©Testbirds/Philipp Guelland

„Das können wir brutal gut“ — Interview mit Testbirds-Gründer Philipp Benkler

Testbirds prüft mithilfe einer eigenen Crowd die Software seiner Kunden. Seit unserem  letzten Besuch ist einige Zeit vergangen — und so haben wir Philipp Benkler, Gründer und Geschäftsführer von Testbirds, darum gebeten, uns auf den neuesten Stand zu bringen.

Würdet Ihr Euch noch als Startup bezeichnen?

 Es ist natürlich eine Frage der Definition, was als Startup gilt. Wir beschäftigen mittlerweile knapp hundert Leute. Vielen gängigen Definitionen zufolge sind wir damit kein Startup mehr.

Es geht aber natürlich nicht nur um die Größe, sondern auch das Flair, die Art und Weise, wie man miteinander umgeht und Dinge anders macht als die Großen.

Wenn ein Unternehmen wächst, rufen beispielsweise viele: „Ihr braucht Hierarchien, Ihr braucht ein Mittelmanagement, Ihr müsst Senior-Leute an Bord holen.“ Wir haben es anders gemacht und setzen weiterhin auf flache Hierarchien.

„Es gibt nicht die eine perfekte Lösung“

Gab es den Punkt, an dem die informelle Startup-Kommunikation zwischen Tür und Angel an eine Grenze gestoßen ist?

Kommunikation wird immer ein Problem, wenn man wächst. Wir waren drei, dann vier, fünf, sechs Leute in einem Raum. Da wusste jeder zu jedem Zeitpunkt alles. Fragen haben wir über den Tisch beantwortet.

Das erste Problem kam auf, als wir einen zweiten Raum nebenan hatten. Plötzlich wusste keiner mehr, was die Kollegen machen. Wir haben damals ein wöchentliches Frühstück eingeführt, bei dem jeder erzählt hat, was ansteht und wo er Hilfe braucht. Sehr informell, sehr unstrukturiert. Das hat wunderbar funktioniert.

Bis wir 30 Leute waren. Alle sitzen im Kreis und nur einer redet – das war langatmig und die Leute haben es gehasst. Zuerst war es die beste Lösung in Sachen Kommunikation, die wir bis dato gefunden hatten und nur ein Jahr später kompletter Käse. Wir mussten uns etwas Neues überlegen.

Heute haben wir mehrere Büros, sind international und kommunizieren über verschiedene Wege: persönlich, aber auch mithilfe von Tools wie Skype, Yammer und Confluence.

Was ich damit sagen will: Es gibt nicht die eine perfekte Lösung, sondern nur passende Lösungen für bestimmte Phasen.

Gründer und Geschäftsführer Philipp Benkler,
©Testbirds/Philipp Guelland

Was habt Ihr mit dem Geld aus Eurer letzten Finanzierungsrunde Ende 2015 gemacht?

 Wir haben uns teure Autos gekauft und führen seitdem ein schönes Leben. Nein, Spaß beiseite: Zum einen floss Geld in die Internationalisierung. Wir haben neue Büros in London, Amsterdam und Stockholm eröffnet und bestehende erweitert. Außerdem haben wir in die Technologie investiert. Dazu gehört unsere Device Cloud. Über unsere Plattform erhalten unsere Kunden Zugriff auf sämtliche Smartphones und Tablets, die es auf der Welt gibt. Das war technologisch nicht trivial und hat Geld gekostet.

Was hat es mit den Franchisenehmern in Russland und Ungarn auf sich?

 Unsere Partner haben die Lizenz, Testbirds-Services in ihrer Region exklusiv zu vermarkten, auszuführen und zu liefern. Die Firmen sind vor Ort für den Vertrieb, die Vermarktung, die Abwicklung der Projekte und die Betreuung der Crowd verantwortlich.

Könnt Ihr das nicht selbst vor Ort abbilden?

Die Firmen sind jeweils auf uns zugekommen und wir haben gesehen, dass sie gut zu uns passen. Da wir selbst auch nur limitierte Ressourcen haben, geben wir lieber guten Partnern eine Lizenz und bekommen ein Stück vom Kuchen ab.

Wollt Ihr den Weg Richtung Lizenzgeber weitergehen oder neue Märkte selbst erschließen?

Wir werden beides tun, je nach Attraktivität und Potenzial eines Markts. Die Franchisenehmer müssen allerdings aus eigenem Antrieb zu uns kommen. Es ist schwierig, in diesem Bereich aktiv jemanden zu suchen.

Investiert Ihr verstärkt in Cloud-Anwendungen, weil das Crowdtesting auf Dauer nicht trägt?

Ganz im Gegenteil: Die Crowd läuft super, ist unser Hauptgeschäftsmodell und Kern unserer DNA. Das können wir brutal gut.

Aber wir haben schon 2012 oder 2013 eine Kundenanfrage von einem Anbieter einer Payment-Lösung bekommen. Seine Technologie hat Probleme gemacht, aber nur unter bestimmten Kombinationen von verwendetem Betriebssystem, Browser- und Flashversionen. Insgesamt gab es knapp über 1000 Konfigurationen und er hatte keine Ahnung, wo es Probleme gibt und wo nicht. Unsere Crowd konnte das Problem aber nicht reproduzieren, da sich bei den meisten Nutzern Browser und Flash automatisch auf die aktuelle Version updaten. Wir haben dann einen ganz einfachen Virtual-Machine-Builder zusammengehackt und unserer Crowd zur Verfügung gestellt, damit sie die tausend Konfigurationen testen konnten.

Das Produkt ist dann zunächst etwas eingeschlafen. Nachdem sich der Markt aber weiter Richtung Testautomatisierung entwickelt hat, haben wir es in unsere Plattform integriert. Außer uns gibt es keinen, der diese beiden Lösungen in einer Plattform vereinen kann.

„Als wir angefangen haben, von der Crowd zu sprechen, haben die meisten nur ‚Krautsalat‘ verstanden“

Auf den anfänglichen Hype um die Crowd folgte Ernüchterung: Ob das eine schrumpfende Autorenbasis bei Wikipedia ist oder gescheiterte Crowdinvestment-Projekte. Gibt es weniger und dafür speziellere Anwendungen für die Crowd?

Als wir angefangen haben, von der Crowd zu sprechen, haben die meisten nur „Krautsalat“ verstanden. Da mussten wir viel Aufklärungsarbeit leisten. Jetzt ist der Hype eigentlich gerade vorbei.

Was Du erwähnst, sind im Grunde ganz unterschiedliche Themen, die man nicht vergleichen kann. Wir sind im Crowdworking-Bereich und nutzen die Schwarmintelligenz. Bei uns gibt es ganz viele Anwendungsfälle und es funktioniert hervorragend. Früher musste eine Person eine Anwendung auf zehn verschiedenen Geräten durchtesten. Das war eine stupide und langweilige Aufgabe. Wenn man zehn Leute auf jeweils einem Gerät testen lässt und die durch Gamification dabei noch Spaß haben, profitieren am Ende alle davon.

Werden selbstlernende Algorithmen — Stichwort Machine Learning und künstliche Intelligenz — das Crowd Testing einmal ablösen?

In Teilen wird das definitiv passieren. Mit fortschreitender Technologie werden Algorithmen Tests übernehmen, die wir jetzt noch manuell erledigen. Ehrlicherweise gilt das aber für viele Arten von Arbeit, beispielsweise im Bereich Industrie 4.0 oder im Baugewerbe.

Für uns bedeutet das konkret, dass die einfachen Testfälle mit Sicherheit bald mit einer höheren Automatisierung ausgeführt werden. Die komplexeren Testfälle sehe ich auf mittlere Frist nicht im Automatisierungsbereich. Und mit komplex meine ich zum Beispiel alles im IoT-Bereich. Ein Problem ist etwa, wie ich einen Connected-Car-Service realistisch virtualisieren kann, ohne ein Auto hinstellen zu müssen.

Im Bereich User-Experience und User-Feedback sind wir noch sehr viel weiter davon entfernt, Menschen ersetzen zu können. Da heißt es: Wie gefällt mir eine Anwendung? Ist der Flow gut? Wie ist die Experience? Bin ich glücklich? Bin ich genervt von einer App? Bei Algorithmen mit künstlichen Emotionen bin ich noch sehr skeptisch. Wir arbeiten beispielsweise in einem Forschungsprojekt mit der LMU an smarten Algorithmen.

Vielen Dank für das Gespräch!