Andreas Heddergott - LH München

„Die Bedeutung und das Potenzial von Impact Startups für unsere Gesellschaft sind enorm“– Interview mit Birgit Siepmann

Als Impact Entrepreneurship & Social Innovation Managerin ist Birgit Siepmann bei der Landeshauptstadt München Ansprechpartnerin für Münchner Impact Startups aller Phasen. Wie genau sie mit ihrer Arbeit Startups unterstützt und welche Impact-Themen ihrer Meinung nach zukünftig immer mehr an Bedeutung gewinnen werden, berichtet sie im Interview mit Munich Startup.

Munich Startup: Birgit, Du bist als Impact Entrepreneurship & Social Innovation Managerin bei der Landeshauptstadt München tätig. Bevor wir darauf genauer eingehen: Wie definierst Du ‚Impact‘ in Deinem Arbeitskontext?

Unsere Interviewpartnerin Birgit Siepmann. (Foto: Birgit Siepmann)

Birgit Siepmann: Impact bezeichnet für mich eine positive Wirkung innerhalb unserer Gesellschaft. Diese Veränderung ist ein Prozess, der an vielen Stellen gleichzeitig von unterschiedlichen Menschen angestoßen werden kann und soll. Dabei steht zunächst das Bewusstsein für eine bestimmte gesellschaftliche oder ökologische Problematik im Fokus – beispielsweise Lebensmittelverschwendung oder mangelnde Gleichstellung. Ein Impact Startup trägt mit seiner Lösung dazu bei, das Problem systemisch anzugehen und eine nachhaltige Veränderung in der Gesellschaft zu erzielen. Diese Lösung erreicht in der Regel zunächst eine spezifische Zielgruppe. Übergeordnetes Ziel ist es jedoch, nach und nach größere Teile der Gesellschaft zu einem veränderten Verhalten zu bewegen. Resultiert mit Hilfe der Impact-Startup-Lösung mit der Zeit eine positive Wirkung in großen Teilen unserer Gesellschaft, sprechen wir von Impact.

Nutzerinnen und Nutzer werden durch die Lösung dazu angeregt, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren. Sie werden ermutigt, die persönlichen Einstellungen, das eigene Denken und Handeln hinsichtlich spezifischer gesellschaftlicher Herausforderungen zu hinterfragen. Handlungsrahmen für Impact Startups sind meist einzelne oder mehrere Ziele der 17 SDGs (Sustainable Development Goals).

Bezogen auf Münchens Wirtschaft bedeutet das, dass wir nachhaltige und regenerative Geschäftsmodelle suchen, die auf systemischer Ebene zu einer integrativen Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen beitragen, um die Ziele der UN-Agenda 2030 zu realisieren.

Munich Startup: Impact Entrepreneurship scheint zunehmend die Bezeichnung Social Entrepreneurship abzulösen – kannst Du erklären, warum?

Birgit Siepmann: Ich würde nicht davon sprechen, dass ‚Impact‘ die Bezeichnung ‚Social‘ ablöst. Bei meiner Arbeit wird mir jedoch immer wieder deutlich, dass der Begriff ‚Social‘ gelegentlich fehlinterpretiert wird. Gemeint sind damit nämlich nicht ausschließlich ’soziale‘ Herausforderungen, sondern gesellschaftliche sowie ökologische. Da ist der Begriff ‚Impact‘ meiner Meinung nach selbsterklärender und inklusiver.

Echte Innovation entsteht in meinen Augen nur durch den Austausch unterschiedlichster Disziplinen und Perspektiven miteinander. Wir brauchen ungewöhnliche Sichtweisen und kreative Impulse aus allen Teilen unserer Gesellschaft, da sich die komplexen Herausforderungen unserer Zeit nicht mit mehr herkömmlichem, linearen Vorgehen lösen lassen. Dementsprechend möchte ich mit der Verwendung des Begriffs ‚Impact‘ möglichst viele Menschen ansprechen, um mit Hilfe unternehmerischer Mittel eine positive Wirkung in unserer Gesellschaft zu erzielen.

Ansprechpartnerin für Impact Startups

Munich Startup: Zurück zu Deiner Tätigkeit bei der Stadt München – was genau umfasst Deine Arbeit dort?

Birgit Siepmann: Meine zentrale Aufgabe ist es, die Themen Impact Entrepreneurship und Social Innovation stärker in der Beziehung zwischen Verwaltung und Wirtschaft zu etablieren und mehr in den Fokus der Stadtgesellschaft zu rücken.

Dabei geht es insbesondere darum, Potenziale in unserer Gesellschaft besser auszuschöpfen, neue Ideen anzustoßen und bestehende Impact Startups auf dem Weg der Realisierung bestmöglich zu unterstützen. Ich bin für Impact Startups in allen Phasen ebenso Ansprechpartnerin wie für erste Ideen, die Unterstützung in der Weiterentwicklung benötigen. Durch unser umfassendes Netzwerk an Partnerinnen und Partnern im Münchner Startup-Ökosystem und die Angliederung an das Münchner Gründungsbüro, sollen gesellschaftliche Innovationen stärker gefördert werden.

Ein weiteres Handlungsfeld, das mir persönlich sehr am Herzen liegt, ist der Bildungsbereich bzw. Impact Entrepreneurship Education. Auch hier gibt es bereits großartige AkteurInnen, die sehr engagiert in diesem Bereich arbeiten. Mein Ziel ist es, Impact Entrepreneurship Education systematisch an Münchner Schulen zu etablieren, um Talente und Potenziale in der gesamten Gesellschaft zu erreichen und die Entwicklung von lösungsorientiertem, innovativen Denken und Handeln frühestmöglich zu fördern.

Zu meinen Aufgaben gehört außerdem innerhalb der Verwaltung Anstöße zu geben, um z.B. im Bereich von kommunalen Ausschreibungen Startups und KMU eine leichtere Zugänglichkeit zu ermöglichen. Um als Stadt von der Innovationskraft und Agilität kleiner Unternehmen profitieren zu können, schaffe ich außerdem die Verbindung in die entsprechenden Fachstellen der Referate.

Darüber hinaus werden künftig weitere Events zu Impact Entrepreneurship und Social Innovation in München stattfinden, um die bestehenden Netzwerke zu stärken und weiter auszubauen. Die zusätzlichen Events möchte ich dazu nutzen, neue Ideen der Münchnerinnen und Münchner im Sinne von Open-Social-Innovation-Prozessen auf den Weg zu bringen und die Entwicklung nachhaltiger, impactgetriebener Geschäftsmodelle voranzutreiben. Durch die Kooperation mit den bestehenden Netzwerken sollen künftige AkteurInnen inspiriert, ermutigt und auf ihrem Weg gefördert werden.

Munich Startup: Wie genau unterstützt Du mit Deiner Tätigkeit Münchner Startups?

Birgit Siepmann: Als zentrale Ansprechpartnerin für Münchner Impact Startups unterstütze ich mit fachlichem Wissen und baue Brücken zu weiteren ExpertInnen innerhalb und außerhalb der Stadtverwaltung. Unser starkes Münchner Startup- und Innovationsökosystem ist dabei von zentraler Bedeutung. Ich arbeite eng mit AkteurInnen wie dem Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND), der Social Entrepreneurship Akademie (SEA), dem im vergangenen Jahr neu gegründete Social Startup Hub Bayern oder dem Munich Urban Colab zusammen.

Unterstützung bei Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten

Häufige Fragen drehen sich um Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten. Je nach Bedarf stelle ich die Verbindung zu Inkubatoren, Acceleratoren oder anderen NetzwerkpartnerInnen her. Darüber hinaus informiere ich über spezifische Themen wie beispielsweise Impact Measurement, das Impact Startups dabei unterstützen kann, eine solide Argumentationsgrundlage für die Messbarkeit ihrer Erfolge zu entwickeln. Auch hier arbeite ich eng mit unseren PartnerInnen und Institutionen, wie etwa Phineo, zusammen.

Für mich geht es insbesondere darum, auf die individuellen Bedarfe der Startups und IdeenträgerInnen zu reagieren. Umgekehrt ist es für mich aber auch wichtig, Feedback von den Startups zu erhalten, aktuelle Entwicklungen zu beobachten, einen breiten Austausch zu pflegen und darauf basierend partizipativ eine Social-Innovation-Strategie für München zu entwickeln.

Munich Startup: Welche Münchner Startups haben Dich mit ihren Impact-Vorhaben bislang besonders begeistert?

Birgit Siepmann: Eines der bekanntesten und erfolgreichsten Beispiele ist sicherlich Recup, die mit ihrem Mehrweg-Pfandsystem das Müllproblem im To-Go-Bereich angehen. Sie sind mittlerweile zum Marktführer in Deutschland geworden, wurden mit zahlreichen Preisen, Medaillen und Siegeln ausgezeichnet und haben zuletzt im vergangenen Jahr die Auszeichnung ‚Social Entrepreneur des Jahres‘ des German Startup Awards erhalten.

Eine echte Erfolgsgeschichte ist für mich Social-Bee als Integrationsdienstleister für Geflüchtete. Sie denken bestehende Systeme neu, indem sie das Zeitarbeitskonzept auf soziale Weise nutzen. Geflüchtete werden fest eingestellt und zu den Partnerunternehmen entsandt. Um den Erfolg der Maßnahme langfristig zu sichern, arbeiten sie daran, die Übernahme in eine Festanstellung spätestens nach eineinhalb Jahren zu realisieren. Außerdem werden Sprachkurse und Zusatzqualifikationen organisiert. Gründerin Zarah Bruhn ist seit 2022 außerdem als Beauftragte für Soziale Innovationen im Bundesministerium für Bildung und Forschung tätig. Hier zeigt sich für mich die Bedeutung, ganzheitlich zu denken und wie umfangreich gesellschaftliche Innovation wirken kann.

Besonders begeistert mich auch Sira, die an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf arbeiten und gleichzeitig dem Fachkräftemangel entgegenwirken. In Kooperation mit KMU bauen und betreiben sie betriebliche Mini-Kitas. Hier zeigt sich für mich einerseits sehr anschaulich, wie die Innovationskraft von Startups KMU und der Stadt nutzen kann, andererseits wird deutlich, wie alle Seiten von gesellschaftlicher Innovation profitieren können: Unternehmen werden darin unterstützt, Fachkräfte zu binden, Eltern wird der Wiedereinstieg erleichtert, die Stadt kann ihre Betreuungsinfrastruktur erweitern und im Endeffekt profitiert die Gesellschaft als Ganzes von diesem Modell.

Die Community Kitchen ist ein weiteres großartiges Startup, das sich gegen Lebensmittelverschwendung einsetzt, indem es aus geretteten Lebensmitteln leckere Mahlzeiten zaubert und in ihrem Café täglich frisch anbietet. Die Community Kitchen ist zu einem zentralen Treffpunkt geworden, an dem Inklusion ganz selbstverständlich gelebt wird. Außerdem wirkt das Team durch Umweltbildungsprojekte unter anderem weiterer Lebensmittelverschwendung entgegen.

Die Entwickler der App Greencent bieten ein Treuepunktesystem zur Förderung der Nutzung nachhaltiger Mobilität an. Mit der Einführung des ‚Greencent‘ lassen sich beispielsweise Getränke, Snacks oder frisches Obst und Gemüse in Münchner Läden bezahlen.

Ein Geheimtipp ist für mich die Coaching-Plattform Mellow. Das Team hat es sich zum Ziel gesetzt, die mentale Gesundheit in der Gesellschaft zu stärken. Der Clou ist, dass mit Hilfe technischer Lösungen die besondere Bedeutung der Prävention stärker in den Fokus der Gesellschaft rückt. Krankheiten durch die Unterstützung eines Coaches vorzubeugen, wirkt wie ein Fitnessstudio für die mentale Gesundheit, die gerade in unserer komplexen Welt vielen Menschen zu schaffen macht.

Es gibt zahlreiche weitere großartige Münchner Startups, die mich begeistern. Diese Auswahl soll die Vielfalt der Ideen und Möglichkeiten verdeutlichen.

„Nahezu jedes der 17 SDGs wird durch Münchner Startups abgedeckt“

Munich Startup: Wie ist die Münchner Startup-Szene generell im Bereich Impact aufgestellt?

Birgit Siepmann: Wir haben bereits einige sehr starke Startups im Impact Bereich in München und vor allem eine große Vielfalt. Nahezu jedes der 17 SDGs wird durch Münchner Startups abgedeckt. Die Themen reichen von Gesundheit und Bildung, über nachhaltigen Konsum, weniger Ungleichheiten bis hin zu bezahlbarer und sauberer Energie und Klimaschutzmaßnahmen. Das Potenzial für Münchner Impact Startups ist noch lange nicht ausgeschöpft. Das bestätigt auch der Blick auf andere Städte wie Hamburg, Bremen oder Freiburg – es ist noch Luft nach oben. Dennoch ist München gut aufgestellt. Wir können unsere Stärke im Tech-Bereich gezielt dazu nutzen, verstärkt Impact zu generieren. Viele tech-getriebene Innovationen haben häufig auch eine positive Wirkung auf die Gesellschaft. Die Bereiche lassen sich also nicht immer eindeutig voneinander trennen. Und das müssen sie auch nicht.

Unzählige gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen gilt es noch zu lösen und in Zukunft werden unentwegt neue dazukommen. Es braucht Visionärinnen und Visionäre, die wach sind für die Veränderungen unserer Zeit und vorausschauend handeln, um Münchens Wirtschaft zukunftsfähig mitzugestalten.

Munich Startup: Welche Impact-Themen werden Deiner Meinung nach in naher Zukunft an Bedeutung gewinnen?

Birgit Siepmann: Die Megatrends unserer Gesellschaft wie Klimawandel, zunehmende Urbanisierung und demografischer Wandel zeigen sich besonders im Impact-Bereich. Es gilt, dauerhafte Veränderungen innerhalb unserer Gesellschaft zu bewirken. Nur durch kollektives Umdenken und Verhaltensänderung in großen Teilen der Gesellschaft lassen sich bestimmte Probleme überhaupt lösen. Die Bedeutung und das Potenzial von Impact Startups für unsere Gesellschaft sind somit enorm.

Ein wichtiges Thema ist und bleibt der Klimaschutz bzw. Klimaanpassungen. Besonders für München mit seinem hohen Grad an versiegelter Fläche brauchen wir innovative und konkrete Lösungen. Themen wie Mobilität und der Umgang mit Wasser in der Stadt sind dabei von zentraler Bedeutung. Es braucht eine starke Vernetzung, um auch umliegende Städte und Gemeinden nachhaltig umzustrukturieren.

Unser Gesundheitssystem wurde in den letzten Jahren stark durch die Pandemie geprägt. Jedoch stehen wir hier vor zahlreichen anderen Herausforderungen, die dadurch eher in den Hintergrund gerückt sind, beispielsweise im Hinblick auf Volkskrankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herzerkrankungen. Impact Startups können hier einen positiven Beitrag leisten, indem sie innovative Lösungen entwickeln, die auf das persönliche Verhalten abzielen und dazu beitragen, Krankheiten präventiv anzugehen.

Impact Startups können zur Weiterentwicklung des Bildungssystems beitragen

Von zentraler Bedeutung ist aus meiner Sicht außerdem der Bildungssektor. Impact Startups haben ein enormes Potenzial, einen bedeutenden Beitrag zur notwendigen Weiterentwicklung unseres Bildungssystems zu leisten. Unser Bildungssystem sollte darauf ausgerichtet sein, Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Dies erfordert ein Umdenken in der Art und Weise, wie wir Bildung betrachten und eine stärkere Betonung auf die Entwicklung von Soft Skills, die Integration von Technologie im Schulalltag, kulturelle Vielfalt, Nachhaltigkeit und kritischem Denken. Wir brauchen konkrete Lösungen, die Lehrkräfte und Lernende im Schulalltag unterstützen.

Damit in Zusammenhang steht das Thema Fachkräftemangel, das uns die nächsten Jahre weiter und in zunehmendem Maße beschäftigen wird. Hier braucht es wesentlich mehr Lösungen, die an den unterschiedlichen Stellen des Systems ansetzen. Impact Startups haben das Potenzial, dem wachsenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken, beispielsweise indem sie neue Arbeitsplätze schaffen, Ausbildung und Qualifizierung fördern, Diversität und Inklusion schaffen, flexiblere Arbeitsbedingungen anbieten und mit Bildungseinrichtungen zusammenarbeiten. Durch die wirkungsorientierten Unternehmensziele können Impact Startups auch dazu beitragen, Fachkräfte anzuziehen, die sich mit einem bestimmten Unternehmenszweck identifizieren und sich in einem Unternehmen engagieren möchten, das eine positive Wirkung auf die Gesellschaft hat.

Munich Startup: Birgit, vielen Dank für das Interview!