Foto: Maximilian Sydow

Creative City München – Olaf Kranz im Interview

Seit Mitte letzten Jahres ist Olaf Kranz neuer Leiter des Kompetenzteams Kultur- und Kreativwirtschaft. In einem ausführlichen Interview wollen wir unter anderem von ihm wissen, wie seiner Meinung nach die Münchner Kultur- und Kreativwirtschaft in München aufgestellt ist und welche Visionen er für diese mitbringt.

Munich Startup: Herr Kranz, Sie sind der neue Leiter des Kompetenzteams Kultur- und Kreativwirtschaft (KuK) der Landeshauptstadt München. Bevor wir darauf zu sprechen kommen, skizzieren Sie uns doch bitte vorab Ihren beruflichen Werdegang.

Olaf Kranz: Ich bin von Haus aus Soziologe und bin zur Kultur- und Kreativwirtschaft – kurz: KuK – sozusagen über den zweiten Bildungsweg gekommen: Meine Frau, die Modedesignerin ist, und ich haben vor ca. 10 Jahren zusammen ein Modelabel gegründet. Ich fand das Business so spannend kontraintuitiv und auch die Modebranche so irritierend besonders, dass ich diese Erfahrungen nach und nach in meine Lehre und Forschung an der Universität Regensburg übernommen habe. Dort habe ich mir die internationale Diskussion zur KuK angeguckt, um das Modebusiness ebenso wie die Modebranche besser zu verstehen, aber eben im größeren Zusammenhang der KuK. Zuletzt habe ich an der Uni Regensburg ein EU-Projekt zum Zusammenhang von KuK und Stadtentwicklung in mittelgroßen Städten wissenschaftlich begleitet und beraten. Ich habe also einerseits einen praktischen Zugang zum KuK-Thema aus der Unternehmensperspektive und andererseits einen theoretisch, begrifflich und methodisch reflektierten Zugang aus der akademischen Perspektive.

Munich Startup: Für alle LeserInnen, die mit der Arbeit des KuK nicht bereits vertraut sind: Welche Aufgaben fallen in den Zuständigkeitsbereich dieser Abteilung?

Olaf Kranz: Das KuK-Team hat 2014 vom Stadtrat den Auftrag erhalten, gedeihliche Rahmenbedingungen des Wirtschaftens für die Freelancer und Unternehmen aus allen elf Teilbranchen der KuK auf kommunaler Ebene zu gestalten. Übrigens hieß der Beschluss „Ressource der Zukunft“. Elf Teilbranchen sind ein weites Feld. Entsprechend breit ist unser Profil. Es umfasst eigentlich alle Aufgaben, die auch in der allgemeinen Wirtschaftsförderung zu finden sind, nur eben spezifisch bezogen auf die KuK-Branche und ihre Besonderheiten. Wir beraten, qualifizieren, fördern, vernetzen, internationalisieren, machen die Branche sichtbar, betreiben mit dem Ruffinihaus einen KuK-Unternehmensinkubator und Serendipity Place, unterstützen bei Crowdfundingkampagnen, befördern Cross Innovation, beteiligen uns an EU-Projekten der Stadt wie zum Beispiel aktuell am New European Bauhaus Projekt NEBourhoods und unterstützen die KuK-Unternehmen bei der Raumsuche. Daneben erledigen wir noch Verwaltungsarbeit. Wir erstellen also Beschlussvorlagen für den Stadtrat, schreiben Stellungnahmen, erstellen Förderrahmen und beantworten Anfragen von interessierten BürgerInnen und Bezirksausschüssen.

Referatsübergreifendes Querschnittsteam

Munich Startup: Was genau umfasst Ihre Tätigkeit als Leiter des Kompetenzteams?

Olaf Kranz: Vor diesem komplexen Panorama an diversen Handlungsfeldern meines Teams ist es meine vornehmste Aufgabe, zusammen mit dem Team eine strategische Richtung zu erarbeiten und zu halten. Daneben gibt es eine große Bandbreite an operativen und tagesaktuellen Themen und Entscheidungen. Zusätzlich zu dem soeben Genannten kommen noch die Aufgaben der Mitarbeiter- und Teamentwicklung und der Abstimmung mit den Referaten, deren MitarbeiterInnen Teil unserer Matrixstruktur sind. Mein Team, das KT KuK, hat die Besonderheit, dass es ein referatsübergreifendes Querschnittsteam ist, um die Synergien unseres Themas zu heben. Ich stimme mich also recht häufig mit dem Referat für Arbeit und Wirtschaft, dem Kulturreferat und dem Kommunalreferat ab. Daneben müssen Reden geschrieben, Einschätzungen verfasst, Kontakt mit den Ministerien des Freistaats und mit dem Bund ebenso gehalten werden wie mit dem bayerischen, dem bundesdeutschen und dem europäischen Netzwerk der KuK-Kommunalförderer. Schließlich kommt die Repräsentation des Teams und der Stadt München bei Events noch hinzu sowie die Vernetzung mit internationalen Akteuren.

Munich Startup: Und welche Zielgruppe steht im Fokus?

Olaf Kranz: Die wichtigste Zielgruppe ist die Stadtgesellschaft insgesamt. Die KuK erfüllt wichtige Funktionen im Gefüge einer Stadt. Sie trägt mit ihrem Anteil an der Kulturproduktion zur Attraktivität der Stadt bei, macht sie lebenswert, definiert die Stadtidentität mit und hilft bei der Anpassung an und bei der Bewältigung von gesellschaftlichen Transformationen auf kommunaler Ebene.

Im engeren Sinn sind wir zwei Zielgruppen rechenschaftspflichtig. Zum einen natürlich dem Stadtrat, von dem wir unseren Auftrag erhalten. Zum anderen unserer Klientel, der KuK, deren wirtschaftliche Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene wir verbessern helfen. Bei der Betrachtung der KuK-Branche hat es sich eingebürgert, zwischen dem schöpferischen Akt am Anfang der Wertschöpfungskette und der Verwertung der Kreativität bis zum konsumtiven Akt zu unterscheiden. In jeder unserer elf Teilbranchen finden wir diese Unterscheidung, jede Branche ist intern entlang der Wertschöpfungsketten differenziert und verflochten. Da jede Wertschöpfung in der KuK letztlich auf dem schöpferischen Akt beruht, liegt hier unser größtes Augenmerk. Das war auch in der Geschichte des KT KuK bis heute der Schwerpunkt. Neu ist, dass wir zukünftig im Rahmen unserer Kapazitäten auch stärker eine Wertschöpfungskettenperspektive einnehmen und auch die Unternehmen betrachten wollen, die näher am Markt operieren und die Wert schöpfen, indem sie die ästhetische Kreativität im schöpferischen Akt mit den Marktanforderungen zu vermitteln helfen.

München an zweiter Stelle, noch vor London und Berlin

Munich Startup: Welche Visionen bringen Sie für die KuK in München mit?

Olaf Kranz: Ich habe mehrere Zukunftsbilder für München und dessen KuK im Kopf. Erst einmal fände ich es toll, wenn Münchens Image als Creative City eine größere Strahlkraft hätte und damit die tatsächliche Stärke der hier ansässigen KuK widerspiegeln würde. Es ist nämlich immer noch zu wenig bekannt, dass München, gemessen in relativen Begriffen und Zahlen, dem „Cultural and Creative City Monitor der Europäischen Kommission“ zufolge bei den europäischen Millionenstädten im Ranking gleich nach Paris auf Platz zwei noch vor London und weit vor Berlin liegt. Eine größere Strahlkraft Münchens kann man zum Beispiel dadurch erreichen, dass wir mittels physischer Hubstrukturen für einzelne KuK-Cluster die ästhetische Kreativität in dieser Stadt sichtbar machen wie es z.B. Paris mit seinem Fashion Hub La Caserne oder Berlin mit dem Games Hub bereits umsetzen. Ein anderes Instrument für eine größere Visibilität von Münchens KuK sind Events oder Festivals mit Strahlkraft, die die Stärken Münchens weithin bekannt machen.

Sichtbarmachen, was schon ist, ist aber noch keine Vision. Diese gewinne ich vielmehr aus der zukünftigen erfolgreichen Meisterung gegenwärtiger Herausforderungen.

Die Vision ist ein München, in dem sich immer wieder neue Firmen in allen Teilmärkten der KuK-Branche gründen oder ansiedeln, weil die Stadt der Boheme genug leistbare Experimentierräume anbietet, um aus subkulturellen und jugendkulturellen ebenso wie aus hochkulturellen Entwicklungen heraus spannende neue ästhetische Positionen zu entwickeln, die auch ihren Markt finden, also auf ein dem ästhetisch Neuen gegenüber aufgeschlossenes und experimentierfreudiges Publikum treffen. Auf diesem Humus kann sich dann die derzeit starke Stellung Münchens in der europäischen KuK überhaupt erst reproduzieren wie auch noch weiter verstärken. Wir müssen dazu im Idealfall einerseits allen sozialen Gruppen der Stadtgesellschaft die gleiche Chance auf Selbstverwirklichung im ästhetischen Ausdruck sowie auf die Übersetzung dieser ästhetischen Positionen in Geschäftsmodelle geben. Andererseits sollte sich die liberale Identität der Stadt noch stärker für Sub- und Jugendkulturen öffnen.

Auf dem Weg zu dieser Vision müssen wir Lösungen für die Herausforderung der sehr hohen Lebenshaltungs- und Mietkosten finden. Es droht die Gefahr, dass die Kreativen, die mit der Hervorbringung von ästhetischer Neuheit befassten sind, aus der Stadt verdrängt werden, weil es kaum noch leistbare Flächen innerhalb der Stadtgrenzen für diese gibt. Ich habe schon viele Anekdoten gehört, in denen die Angehörigen der jungen Generation der Boheme die Stadt verlassen, um in günstigere Städte zu gehen. Das hinter diesen Anekdoten liegende Problem ist aber ein generelles: Die wirtschaftliche Ertragskraft von vielen Geschäftsmodellen in der KuK benötigt in der Regel eine relativ lange Inkubationszeit und bleibt nach dem break even dann aber oft auch weit unterhalb der Erlöse und Renditen von denjenigen Unternehmen, die von ihrer technischen und technologischen Kreativität leben und die München immer stärker prägen.

„Migrantische KuK-Unternehmen stärker in den Fokus nehmen“

Mich beschäftigt auch die Frage, wie man die Gründungen migrantischer Unternehmen in der KuK befördern kann. München ist einerseits eine bedeutende Ankunftsstadt für Migration, andererseits werden in der migrantischen Ökonomie überproportional viele Unternehmen in der KuK-Branche gegründet. Hier besteht auch ein großes Potenzial, durch die Fusion mehrerer kultureller Einflüsse interessante neue ästhetische Perspektiven zu entwickeln. Also auch die Dimension migrantischer KuK-Unternehmen stärker in den Fokus zu nehmen, ist ein wichtiges Ziel.

KuK-Unternehmen benötigen besondere Erfolgsbedingungen. Ein wichtiges Projekt im KT KuK ist, das Ruffinihaus Creative Hub zu einem Leuchtturmprojekt weiterzuentwickeln. Hier experimentieren wir einerseits damit, Rahmenbedingungen für die KuK-Unternehmensentwicklung zu schaffen, die auf die ganz besonderen Entwicklungs- und Wachstumsbedingungen der KuK-Unternehmen einzahlen. Erfolgreiche Geschäftsmodelle beruhen hier in der Regel auf einer wiedererkennbaren ästhetischen Handschrift und nicht auf Patenten. Eine ästhetische Handschrift wird nun nur in einem sehr langwierigen Prozess errungen. Andererseits wollen wir ein besseres Verständnis für die besonderen Erfolgsmetriken in der KuK-Branche entwickeln. Wenn wir auf KuK-Unternehmen mit den Erfolgserwartungen gucken, die in der Tech-Startup-Branche gebildet wurden, können wir diese Unternehmen nur düpieren: schnelles Wachstum, schnelle Skalierung, schnelle Finanzierungsrunden, schneller Exit etc. In der KuK-Branche geht es im Schnitt langsamer und kleinteiliger zu. Wenn bei uns im Ruffinihaus sich ein Unternehmen von einer GbR in eine GmbH wandelt, um das Wachstum auf zehn Mitarbeitende handeln zu können, dann ist das meines Erachtens ein sehr großer und wertvoller unternehmerischer Erfolg.

Ein langfristiges Ziel für mein Team sehe ich darin, dass wir die Schnittstellen und Vernetzung zwischen KuK und der technisch geprägten Startup-Szene vergrößern und die noch bestehenden Grenzen zwischen den beiden Ökosystemen für Kommunikation und Inspiration durchlässiger machen, um die erhofften positiven Effekte wie cross-innovation und interdisziplinäre Kooperation tatsächlich stärker als bislang Wirklichkeit werden zu lassen. Das gleiche Ziel – Schnittstellen, Vernetzung, durchlässigere Grenzen schaffen – lässt sich auch für die Beziehung der KuK-Branche zu den eher traditionellen Unternehmen in der Stadt formulieren.

Munich Startup: Wie ist Ihrer Meinung nach die Münchner Kultur- und Kreativwirtschaft aufgestellt? In welchen Bereichen steht sie bereits gut da und in welchen ist Verbesserungsbedarf notwendig?

Olaf Kranz: Die Zahlen für die KuK in München sind leider schon etwas älter. Der letzte KuK-Bericht auf Stadtebene diskutiert Zahlen aus 2016. Hier wurde das Bild aus den bereits erwähnten Cultural and Creative City Reports der EU-Kommission von 2017 und 2019 vorbereitet. Die KuK in München ist im nationalen wie im internationalen Vergleich in relativen Zahlen sehr weit vorn: leistungsstarke, relativ große Firmen mit einer größeren Wertschöpfung und mehr Umsatz pro Mitarbeitenden als im Bundesdurchschnitt oder auch im Vergleich mit europäischen Metropolregionen wie Mailand oder Amsterdam. In allen elf KuK-Teilmärkten gibt es große Substanz. Hervorzuheben als überproportional stark sind vielleicht das dem Rundfunkmarkt zugehörige Medien-Cluster, die Verlagsbranche, der Journalismus, Werbung und Marketing, aber auch der Kunstmarkt. Beispielsweise gibt es in Europa zwar die meisten Verlage in Berlin, München ist aber Europas stärkster Verlagsstandort gemessen in Umsatz-, Mitarbeitenden- und Wertschöpfungszahlen.

Momentan befinden sich einige KuK-Unternehmen aber in einer schwierigen Phase. Gleichwohl es auch unter KuK-Unternehmen solche gibt, die auch unter Corona-Bedingungen gut performt haben, ist es ein offenes Geheimnis, dass die KuK-Branche durch Corona besonders stark herausgefordert wurde. Mehr noch, wir sind in einem ziemlich starken Sturm: Viele Unternehmen haben in Corona ihre Rücklagen aufgebraucht oder gar Schulden gemacht, inzwischen sind die Corona-Hilfen ausgelaufen, manche Unternehmen müssen Coronahilfen zurückzahlen, als Folge von Corona steckt viel Inflation in den Lieferketten, dazu kommt die Energiepreiskrise, der Krieg in der Ukraine, die Unsicherheit und die Kaufzurückhaltung, die insbesondere Kulturgüter betrifft. Die Unternehmen klagen über Zuschauerschwund und Umsatzrückgänge. Ich vermute, dass es unter diesen Bedingungen in nahezu allen Teilmärkten einen shake-out geben wird, leider.

Munich Startup: Welche Rolle spielen Startups?

Olaf Kranz: Es kommt darauf an, was man unter dem Begriff versteht. Unternehmensgründungen finden in unserer Branche, gerade im Bereich des sogenannten schöpferischen Akts, oft in Form von freiberuflicher Selbständigkeit statt. Es geht hier oft auch um individuelle Selbstverwirklichung in Form der sukzessiven Erarbeitung einer wiedererkennbaren neuen ästhetischen Handschrift. Damit stehen die Kreativen in unserer Branche vor dem Widerspruch, sich einerseits im Bereich der Zweckfreiheit zu befinden, um Immanuel Kants romantischen Kunstbegriff zu zitieren, und andererseits die hier gefundenen ästhetischen Formen wirtschaftlich zu verwerten, also für zunächst zweckfreie ästhetische Formen Kaufbereitschaften zu finden. Unternehmensgründungen im KuK-Bereich können meines Erachtens nicht mit Schumpeter als „schöpferische Zerstörung“ verstanden werden, ein Verständnis, das aber demgegenüber sehr stark das herkömmliche Startup-Bild geprägt hat, oft in Zusammenhang mit der Vokabel „Disruption“, und das vor allem in den technisch und technologisch tickenden Wirtschaftsbereichen dominiert. Eine ästhetische Handschrift zerstört nicht, sondern fügt vor dem Hintergrund der kulturellen Tradition dem Kanon an menschlichen ästhetischen Ausdrucksformen eine neue Möglichkeit hinzu. Wir haben im Bereich der Kulturproduktion entsprechend auch unterschiedliche Finanzierungsmodelle wie z.b. Mäzene, öffentlich-rechtliche Finanzierung und eben erwerbswirtschaftliche Modelle, um eine zunächst „brotlose Kunst“ zu monetarisieren.

Startups im Sinn schneller Skalierung etc. gibt es aber in unserer Branche natürlich auch, die ja Phänomene wie Hypes und trendbasiertes Wachstum exemplarisch hervorgebracht und als Modell definiert hat. Solche Träume schnellen Erfolgs sind auch nicht selten der Grund für Unternehmensgründungen auch in unserer Branche. Die leider tragische Pointe ist, dass diese hype-basierten Wachstumsvorstellungen von KuK-Unternehmen auch in unserer Branche oft als das Standardmodell die Erwartungen an Erfolg und Wachstum prägt, während Hypes aber eher die Ausnahme und die langsame, mühsame und von Umwegen gekennzeichnete Entwicklung einer wiedererkennbaren ästhetischen Handschrift dagegen eher die Regel für Unternehmenserfolge in der KuK-Branche ist. Branchenkenner neigen entsprechend dazu, den Novizen mitzuteilen, dass man einen ‚langen Atem‘ benötigt. Damit meinen sie Passion, also intrinsische Motivation, wirtschaftliche Kreativität im Finden eines eigenen Weges zum nicht nur ästhetischen, sondern auch unternehmerischen Erfolg, und Durchhaltefähigkeit angesichts von Rückschlägen.

Munich Startup: Welche Bedeutung hat die Kreativwirtschaft insgesamt für München? Und welcher Teilbereich ist aktuell am dynamischsten?

Olaf Kranz: Das Europäische Parlament hat in seiner letzten Legislaturperiode die KuK als eigene Wirtschaftsbranche anerkannt. Auf dieser Grundlage hat die aktuelle Europäische Kommission der KuK eine strategische Rolle bei der Bewältigung und Gestaltung der doppelten gesellschaftlichen Transformation bestehend aus digital und green transformation zuerkannt. Denken Sie an die New European Bauhaus Initiative, die ja nicht zufällig den Namen einer Designschule – das Bauhaus – trägt.

Momentan experimentiert mein Team gerade kräftig mit beim New European Bauhaus Pilotprojekt NEBourhoods Neuperlach. Es geht darum, wie man das alte Neubauviertel Neuperlach digital und ökologisch neu denken und gestalten kann. Das KT KuK ist dabei für die Cross-Innovation-Komponente zuständig, also dafür, einerseits kreative Problemlösungsmethoden aus dem KuK-Bereich im Bereich der klassischen Stadtentwicklung anzuwenden und andererseits kreativen Input durch KuK-Professionelle in den Prozess einzubringen, um auf diese Weise für mehr Agilität und größere Innovationshöhe der Lösungen zu sorgen und auch dafür zu sorgen, dass die gefundenen Lösungen näher an den BewohnerInnen sind und eine größere Legitimität und Akzeptanz haben.

Insofern ist vielleicht der Bereich der Cross Innovation und Co-Creation am dynamischsten zu denken: Wie kriegen wir auf kommunaler Ebene die Kreativmethoden und die Kreativität aus der KuK-Branche am besten in die Transformationsprozesse der Stadtgesellschaft inkludiert?

Daneben ist die KuK, wie zuvor schon erwähnt, enorm wichtig für die Attraktivität der Stadt. Wir sprechen oft von der magnetischen Anziehungskraft kreativer Städte auf die Kreativen. Was damit im Kern gemeint ist, ist die Anwesenheit einer virilen Boheme in kritischer Masse, also diejenige Fraktion der kreativen Klasse, die mit ihrer Kreativität Kulturgüter aller Couleur produzieren. Wo es ein Cluster von diesen Leuten mit großer Strahlkraft gibt, dorthin zieht es auch die anderen Kreativen aus den wissensintensiven Professionen und Berufen mit akademischer Ausbildung. Ich neige dazu, in diesem Zusammenhang vom ‚cultural-cognitive capitalism‘ zu sprechen, um mir präsent zu halten, dass es beim derzeitigen wirtschaftlichen Strukturwandel nicht einseitig um die pure Zunahme von Wissensintensität geht, sondern auch um eine fortschreitende Kulturalisierung der Wirtschaft.

„Fläche, Fläche, Fläche, und immer an die Kreativen denken“

Munich Startup: Knapper und vor allem sehr teurer Arbeitsraum ist in München ein ständiges Thema. Wie unterstützt Ihr Team hier Kreativschaffende?

Olaf Kranz: Genau, Fläche, Fläche, Fläche, und immer an die Kreativen denken. Die enorm hohe Wirtschafts- und Ertragskraft vieler Firmen in München treiben die Miet- und Lebenshaltungskosten im, räumlich gesehen, vergleichsweise kleinen München immer weiter nach oben. Gerade die noch nicht etablierten AkteurInnen aus der KuK, Freelancer, kleine Unternehmen spüren den Kostendruck immer stärker, Experimentierräume und Nischen für frische, junge ästhetische Value Propositions, also für neue wiedererkennbare ästhetische Handschriften, werden immer weniger und enger. Wir reagieren auf diese Lage, indem wir nach Möglichkeiten suchen, für die Kreativen dauerhaft günstige Arbeits- und Präsentationsräume zu schaffen. Gerade haben wir fünf Atelierräume in Neuperlach am Hans-Seidel-Platz in der Ausschreibung, die wir zusammen mit der Gewofag in einem Pilotprojekt entwickelt haben und die wir dauerhaft für niedrigere als marktübliche Mieten vermieten können. Wir versuchen also, pilotmäßig Gentrifizierungsbremsen zu schaffen. Ein Dauerbrenner sind natürlich auch Zwischennutzungen.

Munich Startup: Sind Ihrer Meinung nach Zwischennutzungen eine Lösung für das Problem?

Olaf Kranz: Zwischennutzungen sind ein Instrument zur Linderung der Raumnot und der hohen Raumkosten für Kreative in München mit einem spezifischen Profil an Vor-, aber eben auch Nachteilen. Wir versuchen unsere Zwischennutzungen so zu gestalten, dass sie zu Experimentierräumen für die Kreativen werden, wo diese zum Beispiel in einer Innenstadtlage einmal ihre Geschäftsmodelle ausprobieren und ihre Produkte und Dienstleistungen unter den Bedingungen hoher Sichtbarkeit und eines hohen traffics eines zahlungsfähigen Publikums ausprobieren können, um zu schauen, ob sie sich danach womöglich dauerhaft höhere Mieten in der Innenstadt leisten können. Also immer dann, wenn wir das Gefühl haben, dass wir mit Zwischennutzungen einen Experimentierraum erschließen, der auch unserer Klientel nützt bei überschaubaren Risiken, begrüßen und entwickeln wir Zwischennutzungen.

Munich Startup: Was ist Ihre Vision für das Kreativquartier, das gerade im Umbruch ist: Hier soll ein urbanes Stadtquartier entstehen, in dem Wohnen und Arbeiten mit Kunst, Kultur und Wissen verknüpft wird. Was ist Ihre Vision für diese Quartier, das ja auch sehr wichtig für die Münchner Kreativszene war und ist?

Olaf Kranz: Das Kreativquartier ist ein räumlich zusammenhängendes innenstadtnahes Gebiet zwischen Lothstraße und Leonrodplatz. Auf dem Gebiet finden wir diverse Nutzungen wie Wohnen, Arbeiten, Forschen, Kunst, Kultur, Gewerbe. In dieser räumlichen Nähe der Nutzungen zueinander könnte nun das Zusammen und Ineinander von technischer und ästhetischer Kreativität symbolisiert werden, von der ich vorhin schon sprach. Im Kreativlabor, einem der vier Felder des Kreativquartiers, könnte zudem auch ein kultureller Nutzungsmix zwischen kulturgeförderter freier Kunst- und Kulturszene einerseits und der erwerbswirtschaftlich arbeitenden KuK andererseits symbolisiert werden, ein kultureller Nutzungsmix, bei dem die gedeihliche Kooperation zwischen den AkteurInnen im Vordergrund steht. Mit alldem könnte in der Summe im Kreativquartier die Kraft von cross-innovation und co-creation symbolisiert werden, also die Prinzipien von wechselseitiger Inspiration und von Serendipität. Ich formuliere absichtlich im Konjunktiv: könnte. Meinem Eindruck nach stellen sich diese Effekte, also Strahlkraft, cross innovation, serendipity places, nicht von allein ein, sondern erfordern eine kluge Kontextsteuerung seitens der Stadt.

Im Kreativquartier im Allgemeinen und im Kreativlabor im Besonderen liegt also das Potenzial, einen Ort des interdisziplinären Experiments und der Serendipität mit großer internationaler Strahlkraft und großem Buzz-Faktor zu entwickeln. An diesem Ort kann man auch mit spannenden Fragen der Stadtentwicklung experimentieren: Wie kann ein Stadtviertel in Layout und Architektur aussehen, das cross-innovation in interdisziplinärer Zusammenarbeit, Serendipität, Experimentierräume und Nutzungsmix gleichermaßen funktional ermöglicht wie symbolisch in der Architektur- und der Stadtgestaltung zum Ausdruck bringt?

Munich Startup: An welchem Ort in München oder auf welcher Münchner Veranstaltung fühlen Sie sich besonders von Kreativität umgeben?

Olaf Kranz: Ich bin relativ oft in München unterwegs. Privat war ich auf Konzerten z.B. in der Tonhalle und der Isarphilharmonie, im Theater, in Programmkinos und in Clubs wie dem Harry Klein. Jobmäßig habe ich viele Veranstaltungen und Events besucht, mit denen wir kooperieren oder die wir fördern, wie z.B. die Medientage, Eyes and Ears of Europe, die Popkonferenz ‚Listen to Munich‘, die Buchtage, das Jubiläum vom Backstage, und auch Eröffnungen von Zwischennutzungen besucht, wie z.B. den Modeladen von Tom Rebl im Rathaus, die Munich Graffiti Library im Stadtmuseum, den Schmuck-Infopoint zu den Münchner Schmucktagen, den XR-Hub in der Burgstraße.

Überall habe ich mich sehr wohl gefühlt, obwohl die Veranstaltungen alle ganz unterschiedlich waren, und zugleich habe ich überall die Kreativität gespürt und die positiven Vibes, die unsere Branche so sehr prägen. Am konzentriertesten, so denke ich, ist die Kreativität der Stadt derzeit im Ruffinihaus Creative Hub zu spüren, unserem Unternehmensinkubator für die KuK.