Erik Podzuweit (links) und Florian Kappert. Montage: Munich Startup

The Future of FinTech: Wohin führt der Weg der Finanzbranche?

FinTech-Startups sind aktuell auf dem Durchmarsch. Alteingesessene Größen der Finanzbranche sehen mittlerweile ein, dass eine Zusammenarbeit mit innovativen Unternehmen unumgänglich ist, wenn man im Prozess der Digitalisierung nicht auf der Strecke bleiben will. Zuletzt erst verdrängte Wirecard die Commerzbank aus dem DAX. Wir haben uns mit zwei Gründern aus dem FinTech-Bereich darüber unterhalten, was die Branche so spannend macht und wie ihre Zukunft aussehen wird. Erik Podzuweit ist Geschäftsführer von Scalable Capital, Florian Kappert leitet das Unternehmen Bilendo.

Was fasziniert Euch an der FinTech-Branche? Wo liegen diesbezüglich Eure persönlichen Interessen?

Erik: Ich finde es spannend, wie man mithilfe von Big Data und maschinellem Lernen Finanzservices für Privatanleger nach Jahrzehnten des Stillstands endlich besser und günstiger machen kann. Bei Finanzservices geht es ja nicht nur darum, dass man ein Produkt plötzlich auch bequem von zu Hause aus bestellen oder mit dem Rad einfacher durch die Berge navigieren kann.

In der Vermögensverwaltung geht es um wichtige Lebensfragen, wie den eigenen Lebensstandard im Rentenalter. Gerade hier haben viele Menschen ein permanent schlechtes Gewissen, weil sie nicht genug Geld für ihre Rente zurücklegen. Gleichzeitig fehlt ihnen der Mut oder die Zeit, sich selbst um das Thema zu kümmern. Hier können wir als digitaler Vermögensverwalter einen echten Mehrwert liefern.

Florian: Die Finanz- und gleichermaßen die Versicherungswelt wird bzw. wurde von großen, zum Teil multinationalen Unternehmen beherrscht. Die technologischen Entwicklungen der letzten 30 Jahren haben dort beträchtliche Strukturen und ein hohes Maß an Komplexität aufgebaut. Unterschiedliche Gesetze im Bereich Steuern und Regulatorik führen zu noch mehr Komplexität und am Ende zu enorm starren Strukturen. Zudem tun sich diese Unternehmen enorm schwer lösungsorientierte, moderne und skalierbare Tech-Produkte zu entwickeln.

Wir FinTechs (oder InsurTechs oder allgemein Tech-Startups) haben es hier zunächst viel leichter, weil wir auf der grünen Wiese anfangen konnten zu arbeiten. So konnten wir uns direkt um die effiziente Lösung der herrschenden Probleme kümmern. Die Zentralisierung aller Kundenansprüche (also der Kern der Digitalisierung) ist oberstes Ziel, modernste Technologie das Mittel zum Zweck.

Das Endresultat sind oft – natürlich nicht immer – Lösungen von Startups, die den Sprung aus der Nische schaffen und deren Ansatz sich großer Nachfrage erfreuen kann.

Genau hier sehe ich die größten Herausforderungen und das ist mein persönliches Interesse. Über die Jahre haben wir schon oft bewiesen, dass wir großartige Tech-Produkte entwickeln können. Ich bin der Meinung, dass klassische Intermediär-Leistungen (so wie fast alle Finanz- und Versicherungsprodukte) in Zukunft ohne das Zutun einer Bank oder einer Versicherung gehandelt werden. Der Marktplatz hierfür werden bedarfsorientierte Plattformen, die den Austausch dieser Leistungen automatisieren. Diese Lösungen haben deutlich niedrigere Transaktionskosten und, bei richtiger Herangehensweise, auch den besseren Business Case.

Inwiefern hat FinTech bereits die Finanzbranche verändert und welche Umbrüche stehen uns noch bevor?

Erik: FinTechs haben ein Umdenken in den Banktürmen erzwungen. Schließlich strotzen Banken nicht mehr vor so viel Kraft, als dass sie sich Kundenunzufriedenheit, Kundenschwund oder den Verlust anderer Geschäftsbereiche leisten könnten. Umdenken reicht aber nicht. Banken müssen auch umschalten. Damit tun sie sich bis heute schwer. Sie wollen und können sich im eigenen Haus nicht von heute auf morgen kannibalisieren. Mit dem großen Filialnetz, den teuren Fondsabteilungen und den uralten Legacy-Systemen sind viele Banken auf Dauer aber einfach nicht mehr wettbewerbsfähig.

Florian: Die Finanzbranche ist mitten im Umbruch. Der Markt zerrt an den Strukturen. Die Marktgegebenheiten führen zu zusätzlichem Druck. Die Kunden werden von anderen IT-Giganten mit Lösungen versorgt, die in Sachen User-Experience und Kunden-Erlebnis weit über den Möglichkeiten der Banken stehen. Die großen Umbrüche werden meiner Meinung nach aber erst in den nächsten 10-20 Jahren passieren. Aktuelle Technologien aus der Forschung werden sich durchsetzen. Es ist noch völlig unklar, wo und wie die Touchpoints der neuen Finanzdienstleister zum Kunden aussehen. Mit Sicherheit werden sich Nutzungsverhalten und Nachfrage der Kunden (B2B und B2C) grundlegend verändern. Neue Endgeräte und bedarfsorientierte Angebote werden dominieren. Die Frage ist, wer es am besten hinbekommt. Die beste Lösung wird gewinnen.

Vertrauensaufbau mit Sicherheit die größte Herausforderung

Mit welchen Herausforderungen sehen sich FinTech-Startups konfrontiert?

Erik: Das kann man in meinen Augen nicht generalisieren. B2B-FinTechs stehen beispielsweise vor ganz anderen Herausforderungen als B2C-FinTechs, die in erster Linie Privatkunden von ihrer Idee überzeugen müssen. Da es im FinTech-Bereich um das hart erarbeitete und ersparte Geld der Menschen geht, ist der Vertrauensaufbau mit Sicherheit die größte Herausforderung. Dieses Vertrauen dürfen wir auch dann nicht verspielen, wenn es zu einer Konsolidierungswelle kommt.

Florian: Auch Startups werden älter, Strukturen entstehen, Prozesse werden festgesetzt und Gesetze gelten genauso für neue Unternehmen. Die Herausforderung liegt darin, handlungsfähig und agil zu bleiben und trotzdem ein Produkt oder eine Lösung zu bieten, die modern und technisch auf dem neuesten Stand ist.

„Politik ist mit Entwicklungen der Welt überfordert“

Was muss sich politisch tun, damit FinTech sein volles Potenzial ausschöpfen kann?

Erik: Ganz generell sehe ich eigentlich keine großen politischen Hürden für FinTechs. Wir haben unsere BaFin-Erlaubnis wirklich zügig erhalten und wir hatten auch immer das Gefühl, einen sehr kooperativen und innovationsfreundlichen Gesprächspartner an unserer Seite zu haben.

Die Politik könnte allerdings den Anlegern etwas Gutes tun und höhere Steuerfreibeträge für die direkte Anlage in Aktien und ETFs einführen. Im Gegenzug sollte man die staatliche Förderung von komplizierten und teuren Altersvorsorge- und Versicherungsprodukten abschaffen. Das ist in meinen Augen ein klarer Fehlanreiz für Sparer. Viele Privatanleger denken doch, sie tun etwas Sinnvolles für ihre Rente. Faktisch sparen sie sich aber arm.

Florian: Nichts. Politik ist mit den Entwicklungen der Welt (auch der IT) völlig überfordert. Das liegt nicht generell an den PolitikerInnen, sondern vielmehr an der Struktur und der Historie der Politik. Auch Politik wird denselben Anforderungen unterworfen wie Konzerne. Nur, dass die Politik funktioniert wie vor 20, 30 oder ggf. sogar vor 2.000 Jahren. Strukturen, Agilität und vor allem die Transaktionskosten in diesem System sind viel zu hoch. Transaktionskosten entspricht hier „der Stimme des Volkes“ und die schafft es kaum mehr effizient ins System.

Das Einzige, was wirklich helfen würde, wäre super schnelles Internet überall. Es ist lächerlich, dass Deutschland hier ein so armseliges Bild abgibt.

Das Verhältnis von FinTech zur Old Economy ist gut

Wie ist das Verhältnis zur „Old Economy“? Wie kann man eventuelle Hürden überwinden und Probleme gemeinsam angehen?

Erik: Wir haben ein wirklich gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu unseren Investoren und Geschäftspartnern, unabhängig davon, ob sie aus der Old oder New Economy kommen. Wir kooperieren erfolgreich mit Siemens Private Finance und haben Erivan Haub als einen wirklich tollen Unternehmer und Investor kennengelernt. Genauso gut arbeiten wir mit Holtzbrinck Ventures, einem klassischen Risikokapitalgeber, zusammen oder mit BlackRock und der ING-DiBa, die beide Welten miteinander verschmelzen.

Florian: Das Verhältnis ist gut, meistens zumindest. Die Old Economy hat, wie oben erwähnt, das Problem, dass dort sehr selten gute IT-Produkte entstehen. Das liegt am Know-how und am Mindset der Unternehmen. Die Old Economy kann die Transformation zu einem neuen Unternehmen nur schaffen, wenn alle dafür benötigten Ressourcen zur Verfügung stehen. Das klappt selten, weil Strukturen durch Gesetz und Ordnung (z. B. Interessenvertreter aller Art) blockiert werden.

Die beste Möglichkeit ist sicherlich selbst auf der grünen Wiese anzufangen. Hier bleibt allerdings das Problem mit dem Know-how oder zumindest die Kooperation mit einem FinTech.

„Das Sparverhalten der Deutschen ist ein echtes Problem“

Was sind in Euren Augen aktuell die größten Trends im Bereich FinTech?

Erik: Es wird noch mehr Kooperationen zwischen FinTechs und Banken geben. Banken haben verstanden, dass sie das notwendige Know-how nicht schnell genug aufbauen oder digitale Geschäftsideen nicht schnell genug auf den Markt bringen können. Deshalb kooperieren sie immer häufiger mit FinTechs. Zudem werden wir eine Marktbereinigung erleben. Aktuell kristallisieren sich für viele FinTech-Sektoren klare Marktführer in Deutschland heraus. Damit werden die Finanzierungs- und damit auch die Wachstumsmöglichkeiten für alle anderen FinTechs schwieriger.

Florian: Den Begriff ‚Künstliche Intelligenz‘ für Marketing-Zwecke zu missbrauchen und unbedarften Kunden eine Metapher zu geben, die erklärt, warum die Lösung besser ist als der Status-quo.

Wie wird sich unsere Gesellschaft durch FinTech verändern?

Erik: In jedem Fall zum Positiven. Erstens machen FinTechs viele klassische Bankdienstleistungen bequemer, schneller und günstiger. Und je mehr nervige Bankgeschäfte uns ein Roboter abnimmt, desto mehr Zeit haben wir für die schönen Dinge im Leben. Darüber hinaus sind FinTechs sehr viel transparenter als klassische Finanzhäuser. Deshalb haben wir als Branche auch die Chance, den Menschen das Vertrauen in den Finanzsektor zurückzugeben. Dieses Verhältnis hat sich durch die vielen Skandale deutscher Banken seit der Finanzkrise nicht erholt. Und das schadet am Ende der gesamten Volkswirtschaft.

Als Gründer eines digitalen Vermögensverwalters will ich außerdem mehr Menschen für Kapitalanlagen begeistern. Die Liebe der Deutschen zu kaum verzinsten Tagesgeld- und Sparkonten ist ein echtes Problem. Mit diesem Sparverhalten werden viele Menschen ihren Lebensstandard nicht halten können. In der Masse ist das aber auch eine gesellschaftliche Herausforderung, die die gesetzliche Rentenversicherung nur bis zu einem gewissen Grad ausgleichen kann.

Florian: Das Stichwort heißt hier Consumerization. Alles wird benutzbarer, automatischer, nutzerfreundlicher, bedarfsgerechter. Dieser Gewinn ist teuer, denn auf der anderen Seite wird alles teurer, komplexer und undurchsichtiger. Mit Sicherheit hat das großen Einfluss auf die Gehälter, den Fachkräfte-Markt und jede Ökonomie im Allgemeinen. Sehr spannend auf jeden Fall!

München ist ein Top-Standort mit dem ein oder anderen Problem

Wie schätzt Ihr den Standort München für FinTechs ein? Wo liegen die Vorteile, wo gibt es vielleicht noch Verbesserungsbedarf?

Erik: Das Umfeld ist für FinTechs sehr gut: München hat zwei herausragende Universitäten, über die wir als Technologieunternehmen richtig gute Leute rekrutieren können. Zudem bietet München ein optimales wirtschaftliches Umfeld. Wir haben mit Holtzbrinck Ventures einen Münchner Investor, mit der Baader Bank eine Münchner Partnerbank und mit Siemens Private Finance auch einen wichtigen Münchner Kooperationspartner aus der „Old Economy“.

Ein weiterer Standortvorteil ist die kooperative und innovationsfreundliche Niederlassung der Bundesbank, die Erlaubnisse für Banken oder Finanzportfolioverwalter im Auftrag der BaFin dezentral für Münchner FinTechs ausstellt. Besonders gefreut haben wir uns auch über den politischen Support. Ilse Aigner hat uns von Beginn an unterstützt. Ohne sie wären einige wichtige Kontakte zu unseren heutigen Geschäftspartnern nicht oder erst sehr viel später entstanden.

Florian: München ist top. Sicherlich gibt es nicht so viele Startups in München wie in Berlin. Das ist gerade für kleine Startups ein Problem, weil man nicht so viele Player bei Events trifft bzw. die Gründer sich quasi aus der Schule oder Uni kennen.

Für alle Startups, die mit der Finanz-, Versicherungs-, Automobil- und IT-Branche gemeinsame Sache planen, ist München aber sicher ideal. Problematisch ist das Gehalts- und Kostenniveau, aber das zieht in Berlin auch gewaltig an. Ebenfalls problematisch ist der Arbeits- und Wohnungsmarkt. Es gibt eben einige DAX-Konzerne in München und dazu die Deutschland- bzw. Europazentralen von US-IT-Giganten.

München bleibt dabei eher ein Nest oder ein Dorf. Das nervt manchmal, aber im Großen und Ganzen lässt es sich aus München gut agieren. Außerdem kommen Mitarbeiter aus dem Ausland gerne nach München, weil der Standort attraktiv ist und Stadt wie Umland einiges bieten.

Vielen Dank für das Gespräch!