Die Electrochaea-Geschäftsführung: Mich Hein und Doris Hafenbradl (v.l.)
Fotos: Electrochaea

Electrochaea: Klimafreundliches Gas aus Bioreaktoren

Energiespeicher sind eine Kernherausforderung beim Einsatz erneuerbarer Energien: Zu Stoßzeiten muss Strom und Wärme verfügbar sein, auch wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Electrochaea hat eine Technologie entwickelt, um Strom in Form von Gas zu speichern. Dazu setzen die Münchner Mikroorganismen, sogenannte Archaeen ein. Doris Hafenbradl, CTO und Geschäftsführerin von Electrochaea, erklärt im Interview den Nutzen der Technologie.

Munich Startup: Wer seid Ihr und was macht Electrochaea? Stellt Euch bitte kurz vor!

Doris Hafenbradl, Electrochaea: Wir sind Mich Hein und Doris Hafenbradl, zusammen führen wir die Geschäfte bei Electrochaea. Mich war einer der Gründer des Unternehmens. Ich bin 2015 dazugekommen und bin die Technische Leiterin. Wir haben vorher bereits mehrere Jahre in der Forschung, in Wissenschafts-Clustern und in verschiedenen Unternehmen auf Management-Ebene gearbeitet. Mich ist promovierter Pflanzenphysiologe und Analytischer Chemiker – er ist also Experte, wenn es um alle chemischen und physikalischen Vorgänge in Pflanzen geht. Außerdem hat Mich mehrfach Firmen gegründet und zum Erfolg geführt. Ich bin promovierte Mikrobiologin und spezialisiert auf Archaeen, für uns sehr wichtige Mikroorganismen. Vor meinem Einstieg bei Electrochaea habe ich für verschiedene Unternehmen Ideen vom Labor hin zum Produkt entwickelt, und Konzepte für Spin-outs erarbeitet. Gefunden haben wir uns in München, da Electrochaea aus den USA nach Dänemark und dann nach Deutschland gekommen ist. Zu der Zeit gab es hier bessere Chancen auf Finanzierung für Cleantechs wie Electrochaea. Der Grund: Es wurden Speicherlösungen für immer mehr Energie aus Wind und Sonne gesucht. Denn Strom einfach so zu speichern, geht nur kurzfristig und in kleinen Mengen. Die Archaeen hingegen können diesen Strom über einen Zwischenschritt, die Elektrolyse, in klimaneutrales Gas umwandeln, das in sehr großen Mengen und sehr lange speicherbar ist. Ein enormer Vorteil.

Munich Startup: Welches Problem löst Ihr?

Doris Hafenbradl: Electrochaea verändert die Art der Energieversorgung und löst gleich mehrere Herausforderungen. Wir können mit unsere Technologie Energie aus erneuerbaren Energiequellen, also Sonne, Wind und Wasser, speicherbar machen und das für sehr lange Zeiträume und in sehr großen Mengen – das ist vor allem dann wichtig, wenn mehr klimafreundliche Energie produziert wird, als verbraucht werden kann. Wir können also Nachfrage und Angebot ausgleichen.

Gleichzeitig nutzen wir emittiertes CO2, zum Beispiel von Fabriken und Klärwerken und verwenden es erneut – der Fachbegriff dafür lautet Carbon Capture und Utilization. Dafür setzen wir die Archaeen in Bioreaktoren ein. Ein Beispiel: Aus Windenergie wird über Elektrolyse Wasserstoff hergestellt. Diesen Wasserstoff plus das ausgestoßene CO2 aus einer Fabrik wird in klimaneutrales Gas umgewandelt – andere Begriffe für das Gas sind Grünes Gas, Grünes Methan und Synthetisches Erdgas – ein wichtiger klimaneutraler Ersatz für Erdgas. Denn fossiles Erdgas muss erst gefördert werden, erzeugt bei der Förderung oft schon Umweltschäden und durch die Verbrennung wird zusätzliches CO2 ausgestoßen. Unser Gas dagegen ist durch das CO2-Recycling sehr viel klimafreundlicher und nachhaltiger und wichtiger Bestandteil einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft

Ein weiterer Vorteil: Wir können bestehende Leitungen und Speicher aus der Erdgasinfrastruktur nutzen, indem wir die riesigen Gasnetze einfach mit unserem klimafreundlichen Gas befüllen. Das ist vor allem für die Netzbetreiber sehr interessant, da wir das Netz so deutlich grüner machen können. Auch für die Weiterverarbeitung und Herstellung von Treibstoffen lässt sich unser Gas gut nutzen.

Electrochaea: „Die Abrechnung kommt durch die Klimaerwärmung“

Munich Startup: Aber das gibt’s doch schon längst!

Doris Hafenbradl: Die Archaeen und ihre Stoffwechseleigenschaften gibt es tatsächlich seit rund 3,5 Milliarden Jahren. Viel älter geht es eigentlich nicht. Aber Spaß beiseite: Erst in den 1970er Jahren wurden die Archaeen überhaupt erst als eigenständige Lebensform erkannt und beschrieben – vorher dachte man, sie seien eine Art Ur-Bakterien. Seitdem werden verschiedene Spezies Archaeen sehr vielfältig eingesetzt, in der Medizin, in der Nanotechnologie – aber unsere Technologie ist einmalig und einzigartig und mehrfach patentiert. Unserem Team ist es gelungen, die Archaeen so zu züchten und zu selektieren, dass sie besonders robust und effizient sind. Was mal in einem Labor mit einem 5-Liter-Gefäß angefangen hat, haben wir inzwischen so weit skaliert, dass wir mit unseren Partnern bis 2025 mehr als 15 Milliarden Kubikfuß unseres Gases pro Jahr produzieren wollen.

Munich Startup: Gab es bereits einen Punkt, an dem Ihr beinahe gescheitert seid?

Doris Hafenbradl: Wir haben vor zwei oder drei Jahren mal darüber nachgedacht, ob unsere Technologie vielleicht zu früh kommt. Wenn die Kosten, die der CO2-Ausstoß verursacht, nicht ordentlich mitberechnet werden, scheinen fossile Brennstoffe, wie Erdöl, Erdgas oder Kohle auf kurze Sicht immer preiswerter zu sein. Aber die Abrechnung kommt durch die Klimaerwärmung dann für alle spürbar und wird leider sicher höher ausfallen, als wir uns das alle vorstellen können. Aber genau um das zu verhindern, sind wir ja angetreten. Solche, wie wir finden, sehr naiven und letztendlich auch unverantwortlichen Rechnungen und Vergleiche, muss man auch aushalten können.

Außerdem verbindet unsere Technologie verschiedene Energiesektoren – Verkehr und Transport, Wärme, Speicher, Strom, erneuerbare Energien – und für so eine sektorübergreifende Technologie sind oft, obwohl dringend benötigt, noch nicht die entsprechend modernen Gesetze verabschiedet. Hier gilt es, dann nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern zu schauen, wo passt es gerade, wer ist innovativ, wer denkt fünf, zehn, fünfzehn Jahre voraus – das ist einer der Gründe, warum wir zuletzt sehr stark in den USA aktiv geworden sind und mit SoCalGas, einem der größten Gasversorger in den USA und mit Baker Hughes, einem der weltweit größten Energietechnologieunternehmen zusammenarbeiten.

„München und Bayern kennen und schätzen so ziemlich alle rund um den Globus“

Munich Startup: Wo möchtet Ihr in einem Jahr stehen, wo in fünf Jahren?

Doris Hafenbradl: Wir sind gerade dabei unser internationales Geschäft weiter auszubauen und werden, wie schon gesagt, dann zusammen mit unseren Partnern bis 2025 rund 15 Milliarden Kubikfuß unseres Gases produzieren, jährlich.

Munich Startup: Wie schätzt Ihr den Startup-Standort München ein?

Doris Hafenbradl: München und Umgebung inklusive Planegg sind sehr attraktiv als Standort zum Leben und Arbeiten. Gerade wenn wir als Wachstumsunternehmen viele Stellen anbieten und besetzen wollen, ist das Umfeld ein großes Plus. Denn München und Bayern kennen und schätzen so ziemlich alle rund um den Globus.

Munich Startup: Risiko oder Sicherheit?

Doris Hafenbradl: Eine gewisse Risikobereitschaft muss sein, damit wir persönlich, aber auch als Gesellschaft und als Spezies weiterkommen. Es ist wichtig, sich aus der Comfort-Zone zu begeben, wenn man etwas neues Schaffen und Herausforderungen lösen möchte. Alles andere wäre Stagnation – und für uns Naturwissenschaftler ist das keine gute Zukunftsstrategie. Allerdings bedeutet Risikobereitschaft auch nicht, dass man blindlings irgendwo reinstolpern sollte. Vorbereitung, Strategie und Erfahrung sind ebenso wichtig.