Investor Ronald Paul: „Der Einsatz von KI allein ist keine Innovation“

Wie wird ein Startup erfolgreich? Wie sieht ein gutes Ökosystem aus? Und welche Trends beschäftigen GründerInnen und InvestorInnen? Wir haben mit dem erfolgreichen Gründer und Investor Ronald Paul über die Startup-Szene in München und Deutschland gesprochen.

Munich Startup: Du warst selbst Gründer, bevor Du Muzungu Capital ins Leben gerufen hast und zum Investor wurdest. Was hat Dich zu diesem Schritt motiviert?

Ronald Paul: Genau, ich sage gerne nach dem Exit ist vor dem Exit, nur habe ich nach meinem ersten großen Exit die Seiten gewechselt. Ich bin zum Investor geworden, nachdem ich selbst die Performance Agentur Quisma gegründet, erfolgreich international aufgebaut und an die GroupM/WPP verkauft habe. Seitdem verstehe ich mich als Gründer für Gründer.

Ich liebe es, Innovationen voranzutreiben und sehe in den Besonderheiten und Anforderungen der unterschiedlichen Bereiche, in die wir investieren, eine spannende Herausforderung. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, ein Unternehmen zu gründen und was für eine emotionale Achterbahnfahrt das ist. Investoren, die selbst gegründet haben, können wertvolle Partner sein. Sie haben ein gutes Netzwerk, kennen viele erfolgreiche Gründer und haben wichtige Kontakte in der Startup-Szene. Sie sind vielmehr Mentoren als reine Geldgeber.

Munich Startup: Sind ehemalige Startup-GründerInnen die besseren InvestorInnen?

Ronald Paul: Ob ehemalige Gründer bessere Investoren sind, darüber lässt sich streiten. Sicher ist aber, dass ehemalige Gründer ein sehr gutes Verständnis dafür haben, wo ein Startup steht und was es benötigt. Sie haben selbst Fehler gemacht und können andere Gründer vor Stolpersteinen bewahren. Sie wissen aber auch, was funktioniert und können praxisorientierte Ratschläge geben. Als Investor bin ich ein Sparringspartner für Gründer. Ich stelle nicht nur Startkapital bereit, sondern unterstütze auch mit Fachwissen und dem Zugang zu einem globalen Netzwerk von Partnern und Experten. Gerade für Unternehmen in der Frühphase sind Beratung und Verbindungen mindestens genauso wichtig wie die gesicherte Finanzierung.

„Für mich ist das Team hinter einem Startup das Wichtigste“

Ich investiere nur dann, wenn ich überzeugt bin, dem Startup über die finanzielle Investition hinaus helfen zu können. Dabei muss ich inhaltlich und menschlich immer nah an meinen Investitionen sein, um eine realistische Einschätzung des Status quo und des Zukunftspotenzials zu ermöglichen.

Munich Startup: Wie überzeugen Dich Startups von Ihren Ideen?

Ronald Paul: Für mich ist das Team hinter einem Startup das Wichtigste, gefolgt von der Vision, der Marktfähigkeit der Idee und ob ein tatsächliches Problem gelöst wird. Ich achte darauf, dass das Gründerteam die richtige Balance aus technischen und wirtschaftlichen Kenntnissen mitbringt und authentisch ist. Sobald das Gründerteam mich überzeugt hat, analysiere ich den Businessplan des Unternehmens und achte darauf, dass von Anfang an ein überzeugender Monetarisierungsansatz erkennbar ist. Dabei müssen wichtige Meilensteine, Ziele, Break-even-Analyse sowie der Umgang mit Risiken und der Nachhaltigkeit des Unternehmens von vornherein definiert sein.

Munich Startup: Um erfolgreich zu sein, muss ein Startup…

Ronald Paul: … wie eine eingeschworene Küchencrew funktionieren. Ein erfolgreiches Geschäftsmodell ist wie ein gutes Essen: Es braucht die richtigen Zutaten und eine ausgewogene Mischung. Eine innovative Idee bildet die Basis, technisches Know-how und solides Wirtschaften sind die Gewürze, die dem Gericht den letzten Schliff verleihen. Vernachlässigt man eine Zutat oder stellt eine andere zu sehr in den Mittelpunkt, wird es so schiefgehen wie eine versalzene Suppe oder ein ungarer Braten. Ein gutes Gründerteam ist wie eine erfahrene Sterneküche. Alle kennen die richtigen Zutaten, wissen, wie man sie perfekt kombiniert und kennen ihre Aufgaben genau. Mit einer klugen Monetarisierungsstrategie und einem guten Risikomanagement wird das Startup zu einem kulinarischen Meisterwerk, das den Markt begeistern wird.

Ronald Paul lobt München für „technische Orientierung und solides Auftreten“

Munich Startup: Wie bewertest Du das Münchner Startup-Ökosystem?

Ronald Paul: Wir haben Berlin, meine Geburtsstadt, im letzten Jahr als Gründerhauptstadt abgelöst. Laut Startup-Verband wurden in München im letzten Jahr 14,5 Startups pro 100.000 Einwohner gegründet, in Berlin fiel der Wert auf 13,6. Das spricht erstmal für München als Standort. Trotzdem müssen wir uns nichts vormachen: In Berlin fließt noch immer das meiste Geld in das Ökosystem. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass München ganz andere Gründer anzieht als Berlin und damit ein Alleinstellungsmerkmal hat. Das hat viel mit der Stadt selbst und der Infrastruktur hier vor Ort zu tun. Die Wege sind kurz und der Talent-Pool groß.

Munich Startup: Unterscheidet sich München von anderen Startup-Städten?

Ronald Paul: München unterscheidet sich von anderen Startup-Städten durch eine stärkere technische Orientierung und solides Auftreten. Die Technische Universität München und die Ludwig-Maximilians-Universität sind weltweit in fast allen relevanten Uni-Rankings unter den Top 100 oder sogar Top 50. Beide Hochschulen bringen hochqualifizierte Berufseinsteiger und innovative Ideen hervor und tragen zum Wachstum der Stadt bei.

Dazu kommt, dass der Freistaat Bayern offensiv für den unbürokratischen Zuzug von Fachkräften wirbt. Judith Gerlach, Bayerns Staatsministerin für Digitales, hat, nachdem die Stellenabbauten bei Microsoft, Google und Twitter bekannt wurden, Tech-Talente sogar offensiv bei LinkedIn dazu eingeladen, nach Bayern zu kommen und auf die Zentrale Stelle für die Einwanderung von Fachkräften hingewiesen. Dass das nicht nur ein Versprechen ist, erlebe ich bereits in Startups, mit denen ich zusammenarbeite. Wie schnell geeignete Fachkräfte aus nicht-EU-Ländern eine Arbeitserlaubnis erhalten, ist sagenhaft.

„Innovationen Hand in Hand entwickeln“

Dass München ohnehin eine unheimlich lebenswerte Stadt ist, muss ich hier keinem erzählen. Die Work-Life-Balance stimmt, die Lebenshaltungskosten sind in Berlin auch nicht mehr viel niedriger und alles ist viel dichter beisammen. Das zeigt sich auch in der Dichte der Startup-Mitarbeiter. In München arbeiten ca. 41.000 Menschen in Startups (Quelle: Dealroom + Munich Startup: Munich Startup Employment 2023) in Berlin sind es rund 70.000 (Quelle: Berlin. Startup Report). Wenn wir die aktuellen Einwohnerzahlen der Städte vergleichen, kommen wir pro 100.000 Einwohnern in München auf ca. 2.500 Startup-Mitarbeiter, und in Berlin auf ca. 1.800. Apropos Dichte: Die Nähe zu den großen etablierteren Unternehmen in München und Umgebung schafft ein Ökosystem, in dem Startups und etablierte Großunternehmen Innovationen Hand in Hand entwickeln können.

Wie ein perfektes Ökosystem aussieht

Munich Startup: Wenn Du ein perfektes Ökosystem für Startups schaffen könntest, was würdest Du in den Mittelpunkt stellen?

Ronald Paul: Die drei wichtigsten Punkte sind aus meiner Sicht Talente, Forschung und Anschluss an bestehende Industrien. Eine hervorragende Ausbildung, eine hohe Dichte an Talenten und ein einfacher Zuzug von Fachkräften sind unerlässlich. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Unternehmen kann dabei helfen, Talente zu identifizieren und zu fördern. Die Zusammenarbeit von Hochschulen und Unternehmen ist auch in Bezug auf Forschung und Entwicklung unerlässlich, um Innovationen voranzutreiben und sicherzustellen, dass Startups Zugang zu den neuesten Technologien und Erkenntnissen haben. Forschungsbereiche sollten sich idealerweise mit den bestehenden Industrien decken oder diese ergänzen.

Grundsätzlich sollte ein Ökosystem für Startups in der Nähe von bestehenden Industrien sein, um die Zusammenarbeit und die Verbindung zwischen Startups und etablierten Unternehmen zu erleichtern. Zu guter Letzt braucht es ein solides Investoren-Netzwerk und eine Politik, die Forschung und Unternehmertum fördert, ohne Hürden in den Weg zu stellen. Investoren, die sich dem Standort verbunden fühlen und Startups beim Wachstum unterstützen, ermöglichen den Zugang zu Kapital und Expertise.Die enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Unternehmen und Hochschulen kann dabei helfen, die Bedürfnisse der Startups besser zu verstehen und gezielte Unterstützung zu bieten.

Ein Beispiel: In München gibt es mit dem WERK1 eines der größten Gründerzentren Europas, das durch eine enge Zusammenarbeit mit etablierten Unternehmen, Hochschulen und anderen Institutionen den Austausch und die Vernetzung fördert. Solche Zentren können wichtige Knotenpunkte im Ökosystem sein und so den Gründern den Anschluss an die Szene ermöglichen. Insgesamt geht es darum, eine Umgebung zu schaffen, in der Startups sich auf das Wesentliche konzentrieren können – nämlich ihre innovativen Ideen voranzutreiben.

Ronald Paul: „Künstliche Intelligenz ist definitiv ein Game Changer“

Munich Startup: Künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde – wie bewertest Du das Thema? Hype oder Game Changer?

Ronald Paul: Künstliche Intelligenz ist definitiv ein Game Changer, aber nur, wenn wir sie zielführend einsetzen. Nicht jedes Produkt wird mit KI besser. Man könnte meinen, dass Künstliche Intelligenz die Lösung für alle denkbaren Aufgaben ist und langfristig in allen Lebensbereichen unverzichtbar sein wird. Der Einsatz von KI allein ist aber keine Innovation. Echte Innovation nutzt KI, um Lösungen zu entwickeln, die vorher nicht möglich waren. Genau wie in anderen Bereichen, zuletzt im Crypto- und Web 3.0- Ökosystem, werden einige tatsächlich innovative Ansätze bestehen und andere schnell wieder verschwinden. Aktuell gilt aber noch, was Niko Bonatsos von General Catalyst zuletzt sagte: „KI ist der einzige Bereich, in dem die Schwerkraft derzeit nicht gilt.“

Munich Startup: Ist das Münchner Ökosystem aus Deiner Sicht hierauf gut vorbereitet?

Ronald Paul: Wir tun uns in Deutschland mit neuen Technologien generell immer etwas schwer. Langwierige und bürokratische Prüfungen und Machbarkeitsstudien nehmen uns hierzulande gelegentlich schon relativ früh den Wind aus den Segeln. Angesichts dessen ist München aber sehr gut aufgestellt. Forschung ist im Bereich AI das A und O. Mit dem Munich Center for Machine Learning, einer Kooperation von LMU und TU München, und dem Munich Data Science Institute der TU München sind wir gut in diesem Bereich aber sehr gut positioniert. Das Land Bayern und die Bundespolitik unterstützen die Projekte, was mich vorsichtig positiv stimmt. Dass Nvidia für seine KI-basierte Text-to-Video-Lösung auf das in Kooperation von LMU und dem englischen Startup Stability AI entwickelte Produkt Stable Diffusion aufbaut und Münchner Forscher weiter an dem Projekt beteiligt sind, zeigt, wie konkurrenzfähig München in diesem Feld ist.

Abhängigkeiten durch nachhaltige Lösungen abbauen

Munich Startup: Siehst Du neben KI noch weitere spannende Trends in der Startup-Landschaft?

Ronald Paul: Nachhaltigkeit wird in der Startup-Landschaft immer wichtiger, sowohl ökologisch als auch unternehmerisch. Die aktuelle Wirtschaftskrise hat gezeigt, wie abhängig wir von externen Faktoren sind und dass wir diese Abhängigkeit durch nachhaltige Lösungen abbauen müssen. Hierbei geht es nicht um grüne Labels oder halbherzige Marketingstrategien, sondern darum, dass nachhaltiges Wirtschaften Teil des Businessmodells sein muss. Ein Beispiel hierfür ist die Produktion von Fleisch aus Zellkulturen, die zwar aktuell noch teuer ist, aber auf lange Sicht sowohl günstiger als auch ressourcenschonender wird. Als Investoren müssen wir uns zudem fragen, ob schnelles Wachstum auf Kosten der Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit sinnvoll ist oder ob langsames, aber dafür langfristiges Wachstum die bessere Wahl ist.

Munich Startup: Bist Du derzeit auf der Suche nach neuen Investments? Wie können Startups Dich erreichen?

Ronald Paul: Ich finde es immer amüsant, wenn Gründer hoffen, dass Investoren sie finden werden, als wären wir Schatzsucher auf der Suche nach der verlorenen Münze. Aber im Ernst, als Investor muss man auch ein bisschen die Sektorensuche betreiben und gezielt nach vielversprechenden Projekten suchen. Das bedeutet nicht, dass ich nicht immer für innovative und vielversprechende Ideen offen bin. Wer mich kontaktieren möchte, kann das gerne über die Website meines Venture Capital Unternehmens, Muzungu Capital, tun oder mich auf LinkedIn anschreiben.