Diese Krise wird gesunde Startups das Leben kosten

Wie unter einem Brennglas offenbart die Corona-Krise die Stärken und Schwächen von Startups. Mit ihrer Schnelligkeit, Flexibilität und ihrem Pragmatismus haben Startup-Unternehmen ihren herkömmlichen Mitbewerbern in der aktuellen Situation eigentlich einiges voraus. Und dennoch werden viele gesunde junge Firmen diese Krise nicht überleben. Ein Kommentar.

Der Startup-Begriff ist in den vergangenen Jahren recht schwammig geworden. In Mails an unsere Redaktion preisen PR-Agenturen und GründerInnen ihr Möbel-Startup (Schreinerei), Sales-Startup (Vertriebsberatung), Productivity-Startup (Verkauf von Büroeinrichtung) oder Fitness-Startup (Anbieter von Fitnesskursen) an. Wir erklären dann zumeist, dass jene Geschäftsmodelle nicht unter unseren Startup-Begriff fallen – was freilich keine Aussage darüber beinhaltet, was wir vom Unternehmen oder seinem zukünftigen Erfolg halten.

Wir meinen mit dem Begriff ‚Startup‘ einen bestimmten Unternehmenstypus. In der Corona-Krise zeigt sich überdeutlich, was diesen auszeichnet und von anderen Firmen unterscheidet – denn sie können besser als viele andere mit der Krise umgehen und sind zugleich noch stärker in ihrem Überleben bedroht.

Von „ehrbaren Kaufleuten“ zu Startup-EntrepreneurInnen

Grob gesagt unterscheiden wir Startups von anderen Unternehmen anhand von drei Kriterien: Sie sind nicht älter als zehn Jahre, sie streben exponentielles Wachstum an und sie sind in irgendeiner Weise innovativ – beim Produkt, dem Geschäftsmodell oder auch nur beim Marketing.

Der eigentliche Unterschied zwischen dem althergebrachten Leitbild der Unternehmer als „ehrbare Kaufleute“ und dem neuen Typus der Startup-EntrepreneurInnen ist jedoch ein anderer: Alles Handeln von Startups ist auf Geschwindigkeit, Flexibilität und Nachfrage ausgelegt. Statt ausgefeilter Produkte entwickeln Startups ein ‚Minimum Viable Product‘, also einen gerade eben funktionsfähigen Prototypen, der dann auf seinen ‚Product-Market-Fit‘, eine echte Nachfrage am Markt, getestet wird. Passen Produkt und Markt nicht zusammen, wird entweder das Produkt modifiziert, ein neuer Markt gesucht oder das Produkt verworfen und bestenfalls ein Aspekt für einen neuen Prototypen verwendet. Während die klassische Produktentwicklung gerne einige Jahre in Anspruch nimmt, dauert ein Zyklus aus Prototyping, Test und Anpassung oft nur wenige Wochen oder Monate.

Das Geld für Produktentwicklung, Personal, Marketing und so weiter erwirtschaftet der klassische Betrieb im Idealfall selbst. Für notwendige Investitionen wird notfalls ein Kredit aufgenommen. Startups sind dagegen typischerweise nicht kreditfähig. Sie erzielen zumeist auch keine Gewinne, sondern benötigen im Gegenteil viel fremdes Geld für ihr schnelles Wachstum.

Schnelle Reaktionen auf die Krise

Mit dem Hereinbrechen der Corona-Krise ließ sich schön beobachten, wie sehr Startups die schnelle Reaktion auf einen veränderten Markt im Blut haben. In unserer Video-Reihe #CoronaUpdate beschreiben Startup-GründerInnen und -Angestellte, wie sie die Krise erleben und wie unterschiedlich ihr Unternehmen auf sie reagiert hat. Knister Grill hat beispielsweise in kurzer Zeit die Produktion einer Balkonhalterung für seine Grills hochgefahren und damit seinem Hauptprodukt eine neue Anwendung zu Hause ermöglicht. Luminovo nutzt die auftragsarme Zeit, um seine Geschäftsmodell zu überarbeiten. Building Radar hat sogar eine steigende Nachfrage erlebt und sein Online-Marketing neu aufgestellt.

Innerhalb weniger Wochen haben die jungen Unternehmen ihr Geschäftsmodell teils radikal in Frage gestellt und sich entlang der veränderten Rahmenbedingungen neu erfunden. Für einen Mittelständler wäre ein solcher Kurswechsel in der Kürze der Zeit unvorstellbar.

Das Hilfspaket wird nicht alle retten

Die Geschwindigkeit, mit der Startups operieren, kann in der Krise jedoch auch ihr Verhängnis werden. Kaum ein Jungunternehmen verfügt über echte Geldreserven, außer Mittel aus der letzten Finanzierungsrunde, die bis zur nächsten Kapitalaufnahme reichen müssen. Wie man von Insidern hört, ist in der Corona-Krise die Anbahnung neuer Investments weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Deals, die derzeit abgewickelt werden, könnten der vorerst letzte Schluck aus einer Pipeline ohne Zufluss sein. Es ist noch völlig ungewiss, wann die Venture-Capital-Geber den Geldhahn wieder aufdrehen können und werden.

Das Überleben vieler Startups gleicht damit einem Glücksspiel: Wer gerade noch frisches Kapital bekommen hat, übersteht die kommende Durststrecke deutlich eher als ein Startup, das sich gerade auf den letzten Metern einer Finanzierungsrunde befand, als das Geld versiegte. Die Bundesregierung hat bereits ein 2 Milliarden Euro umfassendes Hilfspaket für Startups auf den Weg gebracht. Es hieß, man müsse einen Verlust von Innovationskraft und auch einen Ausverkauf von Know-how nach China und Amerika verhindern. Noch bremsen Unsicherheiten bei den Förderbedingungen das ohnehin angeschlagene Investmentgeschehen. Doch auch wenn die Bundesmilliarden einmal fließen, werden sicher nicht alle Startups über die Krise gerettet werden können.

Auslese ist für das Startup-Ökosystem ein wichtiger Prozess. Ein Unternehmen, das keinen Markt für sein Produkt findet, sollte nicht künstlich am Leben gehalten werden. Es steht aber jetzt schon fest, dass die Krise auch viele gesunde Startups das Leben kosten wird.