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2023 im Rückblick: Ein schwieriges Jahr für Münchner Startups

Das vergangene Jahr wird vielen als ökonomisch schwierig in Erinnerung bleiben – auch in der Münchner Startup-Szene. Doch wie genau entwickelte sich die Branche in den letzten zwölf Monaten? Unser Jahresrückblick in Zahlen gibt Antworten.

Alle Daten zur Münchner Startup-Szene im Rückblick 2023 stammen aus unserem Data & Insights-Dashboard. Wer mehr erfahren will, kann auch selbst die Datenbank nach weiteren Insights durchsuchen.

1,9 Milliarden Euro wurden das letzte Jahr über in Münchner Startups investiert – und damit rund 300 Millionen Euro weniger als noch im Jahr zuvor. Weniger Geld gab es für die hiesigen Jungunternehmen zuletzt im Corona-Jahr 2020, als lediglich 1,3 Milliarden Euro zusammenkamen. Doch während die Gesamtsumme der Investitionen auf der Stelle trat, nahm die Zahl der Finanzierungsrunden deutlich ab. Von 280 Investitionsrunden in 2022 fiel der Wert auf lediglich 190 im Jahr 2023. Um ein Jahr mit weniger erfolgreichen Finanzierungen zu finden, muss man einige Zeit zurückgehen: zuletzt lag der Wert 2017 mit 148 Closings unter dem Niveau von 2023. Die geringe Zahl der Investitionsrunden sorgte dann auch dafür, dass das durchschnittliche Investitionsvolumen anstieg. Gab es 2022 durchschnittlich rund 7,9 Millionen Euro pro Finanzierungsrunde waren es 2023 runde 10 Millionen.

Investoren werden nicht geiziger, aber vorsichtiger

Der Rückblick auf die Mega-Investments des Jahres, also Finanzierungsrunden über 100 Millionen Euro, gibt den Blick frei für einen weiteren Trend. Gab es im Vorjahr vier Startups, die ihre Investoren von solchen Summen überzeugen konnten, schafften es 2023 trotz der schwierigeren wirtschaftlichen Lage sogar fünf: Das Defensetech-Startup Helsing erhielt 209 Millionen Euro in seiner Series-B, Egym sicherte sich 207 Millionen Euro, Isar Aerospace bekam mit seiner Series-C zusätzliche 155 Millionen Euro, das in München und Dublin ansässige Ladeinfrastruktur-Startup Jolt Energy sammelte 150 Millionen Euro ein und bei Integritynext klingelten 100 Millionen Euro in der Kasse.

Anders sieht es bei den Finanzierungen zwischen 100 Millionen und 10 Millionen Euro aus. In dieser Größenordnung wurden im Münchner Ökosystem im vergangenen Jahr 31 Runden abgeschlossen – 2022 waren es 46. Blickt man zudem auf die durchschnittliche Finanzierungshöhe ohne die Mega-Investments über 100 Millionen Euro (2023: 7,6 Millionen Euro; 2022: 5,2 Millionen Euro) zeigt sich: Münchner Startups in der Wachstums-Phase hatten es 2023 deutlich schwerer, Investoren zu überzeugen – gelang es aber, öffneten diese ihre Brieftaschen weiter als im Jahr zuvor.

Beim Blick auf die Finanzierungen unter 10 Millionen Euro zeichnet sich ein deutlich negativer Trend ab: Konnten sich 2022 noch 201 Startups in ihrer Gründungsphase finanzieren, gelang dies in den letzten 12 Monaten nur noch 129 Jungunternehmen. Die Gesamtsumme sank dabei von 176 Millionen Euro (876.000 Euro pro Investment) auf 141 Millionen Euro (1,1 Millionen Euro). Auch hier zeigt der Rückblick, dass die Investoren tendenziell eher freigebiger geworden sind, sofern sie denn überhaupt investierten.

Amerikanische Investoren ziehen sich zurück

Die investierten Gelder stammten dabei im vergangenen Jahr vor allem aus Deutschland und Europa. US-Investoren zeigten sich deutlich seltener als noch in den Jahren zuvor. Lag ihr Anteil am Gesamtfinanzierungsvolumen 2022 noch bei 34 Prozent (752 Millionen Euro) schrumpfte es 2023 auf rund 22 Prozent (414 Millionen Euro) zusammen. Der Anteil deutschen Geldes stieg von 29 Prozent auf 32 Prozent leicht an (2022: 638 Millionen Euro; 2023: 610 Millionen Euro).

Den Ausfall der US-Investoren kompensierten allerdings europäische Geldgeber zumindest zum Teil, wie der Rückblick zeigt. Ihr Anteil stieg von 23 Prozent in 2022 (496 Millionen Euro) auf 41 Prozent in 2023 (787 Millionen Euro). Asiatische Geldgeber wiederum – generell eher zurückhaltend in München – ignorierten die Startups der Landeshauptstadt im vergangenen beinahe komplett. Kamen 2022 immerhin noch 132 Millionen Euro (6 Prozent) von ihnen, waren es in den letzten zwölf Monaten hingegen nur mehr 3,9 Millionen Euro (0,2 Prozent).

Rückblick: Die Entwicklung einzelner Branchen

Die Entwicklung einzelner Branchen zeigt im Rückblick die Bedeutung einzelner Champions in einem Ökosystem, in dem die Zahl der Investitionen abnimmt. So ist etwa die Branche „Security“ diejenige, die im vergangenen Jahr mit 31 Millionen Euro den größten Teil des investierten Gesamtkapitals auf sich vereinigen konnte. Der Großteil davon, 209 Millionen Euro, ging dabei an einziges Startup: Helsing. Im vergangenen Jahr erhielt die Security-Branche hingegen lediglich 61,9 Millionen Euro, womit sie 2022 lediglich auf Rang 11 landete. Ähnliches zeigt sich beim Bereich „Wellness & Beauty“: 2022 mit 40,8 Millionen Euro Gesamtfinanzierung auf Rang 13 landet die Branche in diesem Jahr mit 209 Millionen Euro auf Platz 4. Entscheidend für diese Entwicklung ist allein das Investment in Egym in Höhe von 207 Millionen Euro.

Die traditionell in München starken Branchen Enterprise Software, Transportation, Health und HR mussten im vergangenen Jahr hingegen kürzertreten. Nur der Bereich Transportation, der 2022 mit 341 Millionen auf dem dritten Platz lag, konnte sich verbessern. 314 Millionen Euro Investitionsvolumen sicherten ihm den zweiten Rang. Enterprise Software Startups erlebten hingegen ein mageres Jahr. 2022 mit 638 Millionen Euro der Liebling der Investoren vor allen anderen Branchen (wovon allerdings rund 360 Millionen Euro an Celonis gingen) mussten sie sich 2023 mit 127 Millionen Euro und Platz 7 zufriedengeben. Auch die Healthtech- (2022 auf Platz 2 mit 360 Millionen Euro, 2023 auf Platz 11 mit 71,9 Millionen Euro) und HR-Branche (2022 auf Platz 4 mit 267 Millionen Euro, 2023 auf Platz 19 mit 9 Millionen Euro) mussten Verlust hinnehmen.

Der Gesamtwert des Münchner Startup-Ökosystem steigt weiter

Trotz der schwierigen Lage konnte das Münchner Ökosystem auch 2023 seinen Gesamtwert weiter steigern. Gemessen an den summierten Unternehmenswerten lag das Münchner Startup-Ökosystem am Ende des vergangenen Jahres bei 58,7 Milliarden Euro. 2022 war das Ökosystem noch 52,6 Milliarden Euro wert. Mit Helsing brachte das vergangene Jahr auch ein neues Einhorn hervor – also ein Startup mit einer Bewertung über 1 Milliarde Dollar.

Die Zahl der Exits verändert sich kaum, insgesamt wurden im vergangenen Jahr 37 Münchner Startups von anderen Unternehmen übernommen. An die Börse gebracht wurde allerdings keines. Im Vorjahr gingen die GründerInnen von 36 Startups solche Schritte. Am aufsehenerregendsten dürften dabei die Übernahmen von Franka Emika, Magazino und Chatchamp gewesen sein. (Die Exits des Jahres haben wir Euch auch in diesem Artikel zusammengefasst.)

Ein Rückblick auf das vierte Quartal 2023

Das letzte Quartal des vergangenen Jahres enttäuschte. Die Startups in und um die Landeshauptstadt sammelten mit 359 Millionen Euro so wenig Geld ein wie lange nicht. Weniger Investitionen gab es zuletzt in Q1 2022, also in dem Quartal, in dem der russische Überfall auf die Ukraine begann. Das Vorjahresquartal kam auf 452 Millionen Euro. Dabei gilt für alle betrachteten Zeiträume, dass bei einigen Finanzierungsrunden keine Zahlen bekanntgegeben wurden, weswegen die finalen Summen noch einmal höher liegen.

Investitionsrunden über 100 Millionen Euro gab es keine, ebenso wie im Vorjahresquartal. Die höchsten Summen sicherten sich Quantum Systems mit 63,3 Millionen Euro, Scalable Capital mit 60 Millionen Euro und Tacto mit 50 Millionen Euro. (Die wichtigsten Finanzierungen des vergangenen Quartals haben wir hier zusammengefasst.)

Die Anzahl der abgeschlossenen Finanzierungsrunden nahm im vierten Quartal weiter ab. Lediglich 40 Startups konnten im Herbst Investoren von sich überzeugen. Im Vorjahresquartal waren es noch 60. Seither sinkt die Zahl der erfolgreichen Finanzierungsrunden für Münchner Startups stetig. Die durchschnittliche Investitionssumme erreichte damit im vierten Quartal rund 9 Millionen Euro, in Q3 waren es 13,9 Millionen Euro mit Mega-Runden, 4,6 Millionen Euro ohne Finanzierungsrunden über 100 Millionen Euro.

Exits, Insolvenzen und neue Fonds

In Sachen Exits hat das vierte Quartal wieder einiges zu bieten. So wurde unter anderem der Robotik-Spezialist Franka Emika von dem Anbieter von Robotik-Lösungen Agile Robots übernommen, Moleqlar kaufte das Münchner Biotech Epiqmax, die Münchner Kreativplattform Sessions verkaufte an Triviar, das Fintech-Startup Betterfront wurde von Equation übernommen und das Femtech-Startup Femfeel ging an Medice Health Family. Börsengänge gab es in diesem Quartal keine.

Insolvenzen trafen im Herbst unter anderem Noyes Technologies, Cesonia und Smart4Diagnostics. Insgesamt mussten in Q4 vier Münchner Startups ihre Zahlungsunfähigkeit melden, vier weniger als im Sommer. (Mehr zu den Insolvenzen des Quartals haben wir hier zusammengefasst.)

Neue Investment-Fonds sah das Münchner Startup-Ökosystem im vierten Quartal 2023 sieben. Unter anderem legte Acton Capital den Fonds Acton VI neu auf, der mit 225 Millionen Euro ausgestattet für erprobte Geschäftsmodelle in der frühen Wachstumsphase bereitsteht. Hi Inov, EOS Parters, Nordwind Growth, Liberta Partners, Generations Fund und Vanagon Ventures konnten ebenfalls erfolgreich Mittel einwerben.