Das Medigital-Gründerteam von links: Maximilian Radensleben, Paul Pohlmann, Tobias Kirstein und Maximilian Schnettler
Foto: Medigital

Medigital: Automatisiertes Kapazitätsmanagement für Krankenhäuser

Wie können Patientenflüsse in Krankenhäusern effizienter verwaltet werden? Dieser Herausforderung stellt sich Medigital, das 2022 von Maximilian Radensleben, Paul Pohlmann, Tobias Kirstein und Maximilian Schnettler gegründet wurde. Im Interview berichten die Gründer nicht nur von ihrer Lösung, sondern auch von den Herausforderungen, die sie in ihrer noch jungen Unternehmensgeschichte bereits zu bewältigen hatten.

Munich Startup: Was macht Euer Startup? Welches Problem löst Ihr? 

Medigital: Wir sind Medigital und automatisieren das Kapazitätsmanagement in Krankenhäusern. Unser erstes fertiges Modul ist das Belegungsmanagement, das die Planung des Patientenaufenthaltes im Krankenhaus vollständig automatisiert. Dieser Schritt ist entscheidend bei der effizienten Nutzung der Krankenhauskapazitäten, da er nicht nur von den vorhandenen Diagnose- und Behandlungsoptionen abhängt, sondern auch eine Vielzahl administrativer Prozesse auslöst, wie den Patiententransport, die Abrechnung und die Entlassung der PatientInnen.

Während die Diagnose und Behandlung von PatientInnen bereits signifikant von neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz beeinflusst werden, sind die administrativen Abläufe und deren Ausführung in den letzten zwei Jahrzehnten kaum modernisiert worden. Dies führt dazu, dass ein erheblicher Teil der Arbeitszeit des Klinikpersonals für diese Aufgaben aufgewendet werden muss, wodurch oft wertvolle Zeit für die direkte Patientenversorgung verloren geht. Das ändern wir!

Zeitersparnis und weniger Koordinationsaufwand

Der Kern unserer Software besteht aus einem hochentwickelten KI-gestützten Algorithmus, der die benötigten Kapazitäten für jeden Patientenaufenthalt automatisch plant und intelligent zwischen den Stationen ausbalanciert, um die Krankenhausauslastung zu optimieren, ohne dabei das Personal zu überlasten. In unserem Belegungsmanagement-Modul übernimmt der Algorithmus beispielsweise die automatische Zuweisung von PatientInnen zu den passenden Betten basierend auf den Patientenstammdaten. Darüber hinaus kann der Algorithmus PatientInnen stationenübergreifend verschieben, was zu einer erheblichen Zeitersparnis für ÄrztInnen und Pflegekräfte durch weniger Koordinationsaufwand führt. Unsere Benutzeroberfläche hält das betroffene Personal auf Stationsebene und auch auf Krankenhausebene immer auf dem neuesten Stand.

Munich Startup: Aber das gibt’s doch schon längst! 

Medigital: Leider entspricht die Realität in Krankenhäusern oft nicht dem, was technologisch möglich ist. Es ist nicht unüblich, dass PatientInnen in Krankenhäusern noch mit Stift und Papier geplant werden. Es gibt auch improvisierte Lösungen wie Whiteboards und Excel-Tabellen. Selbst moderne Krankenhausinformationssysteme (KIS) bieten oft nur einfache Belegungslisten an. Dort kommt es vor, dass diese Listen ausgedruckt, manuell aktualisiert und am Ende des Tages erneut ins System eingepflegt werden müssen.

Im Bereich des Asset Managements sehen wir derzeit Lösungen, die nicht nur Geräte, sondern auch Betten in Echtzeit verfolgen können, um anzuzeigen, ob sie gerade frei oder belegt sind. Ähnlich gibt es Kommunikationslösungen für ÄrztInnen und Pflegekräfte, die eine Belegungsliste als Nebenprodukt bieten. Beide Ansätze sind zweifellos wertvoll, jedoch fehlt ihnen oft die umfassende Planungskomponente für den Patientenaufenthalt und die strategische Weitsicht. Sie ergänzen unser Kapazitätsmanagement perfekt, da sie zusammen eine umfassende Lösung bieten, die nicht nur den aktuellen Status zeigt, sondern auch zukünftige Kapazitätsbedarfe antizipiert. Unsere Innovation liegt also nicht nur in der Technologie selbst, sondern auch in der ganzheitlichen Herangehensweise an das Problem des Kapazitätsmanagements in Krankenhäusern.

Munich Startup: Was ist Eure Gründungsstory? 

Medigital: Unsere Gründungsstory bei Medigital ist eng mit unserer gemeinsamen Zeit an der Technischen Universität München (TUM) verbunden. Max, Paul und ich, wir kennen uns schon seit unseren Studientagen an der TUM. Während unserer Studienzeit haben wir gemeinsam an der TechChallenge der UnternehmerTUM teilgenommen, einem Programm, bei dem Unternehmen als Corporate Partner ihre realen Probleme vorstellen und StudentInnen die Aufgabe haben, innerhalb von drei Monaten Prototypen-Lösungen zu entwickeln.

Während dieser intensiven Phase haben wir unzählige Krankenhäuser besucht und uns intensiv mit ÄrztInnen und PflegerInnen ausgetauscht. Dabei konnten wir aus erster Hand erleben, wie chaotisch und ineffizient viele Prozesse in diesen Einrichtungen gestaltet sind. Diese Beobachtungen haben uns angespornt, eine Lösung zu entwickeln, die dazu beiträgt, diese Probleme anzugehen und den Alltag im Gesundheitswesen effizienter zu gestalten.

Am Ende dieser drei Monate konnten wir mit unseren Prototypen den ersten Platz in der TechChallenge belegen. Das war für uns der Startpunkt für den nächsten Schritt. Wir haben uns für das Xplore Pre-Inkubationsprogramm der UnternehmerTUM beworben, wo wir unseren vierten Mitgründer, Max Schnettler, kennengelernt haben. Als Team von vier Gründern haben wir es geschafft, zunächst das EXIST Gründerstipendium zu erhalten und daraufhin unsere erste Finanzierungsrunde erfolgreich abzuschließen. Diese Anfangsphase war für uns entscheidend und hat den Grundstein für die Entwicklung von Medigital gelegt.

Challenge: Lange Vertriebszyklen im Gesundheitswesen

Munich Startup: Was waren bisher Eure größten Herausforderungen? 

Medigital: Eine unserer bedeutendsten Herausforderungen lag und liegt in den außergewöhnlich langen Vertriebszyklen im Gesundheitswesen. Vom ersten Kontakt bis hin zu konkreten Gesprächen vergehen oft mehrere Monate. Dennoch befinden wir uns aktuell an einem Punkt, an dem wir unsere Professionalität gesteigert haben, um mit diesen langen Zyklen umzugehen. Gleichzeitig ernten wir die Früchte unserer bisherigen Anstrengungen, da Krankenhäuser vermehrt auf uns zukommen.

Eine weitere Herausforderung bestand darin, das Bewusstsein bei ÄrztInnen und Pflegekräften für die Vorteile einer digitalen und vor allem automatisierten Variante des Belegungsmanagements zu schärfen. Anfangs empfanden viele NutzerInnen die Verwendung unserer Lösung als zusätzlichen Stress und Mehraufwand. Allerdings konnten wir schnell zeigen, wie effizient und zeitsparend unsere Lösung tatsächlich ist. Nach kurzer Zeit waren die NutzerInnen so überzeugt, dass sie ihre bisherigen Lösungen vollständig durch unsere ersetzt haben.

Munich Startup: Wo möchtet Ihr in einem Jahr stehen, wo in fünf Jahren? 

Medigital: Wir haben für das kommende Jahr ambitionierte Pläne. Durch eine geplante Finanzierungsrunde im April 2024 werden wir unser erstes Modul, das „Belegungsmanagement“, erfolgreich weiterentwickeln, unsere Pilotkunden in langfristige Kundenbeziehungen umwandeln und zusätzliche Krankenhäuser für unsere Lösung gewinnen. Die Mittel aus dieser Finanzierungsrunde werden auch dazu beitragen, unsere Teamkapazitäten zu erweitern, um weitere Module zu entwickeln und unsere Vision, das gesamte Kapazitätsmanagement in Krankenhäusern zu automatisieren, voranzutreiben.

Vision: Patientenfluss nahtlos planen

Wenn wir fünf Jahre in die Zukunft blicken, sehen wir unser Produkt als eine wesentliche Ergänzung in der Landschaft der Krankenhaussoftware. Unsere Lösung wird es ermöglichen, den gesamten Patientenfluss nahtlos zu planen und die Ressourcen, sei es für Aufnahme, Diagnose, Behandlung, Entlassung oder Personal, in Echtzeit zu optimieren. Dabei streben wir danach, nicht nur die Effizienz zu steigern, sondern auch die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern.

Munich Startup: Wie habt Ihr den Startup-Standort München bisher erlebt? 

Medigital: München hat sich für uns als Gründungsstandort als äußerst förderlich erwiesen. Tatsächlich könnte man sagen, dass wir in gewisser Weise ein Produkt der UnternehmerTUM sind, da wir nahezu jedes ihrer Programme und Netzwerkmöglichkeiten genutzt haben. Aktuell sind wir stolzer Teilnehmer des Xpreneurs Batch 14 und gehören seit fast zwei Jahren fest zur VentureLabs Healthcare der TUM.

München bietet jedoch noch mehr. Die Stadt beherbergt zwei herausragende Universitäten, die eine hervorragende Quelle für hochqualifizierte Talente darstellen. Die zahlreichen Networking-Events und Pitching-Veranstaltungen haben es uns ermöglicht, viele andere Startups kennenzulernen. Dieser Austausch ist von unschätzbarem Wert, da wir von den Erfahrungen anderer GründerInnen profitieren können. Wir lernen von den bereits bewältigten Herausforderungen anderer Startups und wachsen gemeinsam an den neuen, die uns noch bevorstehen.

Außerdem ist München ein aufstrebendes Zentrum für Digital Health und die Digitalisierung des Gesundheitssektors. Initiativen wie das Venture Lab Healthcare und Events wie Bits & Bretzls HealthTech bieten eine immer bessere Unterstützung und Ressourcen für Startups in diesem Bereich. Besonders im Frühphasenbereich gibt es hier ein breites Angebot an Unterstützungsmöglichkeiten.

Die beeindruckenden Statistiken und das reiche Netzwerk haben uns bereits vor unserer Gründung stark in das Münchner Ökosystem integriert und uns geholfen, Medigital erfolgreich auf den Weg zu bringen.

Munich Startup: Hidden Champion oder Shooting Star? 

Medigital: Unsere Ausrichtung auf den B2B-Markt und unsere Spezialisierung auf Krankenhäuser machen uns per Definition zu einem Hidden Champion. Doch wenn alle Module, die wir entwickeln wollen, nahtlos zusammenarbeiten und im Krankenhausbetrieb erfolgreich implementiert werden, haben wir zweifellos das Potenzial, zu einem Shooting Star zu werden – zumindest in der Gesundheitsbranche. Der potenzielle Impact wäre enorm und würde sich auch bei den PatientInnen bemerkbar machen. Nicht nur würden viele administrative Aufgaben im Krankenhaus wegfallen, sondern die Kapazitäten könnten so optimiert werden, dass mehr PatientInnen bei gleichzeitiger Verringerung der Arbeitsbelastung behandelt werden können.