit Männern gleichzuziehen: Sie gründen Unternehmen, schaffen familienfreundliche Strukturen, werden selbst Investorinnen – aber da geht noch mehr. Einerseits braucht es dafür sicherlich neue Regularien durch die Politik und Fördergeber. Quoten können als Übergangsinstrument zur Systemänderung auch hilfreich sein, da geht es auch um neue Rahmenbedingungen für Kapitalentscheidungen. Dorothee Bär hat deshalb eine (Frauen-) Quote bei staatlichem Wagniskapital vorgeschlagen und auch der Beirat der jungen Wirtschaft im Auftrag des BMWi beschäftigt sich mit dem Ansatz.

Munich Startup: Was muss sich Deiner Meinung nach unabhängig von gesetzlichen Änderungen tun, damit noch mehr Frauen den Schritt in die Selbstständigkeit wagen? 

Natascha Hoffner: Das beginnt mit einer neuen Haltung der Finanzgeber, deshalb können wir gar nicht oft genug auf die bestehenden Ungleichheiten und unbewussten Vorurteile hinweisen. Außerdem können sich zwar viele Frauen vorstellen zu gründen, aber verständlicherweise ist die Angst zu Scheitern unter solchen Bedingungen besonders hoch. Es braucht mehr Möglichkeiten für niederschwelliges Gründen. Wir sind mit der HerCareer eine Plattform für Diskussionen rund um das Thema Gründung. Frauen können das Problem nicht auf individueller Ebene lösen – sie brauchen Netzwerke und Vorbilder, die sie ermutigen. Außerdem unterstützen wir durch unseren Gründer-Pitch: Männliche Gründer/teams haben auf der Messe kostenfrei die Möglichkeit (solange freie Slots verfügbar sind), um eine Mitgründerin oder Kollegin zur Besetzung auf C-Level zu pitchen. Diverse Teams sind möglich, wenn wir solche Begegnungen organisieren und aus der eigenen Komfortzone heraustreten. 

„Dass es zunehmend mehr Frauennetzwerke gibt, ist fantastisch“

Munich Startup: Und schließlich: Wie wichtig sind Netzwerke? Sollen Frauen Männernetzwerke einfach kopieren oder können sie es klüger und vor allem inklusiver machen?

Natascha Hoffner: Netzwerke sind immer förderlich für die Karriere – egal, ob es sich um unternehmensinterne oder unternehmensübergreifende Netzwerke handelt. Dass es zunehmend mehr Frauennetzwerke gibt, ist fantastisch. Frauen finden darin einen „geschützten“ Raum, um offen über ihre Herausforderungen zu sprechen und sich Rat einzuholen. Und doch sitzen an den Stellhebeln der Wirtschaft immer noch überwiegend die Männer, was heißt, dass Frauen innerhalb ihrer Branchen und für ihre Themen auch auf gemischte Netzwerke setzen sollten. Aber einmal mehr gilt auch hier: Es kann nicht nur die Aufgabe der Frauen sein, Netzwerke inklusiver zu gestalten. Es braucht Förderer, Sponsoren und Unterstützer, Männer wie Frauen, die bereit sind, weitere Frauen an den Tisch zu holen, Türen zu öffnen und sich bei Bedarf auch hinter die Frauen zu stellen. Ein solches Netzwerk ist Gold wert.