Prof. Dr. Klaus Sailer, seit 2006 Professor für Entrepreneurship an der Hochschule München und Geschäftsführer des Strascheg Center for Entrepreneurship (SCE), über erfolgreiche Startups aus dem SCE, gesellschaftliche Verantwortung und über die derzeitige Aufbruchsstimmung im Münchner Ökosystem.
Für alle, die das Strascheg Center for Entrepreneurship noch nicht kennen: Was macht Ihr, was ist Eure Zielgruppe?
Das SCE ist ein An-Institut der Hochschule München (HM) und möchte unternehmerisches Denken und Handeln fördern. Dazu bieten wir unterschiedlichste Formate im Bereich Qualifizierung an und wir unterstützen innovative Projekte, Teams und Startups auf dem Weg zum Erfolg. Dafür haben wir nicht nur erfahrene Gründungsberater, sondern auch einen Inkubator und ein großes Netzwerk, das unseren Teams hilft, die richtigen Partner und Stakeholder zu finden. Bei all unseren Aktivitäten ist uns wichtig, die Verantwortung für die Gesellschaft in den Mittelpunkt zu stellen. Hauptzielgruppe sind natürlich die Studierenden und Alumni der Hochschule München, aber wir freuen uns auch über innovative Ideen, Projekte und Teams von außen.
Von welchen Startups, die mit Unterstützung des SCE angefangen haben, werden wir in Zukunft noch viel hören?
Wir haben jedes Jahr ca. 20-25 tolle, erfolgreiche Startup-Gründungen aus den unterschiedlichsten Bereichen – von Hightech bis hin zu sozialen Ideen. Und alle sind uns ans Herz gewachsen. Manche bleiben „Hidden Champions“, andere sind in aller Munde. Am liebsten würde ich eine ganze Liste beifügen, aber sicherlich gehören – um nur einige zu nennen – zu den bekannteren etwa Freeletics, FTapi oder Ridetronic, das durch die erfolgreiche Teilnahme bei der Pro-Sieben-Fernsehshow „Das Ding des Jahres“ bekannt geworden ist. Im technischen Bereich sehen wir viel Potential bei Unternehmen wie z.B. Toposens, ProGlove, Rapitag oder auch Fazua, Seiratherm und Adnymics. Spyra, die die Wasserpistole der Zukunft entwickeln, hat gerade eben sehr erfolgreich eine Kickstarter-Kampagne gestartet, Urmo will es ihnen mit einem weiterentwickelten, tragbaren Segway-Nachfolger nachmachen. Aber wir finden auch Unternehmungen, bei denen der soziale Nutzen im Vordergrund steht, wie z.B. NearBees, sehr spannend.
Wichtig: Internationaler Austausch
Das SCE gilt als international sehr gut vernetzt. Welche Projekte treibt Ihr außerhalb Deutschlands voran?
Schaun wir mal, wie es mit den offenen Märkten weitergeht. Wie auch immer, uns ist es wichtig, dass sowohl unsere Studierenden als auch unsere Teams von anderen Eco-Systemen und Kulturen lernen und sich austauschen können. Deshalb bietet dsa SCE unterschiedliche, internationale Ausbildungsformate an, bei dem die Teilnehmer zum einen interessante Kontakte knüpfen können, zum anderen aber auch Projekte durchführen und Startups gründen können. Dazu zählen etwa BIPA, ein zehnwöchiges Programm mit Kooperationspartnern aus Israel, unser Bootcamp mit Teilnehmern aus aller Welt und curriculare Formate mit dem Polytech Sankt Petersburg und der CalPoly University in Kalifornien.
Mit unserem Open International Incubation Programm „coneeect IN“ bauen wir gerade ein internationales Netzwerk auf, das es uns ermöglicht, mit Partner-Universitäten auf der ganzen Welt einen unkomplizierten internationalen Austausch von Studierenden und vor allem von Startups zu ermöglichen. Die Partner sehen sich als ein großer Inkubator, der allen Teams aller Standorte offensteht. Bei anderen internationalen Aktivitäten kooperieren wir mit den anderen Entrepreneurship-Centern der Münchner Hochschulen. Mit der von uns gemeinsam ins Leben gerufenen Social Entrepreneurship Akademie bieten wir etwa die Global Entrepreneurship Summer School an vier verschiedenen, internationalen Standorten an.
Als An-Institut der Hochschule München seid Ihr örtlich eigentlich sehr stark festgelegt. Wie profitiert Ihr vom weltweiten Netzwerk?
Auch Hochschulen müssen in Zukunft mehr und mehr international denken, wenn sie für Studierende attraktiv bleiben möchten. Deshalb ist es uns wichtig, unsere internationalen Angebote vor allem im Entrepreneurship-Bereich auszubauen. Uns ist es wichtig, dass Studierende sich öffnen und neugierig auf die Welt sind. Und unsere Teams sollen sich mit internationalen Startups, Partnern und Eco-Systemen vernetzen; zudem wollen wir auch internationale Teams nach München locken. Meiner Meinung nach bieten Hochschulen ein optimales Umfeld dafür, da hier ein Austausch sehr spielerisch und unkompliziert organisiert werden kann und die Teilnehmer noch offen für viele neue Eindrücke, neue Ideen, Kooperationen und Veränderungen sind. Gleichzeitig stehen viele der internationalen Formate auch für Zielgruppen offen, die nicht direkt mit der Hochschule in Kontakt stehen.
Ansporn, nicht bequem zu werden
In München ist das SCE ja nicht das einzige Entrepreneurship-Zentrum an einer Hochschule. Wie sieht die Zusammenarbeit mit den anderen Zentren aus: Kooperation oder Konkurrenz?
In meinen Augen ist die Zusammenarbeit der Entrepreneurship-Zentren sehr befruchtend für die Zentren selbst, aber auch für das ganze Ökosystem in München. Ich schätze meine Kollegen sehr und wir verstehen uns auch auf persönlicher Ebene sehr gut. Das führt dazu, dass wir Projekte, von denen wir überzeugt sind, dass wir sie gemeinsam besser stemmen können als allein, zusammen angehen. So ist die bereits erwähnte Social Entrepreneurship Akademie aus dem Eco-System nicht mehr wegzudenken und die gemeinsam gegründete MUC Summit GmbH möchte etwa mit dem MUST-Summit helfen, das internationale Netzwerk aus Startups, Unternehmen, Hochschulen und Politik in München auszubauen. Natürlich ist jedes Zentrum für sich selbst auch hochmotiviert, die besten Formate anzubieten. Dies sehe ich als Ansporn für uns alle, nicht bequem zu werden, sondern sich weiter zu entwickeln, um attraktiv zu bleiben.
Gehen die Hochschule München und die Münchner Unis unterschiedlich an das Thema Entrepreneurship heran? Gibt es einen substanziellen Unterschied bei den Studenten und deren Gründungsneigung?
Jede Hochschule hat ihre eigene Zielgruppe und ein eigenes Profil. An der HM wollen wir alle Fakultäten gleichermaßen unterstützen und fördern deshalb sowohl technische, als auch nicht-technische und soziale Projekte gleichermaßen. Je nach Ausrichtung der Universitäten liegen dort die Schwerpunkte etwas anders. Uns liegt daran, ein transdisziplinäres Verständnis zu fördern und den Teams aufzuzeigen, welch mächtiges „Tool“ sie mit Entrepreneurship haben, ihr eigenes Leben und (zumindest einen kleinen Teil) der Welt eigenverantwortlich zu gestalten. Sowohl in unseren Qualifizierungsprogrammen als auch in der Gründungsförderung nehmen deshalb Themen wie die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, die Arbeit im Team, als auch die Förderung von systemischem Denken in einem Eco-System eine wichtige Rolle ein.
Ein großer Unterschied ist sicher, dass die Universitäten mehr Doktoranden haben und damit auch mehr Forschungsprojekte durchführen. Diese bergen ein hohes Innovationspotential. Unsere Gründer sind meist Studierende oder Alumni. Aber wir holen im Bereich der angewandten Forschung schnell auf und zudem können wir unsere Studierenden immer besser für das Gründen begeistern.
Wir arbeiten an der HM auch daran, das Verständnis von Entrepreneurship auf den Bereich Co-Creation auszudehnen und neue Innovationen durch die Zusammenarbeit von Professoren, Wissenschaftlern, Studierenden, Unternehmen, sozialen Organisationen und der Politik zu entwickeln.
„Wir haben gerade eine gute Aufbruchsstimmung“
Die Startup-Szene in München ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Was denken Sie, wie das Münchner Ökosystem im internationalen Vergleich dasteht?
Ganz ohne Frage ist in München in den letzten Jahren viel Bewegung in die Gründungsaktivitäten gekommen. Viele unterschiedliche Unterstützer – wie etwa Ministerien, die Stadt, die IHK, die Hochschulen, Unternehmen … – engagieren sich, um etwas zu bewegen. Es macht Spaß, bei solch einem Prozess dabei zu sein.
Wie weit sind wir im Vergleich zu anderen Eco-Systemen? Je nachdem, aus welcher Perspektive man darauf schaut, ist die Antwort unterschiedlich. In den letzten Jahren wurde München oft mit Berlin verglichen. Da verhält es sich wie mit den Äpfeln und den Birnen. In Berlin ist das entrepreneurial Eco-System nach außen hin sichtbarer. Es gibt viele unabhängige Initiativen, die das Thema vorantreiben, Studierende sind schneller bereit, ins Risiko zu gehen, die Mieten sind billiger, die internationale Sichtbarkeit ist höher und die Bereitschaft, sich schneller auf Veränderungen einzulassen, ist sicher größer. In München dagegen sind die Opportunitätskosten höher. Die potentiellen GründerInnen müssen sich zwischen einem gut bezahlten Job oder dem unsicheren Startup entscheiden. Die, die jedoch die „Mia-san-mia-Komfortzone“ verlassen und sich für das Gründen entscheiden, sind dann sehr ernsthaft bei der Sache und die Erfolgswahrscheinlichkeit ist vergleichsweise hoch.
Gleichzeitig haben die Startups in München das „Glück“, dass sie schon viele erfolgreiche große und mittelständische Unternehmen antreffen. Das verschiebt zwar den Fokus des Eco-Systems und bedeutet auch Konkurrenz, aber es bietet auch viele Chancen für Kooperationen. Durch den bisherigen Fokus auf die erfolgreichen Unternehmen hinken wir meiner Einschätzung nach bei der Entwicklung des entrepreneurial Eco-Systems im internationalen Vergleich noch hinterher, weil wir etwas gebraucht haben, die notwendige Dynamik aufzunehmen und die unterschiedlichen Player miteinander gut zu vernetzen und zu orchestrieren. Aber wir haben gerade eine gute Aufbruchsstimmung. Denn alle Stakeholder sehen eine einzigartige Chance darin, unser eigenes Modell für ein Eco-System zu entwickeln und zu leben, das die Stärken der Wirtschaft, die Innovationskraft der Startups und die bestehenden Sozialsysteme verbindet.