Der BioM-Geschäftsführer Prof. Dr. Ralf Huss
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BioM-Chef Ralf Huss im Interview: „One-stop-Shop für die medizinische Biotechnologie in München und Bayern“

Bereits seit 1997 unterstützt BioM kleine und mittlere Unternehmen sowie GründerInnen in der Biotechnologie. Seit Beginn dieses Jahres leitet Prof. Dr. Ralf Huss als Geschäftsführer die Geschicke der Netzwerkorganisation. Im Interview berichtet er über den Stand der Münchner Biotech-Branche, die Zusammenarbeit von Biotechnologiefirmen mit anderen Startups und seine Vision für die kommenden Jahre.

Munich Startup: Wie steht der Biotech-Standort München aktuell da? Was sind die größten Herausforderungen und Hindernisse für die Branche?

Ralf Huss: München ist nach wie vor einer der bedeutendsten Biotechstandorte Deutschlands und auch Europas und hat sicherlich auch eine globale Visibilität. Das liegt zweifellos auch an der hohen Dichte an exzellenten und forschungsstarken Universitäten und Hochschulen, sowie außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Biotechunternehmen verschiedenster Größen. Weiterhin besteht nach wie vor eine außerordentliche Gründerdynamik mit einem großen Innovationspotential aus den unterschiedlichsten Fachbereichen. Neben klassischen biotechnologischen und biomedizinischen Ausgründungen mit einem Single-Asset oder Portfolio an innovativen Modalitäten wie therapeutischen DNA/RNA-Plattformen oder modellierten Proteinstrukturen liegen vielen neuen Gründungsideen zunehmend auch datenbasierte Modelle teilweise im Sinne von „digital Twins“ zugrunde. Mit Hilfe verschiedenster Rechen- oder KI-Modellen (eine Künstliche Intelligenz vom basalen maschinellen Lernen bis hin zu verstärkt selbstlernenden neuronalen Netzen ohne Anfangshypothese) lassen solche Ideen auf eine beschleunigte und Kostengünstige Entwicklung hoffen. Derlei Chancen werden im Hinblick auf die internationale Konkurrenz auch in Europa, aber besonders in den USA und China hoffentlich auch erfolgreich genutzt werden.

Diesem großen innovativen Potenzial gerade in der Biotechnologie stehen aber gleichzeitig auch zunehmende Herausforderungen gegenüber. Neben einer häufig fast erschreckend konservativen und unterfinanzierten Patentstrategie ist es in erster Linie der Fachkräftemangel sowohl im Bereich der Akademikern, aber in gleicher Weise auch des technischen Personals, was einem erfolgreichen Ideentransfer aus der Grundlagenforschung in eine industrielle Nutzung bzw. einer biopharmazeutischen oder medizintechnischen / digitalen Anwendung im Wege steht. Für diese Translation fehlen auch häufig Laborflächen mit entsprechender zeitlicher und technischer Flexibilität, aber auch solchen Ausstattungsmerkmalen, die konzeptionelle Experimente z.B. aus dem Bereich der Zell- und Gentherapie möglich machen. Eine solche teils etwas schwierige Gesamtkonstellation in einem ansonsten sehr vielversprechenden wissenschaftlichen und innovativen Ökosystem erschwert auch den ausreichenden Zugang zu einer nachhaltigen Frühphasenfinanzierung.

Munich Startup: Biotech-Startups operieren gefühlt stark in ihrer eigenen Blase. Welche Berührungspunkte sehen Sie zwischen Startups aus der Biotechnologie und anderen Branchen?

Ralf Huss: Die kommerzielle Biotechnologie war in der Vergangenheit für sich sehr erfolgreich. Das konnte man an der Zahl der Neu- und Ausgründungen bzw. des hier getätigten Investitionsvolumens ablesen. Diese Entwicklung stockte aber zuletzt, sicherlich auch bedingt bzw. verstärkt durch die Pandemie und die veränderte geopolitische Lage. Nun darf beides keine Entschuldigung sein, sondern Antrieb neue Wege zu gehen. Dies gilt insbesondere für ein sektorübergreifendes Denken und Handeln, das wir als BioM verstärkt fördern wollen. Wir haben hier in München und Bayern eine zunehmende Zahl an Neugründungen, besonders im Bereich der Digitalisierung und Datennutzung sowie in fast allen Bereichen der Deep-Tech-Industrie. Auch wenn Quantencomputer der Biomedizin in den nächsten fünf Jahren noch nicht zur Verfügung stehen, so ist eine engere Zusammenarbeit und ein gegenseitiger Nutzen zweifellos auch für den Arbeits- und Wirtschaftsstandort der Zukunft von Vorteil. Wir sehen schon jetzt spannende Ausgründungen aus der Quantenoptik bzw. Physik und Nanotechnologie im Bereich diagnostischer und therapeutischer Anwendungen.

BioM hat 250 Firmengründungen begleitet

Munich Startup: Welche Funktionen erfüllt BioM innerhalb des Münchner Innovations-Ökosystem?

Ralf Huss: Die BioM Biotech Cluster Development GmbH ist ein „One-stop-Shop“ für die medizinische Biotechnologie in München und Bayern. Als bayerische Netzwerkorganisation unterstützt BioM mit seinem weitreichenden Netzwerk beim Auf- und Ausbau von Startups und KMU, aber auch bei der Anbahnung neuer und globaler Geschäftskontakte. Speziell für angehende Firmengründer bietet BioM als „Point-of-contact“ umfassende Beratung und spezialisierte Coaching-, Training- und Mentoring-Programme. Zudem realisiert BioM seit Anfang 2023 den physischen Inkubator MAxL (Munich Accelerator for Life Sciences & Medicine) in erster Linie für Pre-Seed-Projekte und frühe Startups im Biotech- und Healthtech Bereich. Seit 2011 koordiniert BioM außerdem den vom Bayerischen Wirtschaftsministerium geförderten Vorgründungswettbewerb m4 Award im Bereich der Biomedizin mit insgesamt 2,5 Millionen Euro in jeder Ausschreibungsrunde. Gerade hiermit wird die Translation von akademischen Projekten beschleunigt. Im Verlauf der letzten 25 Jahre hat BioM insgesamt über 250 Firmengründungen auf ihrem Weg begleitet. Diese machen mit ihren Erfolgen einen großen Teil des lokalen Innovations-Ökosystems aus.

Munich Startup: Welche neuen Akzente wollen Sie als Geschäftsführer von BioM setzen?

Ralf Huss: Aus dem oben gesagten ergeben sich zweifellos die meisten Akzente bzw. thematischen Schwerpunkte meiner Tätigkeiten bei der BioM. Besonders wichtig ist mir dabei die konstruktive Kommunikation z.B. zwischen dem biomedizinischen Forscher oder klinisch-tätigen Arzt mit dem Computer- oder Software-Ingenieur und dem Datenwissenschaftler oder Quantenphysiker. Genau an diesen Schnittstellen entstehen die meisten disruptiven Innovationen und wir wollen Formate etablieren bzw. anwenden, die diese Interaktionen fördern. Ebenso wichtig ist es aber auch, den biopharmazeutischen Markt der Zukunft zu verstehen und entsprechend zielgerichtet genau diese Ressourcen nachhaltig zu nutzen. Dazu bedarf es wie in anderen Industriebereichen aber einer funktionierenden Lieferkette und krisenfesten Produktionsstandorten.

Munich Startup: Bereits seit einem Vierteljahrhundert vernetzt BioM die bayerische Biotech-Branche. Welche Innovationen aus den Bereichen Biotech und Life Sciences erwarten Sie in den kommenden 25 Jahren?

Ralf Huss: Ich bin davon überzeugt, dass wir hier in München und Bayern alle Möglichkeiten haben, um disruptive Innovationen für eine klinisch-bewährte Biomedizin der Zukunft umzusetzen. Das gilt weiterhin für neuartige Ansätze einer individuellen Risikobewertung, einer besseren Krankheitsprävention durch frühzeitigere und genauere Diagnosen und einer besseren Prädiktion des Therapieansprechens durch die Digitalisierung von Informationen, die Nutzung von Gesundheitsdaten im großen Stil zusammen mit KI-basierten klinischen Entscheidungshilfen. Gerade für Startups und deren Innovationen gilt nach wie vor der Satz von Robert Feynman: „there is plenty of room at the bottom.“